Sublime

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Manu und Felipe sind beste Freunde. Sie spielen zusammen in einer Band und teilen sonst auch so ziemlich alles miteinander. Als Manu das „erste Mal“ mit seiner Freundin plant, bespricht er das natürlich mit Felipe. Doch plötzlich sind da Gefühle, die Manu immer mehr durcheinander bringen: Eigentlich würde er viel lieber Felipe küssen! Mariano Biasin erzählt in „Sublime“ von einem Gefühlschaos, das wohl jede:r schon einmal erlebt hat: Was passiert mit einer Freundschaft, wenn plötzlich Liebe und Begehren ins Spiel kommen? Andreas Köhnemann über einen authentischen Coming-of-Age-Film aus Argentinien, der noch ans Träumen glaubt.

Dreams Are My Reality

von Andreas Köhnemann

Mit 16 hat man noch Träume. Zum Beispiel vom besten Freund, der nackt neben einem liegt. Der einen zärtlich berührt und küsst. Aber was mag das bedeuten? Er ist doch bloß ein Kumpel, ein Buddy. Alles cool und easy, oder? Leider ist dann in der Realität plötzlich alles anders. Komplizierter, schwieriger, gefährlicher. Jeder eigene Blick könnte verräterisch sein. Jeder Blick von ihm wirft tausend Fragen auf. Und jeder Blick der anderen könnte alles bemerken.

Mit Sätzen hat man es in dem Alter ja ohnehin nicht so. Da darf nun wirklich niemand erwarten, dass hier die passenden Worte gefunden werden, um das Innerste zu vermitteln. Wie denn bitte auch? Wo soll das herkommen? Etwa von den Eltern, die es erschreckenderweise gar nicht besser hinkriegen oder es schlichtweg wieder verlernt zu haben scheinen? Oder von den blumigen Gedichten, die in der Schulklasse vorgetragen werden müssen und nichts mit den eigenen Problemen zu tun haben? Nope. Ganz sicher nicht. Vielleicht über die Musik. Ja, über die Musik kann man einander tatsächlich näherkommen und die Grenzen zwischen Traum und Realität fast überwinden.

Es gibt unzählige Filme (und Theaterstücke, Romane, Graphic Novels, Serien etc.), die diesen Zustand der ersten Gefühlsverwirrung und Verzweiflung erzählerisch zu erfassen versuchen. Oft sind die jugendlichen Figuren dabei so reflektiert und schlagfertig, dass sich rasch der erwachsene kreative Kopf dahinter erkennen lässt, der mit dem Wissen von heute dem emotionalen Chaos von damals begegnen möchte. Das kann ziemlich lustig und unterhaltsam sein – aufrichtig und berührend ist es aber eher selten.

Der argentinische Drehbuchautor und Regisseur Mariano Biasin (Jahrgang 1980) ist in seinem Langfilmdebüt „Sublime“ wesentlich dichter dran an seinem 16-jährigen Protagonisten Manu und dessen Umfeld. Es gibt keine ironische Distanz, keine geschliffenen Oneliner mit geistreichen popkulturellen Referenzen. Da ist einfach nur das Leben, das ein Teenager in einer Kleinstadt an der Küste führt. Und dieses Leben ist hin und wieder schön, aber nicht (offensichtlich) atemberaubend. Zuweilen ist es anstrengend, aber nicht hochtrabend dramatisch.

