Rakel Haslund-Gjerrild: Adam im Paradies

Buch

Der Roman „Adam im Paradies“ verschränkt eine sprachgewaltige Erzählung über das Leben des dänischen Meistermalers Kristian Zahrtmann (1843-1917) mit authentischen Schriftstücken, die die Hetze gegen Homosexuelle im Dänemark zu Beginn des 20. Jahrhunderts dokumentieren. Das Ergebnis ist einerseits ein Dialog zwischen historischer Wirklichkeit und Fiktion, anderseits eine literarische Antwort auf Zahrtmanns queere Kunst und seine nie öffentlich eingestandene Homosexualität. Dafür wurde Autorin Rakel Haslund-Gjerrild in ihrer dänischen Heimat mit Kritikerlob und Preisen bedacht. Zu Recht, findet Can Mayaoglu, die für die jüngst erschienene deutsche Übersetzung des Romans in ihrem Bücherregal schon mal einen Platz neben den nordischen Meistern freigeräumt hat.

Die milchige Sehnsucht

von Can Mayaoglu

Mit ihrem in Skandinavien frenetisch gefeierten Roman „Adam im Paradies“ hat die dänische Autorin Rakel Haslund-Gjerrild einen Künstlerroman geschrieben, der auf sprachlicher Ebene seinesgleichen sucht. Das Buch war nominiert für den Literaturpreis des Nordischen Rates (den Jonas Eika 2019 erhielt und mit einer Aufsehen erregenden Rede aufmischte, wie man auch in der sissy-Rezension zu „Nach der Sonne“ nachlesen kann) und liegt nun bei Albino vor – in meisterhafter deutscher Fassung von Andreas Donat, der nicht nur Übersetzer ist, sondern auch klassischer Pianist, was einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf sein so feines Sprachgespür haben dürfte.

Wir schreiben das Jahr 1913: Der Ich-Erzähler, der 70-jährige dänische Maler Kristian Zahrtmann, will mit dem Gemälde „Adam im Paradies“ sein Meisterwerk schaffen, und versucht dafür sein Kopenhagener Atelier in einen Garten Eden zu verwandeln. Kentiapalme, Phönixpalme und Dracena werden geliefert und Zahrtmann phantasiert: „Ich stelle mir vor, wie meine Nachbarn Else und Harald Moltke (…) in ihrer Sofaecke sitzen und Graf Harald (…) einen Dschungel vorbeiwandern sieht“. Über seinen Adam sagt er, „Ich habe ihn letzte Woche gefunden, im Zug auf der Heimreise von Kalundborg“, um die Entdeckung anschließend in schwelgerischer Detailverliebtheit Revue passieren zu lassen. So kommen immer mehr Erinnerungsfragmente vergangener Lebensszenen in Zahrtmann hoch und wir als Lesende begleiten ihn Kapitel um Kapitel durch ein Dasein reich an Kunst, doch arm an ausgelebtem Eros.

Kristian Zahrtmann: „Adam im Paradies“

Dass sich dieser Eros auf das männliche Geschlecht richtet, wird nicht eindeutig benannt, schimmert in kleinen Bemerkungen und kurzen Sätzen aber immer wieder unmissverständlich durch. Zum Beispiel als Zahrtmanns früheres Modell Hjalmar, der mittlerweile selbst als Maler arbeitet, den Meister besuchen möchte, dieser sich aber von seiner Hausangestellten Marie Hessellund verleugnen lässt. Hjalmar durchschaut das Schauspiel zwar, wendet sich aber um und geht wieder weg, woraufhin Zahrtmann sinniert: „Und dann geht er, wie er eben geht. Der schönste Mann, den die Welt je gesehen hat.“ Wie Katinka in Herman Bangs „Am Weg“ sehnsuchtsvoll den Zügen in ein besseres Leben hinterherblickt, ist auch Zahrtmann einer jener erotisch Nie-Gewesenen. So lässt „Adam im Paradies“ uns teilhaben am Leben eines Mannes, der im Alter erkennt, dass die jahrelange Unterdrückung seiner Sehnsüchte ihm statt Erkenntnis vielmehr Traurigkeit beschert hat. Diese Traurigkeit überträgt sich beim Lesen und lässt einen oftmals berührt innehalten.