Foto: Salzgeber

Manu und sein bester Freund Felipe – jenes heimliche Objekt der Traumbegierde – sind in einer Band aus Gleichaltrigen. Sie schreiben Songs, die Biasin und dessen Komponist Emilio Cervini in genau der richtigen Balance aus adoleszentem Ausprobieren und hörbarem Talent halten, um glaubwürdig und lebensecht anzumuten. Der Film räumt den Proben und den gemeinsamen Kompositionssessions hinreichend Platz ein, da die Jungs in diesen Momenten vieles ausagieren können, was ihnen auf anderen Wegen erst ganz zögerlich gelingt. Dann wird in diesem bodenständigen, alltagsnahen Setting energisch und furchtlos nach dem Himmlischen und dem Erhabenen gegriffen, das der Titel „Sublime“ (auch) meinen könnte. Wenn Manu und Felipe etwa beisammensitzen und am Text zu einem neuen Lied arbeiten, traut sich der schüchterne Manu, dem etwas selbstbewussteren Felipe Worte zu unterbreiten, in denen sich bereits ein Verlangen versteckt, das in anderer Form noch nicht freigelassen werden kann.

Foto: Salzgeber

Natürlich steht in „Sublime“ viel auf dem Spiel – in der Wahrnehmung des juvenilen Helden gar das Größte, Wichtigste und Wertvollste überhaupt: die langjährige Freundschaft zu Felipe. Diese könnte sich durch Manus Offenheit im besten Falle (weiter-)entwickeln, im schlimmsten Falle aber auch zerstört werden. Zudem ist Manu mit seiner Mitschülerin Azul zusammen, während Felipe heftig mit einem anderen Mädchen aus der Gegend flirtet. Mit Martín Miller hat Biasin einen jungen Hauptdarsteller gefunden, der diese Angst, verletzt zu werden und anderen durch sein Empfinden und seine Handlungen wehzutun, einerseits zurückhaltend und andererseits völlig unverstellt zum Ausdruck bringt. Der das Brodeln in seiner Figur spüren lässt, ohne zwangsläufig den Ausbruch zu zeigen, und der das Grübeln des Teenagers zur Anschauung bringt, ohne sämtliche Gedanken in Monologen mitteilen zu müssen.

Foto: Salzgeber

Die Konflikte, in die Manu gerät, werden vom Skript und von der Inszenierung nicht unnötig zugespitzt – und auch die Bemühungen, sie zu lösen, stecken voller Wahrhaftigkeit. Wenn sich Manu, während er in der Küche beim Resteessen sitzt, an seinen Vater wendet, der gerade in einer Beziehungskrise mit Manus Mutter steckt, dann entsteht daraus weder ein perfekter Bilderbuch-Augenblick, der die Eltern-Kind-Bindung festigt, noch kommt es zu extremen Spannungen. Der Film will sein Publikum weder mit süßen Lügen füttern noch will er es mit unerträglich schwerer Kost (re-)traumatisieren. Der Vater reagiert auf das angedeutete Coming-out am Esstisch, auf die Ehrlichkeit seines Sohnes hinsichtlich der starken Gefühle für den besten Freund nicht mit klugen, empathischen Ratschlägen, aber auch nicht mit Ablehnung – er ist lediglich ein bisschen hilflos und weist den Sohn darauf hin, dass da etwas in dessen Zahnspange steckt. Das ist so wunderbar ungeschickt, so schön beobachtet, wie es mit keinem dramaturgischen Kniff aus dem Szenenbaukasten möglich gewesen wäre.

„Sublime“ lässt uns träumen. Dass eine Umarmung ewig dauern kann, ja dass sogar immer mehr Leute hinzustoßen, um sich dieser magischen Umarmung anzuschließen und Trost zu spenden. Dass ein ersehnter Kuss kommen kann, wenn man überhaupt nicht (mehr) damit rechnet. Der Film ist ein mitreißendes Plädoyer dafür, die im Jugendalter so typische Intensität des Hier und Jetzt zu genießen und zu feiern und keine Emotion zu scheuen. Die Welt rings um einen herum mag nichts Erhabenes an sich haben, doch man selbst kann sich manchmal Momente schaffen, die (mindestens) so himmlisch sind wie die Dinge, von denen man zunächst nur zu träumen wagte.




Sublime
von Mariano Biasin
AR 2022, 100 Minuten, FSK 12,
spanische OF mit deutschen UT

 

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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