Zwischen die einzelnen Kapitel, die jeweils Titel von Zahrtmanns Bildern tragen, sind Zeitdokumente eingefügt: ein Auszug aus dem Bürgerlichen Strafrecht von 1866, Gerichtsakten zu den Sittlichkeitsprozessen der Jahre 1906/07, Zeitungsartikel und Briefe (etwa von Herman Bang an Christian Houmark). Gelingt es Haslund-Gjerrild in den Erzählkapiteln, Zahrtmanns melancholischen Humor einzufangen, so erzeugt sie durch die nüchternen authentischen Dokumente ein Gefühl der Beklommenheit. Sie lassen uns als Lesende von heute umso mehr begreifen, wie schmal der Grat zwischen (Über-)Leben und gesellschaftlicher Vernichtung für Homosexuelle Anfang des 20. Jahrhunderts gewesen sein muss.

Rakel Haslund-Gjerrild – Bild: Sofie Amalie Klougart

Dennoch ist Zahrtmann kein Sympathieträger. Er ist kein Herman Bang, der von der Öffentlichkeit zerfleischt wird, sondern ein stiller Erdulder, einer, der seine Homosexualität nahezu verschluckt. Er sieht und würde gern gesehen werden, aber dazu müsste er ans Licht treten. Da er sich das verwehrt, trägt er zuweilen gehässige, selbstverachtende Züge, etwa wenn er herablassend über seine dicke Statur, seine unreine Haut oder seinen Status als alter Herr in einer jungen Kunstwelt spricht.

In einem der stärksten Monologe des Textes sieht Zahrtmann seine eigene Ausgrenzung gespiegelt: als herauskommt, dass Zahrtmanns mit ihren Aufgaben überfordert wirkende Haushälterin Marie Hessellund eigentlich selbst gern Malerin geworden wäre, nun aber alleinerziehend und verwitwet ein Dasein fristet, das ihr alle Privilegien versagt, die die Männer ihrer Zeit ausleben können – etwas schaffen, sich verwirklichen, entscheiden. Zwar konnte er, weil er ein Mann und zudem davon überzeugt ist, dass Frauen nicht malen können, seinen Beruf wählen, nicht aber das Leben, das er eigentlich führen wollte: „Frau Hessellund tut mir leid. Nachts ist es immer besonders schlimm: im Schock wacht man schweißgebadet auf, und wenn einem dann aufgeht, dass es kein Albtraum war, sondern die Verzweiflung über die eigene Einsamkeit, die einen aus dem Schlaf geweckt hat, dann ist es manchmal ganz unmöglich, weiterzuschlafen (…) Es ist wie ein Fieberanfall der Nerven, überhitzte Gefühle, sage ich mir. Nachts verbrennt der Körper im Schlaf seinen Überschuss an Trauer, damit man am nächsten Tag wieder zupacken kann, aber erwacht man mitten während der Verbrennung, dann ist die Einsamkeit so entsetzlich, dass man einen Augenblick lang vergisst, dass die Nacht stets ein Ende hat und es wieder Tag werden wird mit Wirbel und Karussellen und Gaukelei.“

Das ist, um es mal klar zu sagen, ganz feine Literatur und zeugt überdies von einem erheblichen Maß an Empathie. Da schreibt eine dänische Frau unserer Zeit mit Anfang 30 einen Roman aus der Ich-Perspektive eines homosexuellen Malers um die Jahrhundertwende und alles ist da: Söderbergs selbstzerstörerischer „Doktor Glas“ mit seinen ungelebten Sehnsüchten, der Einsamkeit und dem darüber Zerbrochen-Werden genauso wie eben Katinkas milchige Sehnsuchtsstimmung aus Herman Bangs „Am Weg“. Mehr als 100 Jahre später fügt Haslund-Gjerrild diesen ikonischen Figuren der Weltliteratur ihren Zahrtmann hinzu, der es verdient, seinen Platz neben ihnen in unseren Bücherregalen zu finden. Genau wie Rakel Haslund-Gjerrild es verdient, zwischen den nordischen Meistern eingeordnet zu werden. Weil sie es geschafft hat, Geschichte lebendig zu machen und trotzdem heutig zu schreiben. Auf den ersten Blick ist „Adam im Paradies“ ein Künstlerroman. Auf den zweiten eine zeitlose Erzählung über die Einsamkeit eines Menschen, der in eine Welt hineingeboren wurde, die niemals die seine sein konnte.




Adam im Paradies
von Rakel Haslund-Gjerrild
Aus dem Dänischen übersetzt von Andreas Donat
Hardcover, 328 Seiten, € 26
Albino Verlag

 

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