Flesh/Trash/Heat (1968–1972)
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Mit „Flesh“ (1968), „Trash“ (1970) und „Heat“ (1972) schuf Paul Morrissey für Andy Warhol eine lose Trilogie, die das Panorama der amerikanischen Gegenkultur auf den Punkt brachte: eine rohe, entrückte Welt, bevölkert von Rastlosen und Gestrandeten, die berauscht bis verzweifelt ihren Träumen hinterhertaumeln. Underground-Ikone Joe Dallessandro leiht allen drei Filmen sein Gesicht – „als Sexarbeiter, Junkie, und ikonische Halbweltgestalt zwischen Straße und verruchtem Glamour, Absturz und Erhabenheit“, wie Janick Nolting schreibt. Eine Mischung aus Tragödie und Camp, die bis heute fasziniert, provoziert und ein Stück filmischer Freiheit feiert.

Bild: Tartan
Reigen der Ausgestoßenen
von Janick Nolting
Zunächst ist der Mann nur Fragment, ein Seitenprofil, verbunden mit dem Kopfkissen. Joe Dallesandros Figur hat die Augen noch geschlossen, aber da ertönt bereits Musik im Hintergrund, um den Schlaf zu stören. Dann ein plötzlicher Bruch, ein Schnitt, und die Großaufnahme des Gesichts verwandelt sich in einen erwachsenen Körper. Aus dem Porträt ist ein ganzer Mensch geworden und dem Menschen gönnt man keine Ruhe. „Fauler Sack“ und „faules Schwein“, „die Arbeit ruft“, bekommt dieser Nackte von seiner Lebensgefährtin zu hören, die ihn mit einem symbolischen Peitschenhieb am Morgen weckt. Also beginnt ein neuer Tag, an dem der von oben bis unten entblößte Körper in Ware verwandelt wird.
Vom Schlaf zum Schlaf erstreckt sich „Flesh“, der erste Teil dieser von Paul Morrissey geschriebenen und inszenierten Filmtrilogie aus dem New Yorker Underground, zu der auch die beiden Filme „Trash“ und „Heat“ gehören. Produziert von Andy Warhol, der in den Jahren zuvor selbst als Experimentalfilmer in Erscheinung getreten war, besetzt mit mehreren der sogenannten Superstars aus Warhols Umfeld – darunter Holly Woodlawn, Andrea Feldman, Pat Ast und eben jenem Joe Dallesandro, der großen Entdeckung, die allen drei Teilen der Trilogie ihr Gesicht leiht: als Prostituierter, Junkie, Sexsymbol und ikonische Halbweltgestalt zwischen Straße und verruchtem Glamour, Absturz und Erhabenheit.
„Flesh“, „Trash“ und „Heat“ bilden einen Reigen ausgestoßener Gestalten, die mal mehr und mal weniger ein Bewusstsein für ihr gestörtes Miteinander entwickeln. Sie verkehren amerikanische Werte und Ideale, sei es die spießige Kernfamilie, die Wirtschaftlichkeit des Einzelnen oder die schöne Kunst selbst. Spuren eines Plots, eines dramaturgischen Spannungsbogens oder einer herkömmlichen Figurenentwicklung sind noch entfernt zu spüren und werden zugleich von einem rastlosen und ziellosen Umherstreunen von Begegnung zu Begegnung und losen Alltagsbetrachtungen zerrütteter Biographien aufgebrochen.
1968 entstand der erste Teil, im selben Jahr, in dem die Feministin Valerie Solanas ein Attentat auf Andy Warhol verübte, welcher daraufhin mit gefährlichen Verletzungen im Krankenhaus landete – nicht nur ein Wendepunkt im Leben des Künstlers, sondern auch eine verdüsterte Umbruchszeit für die bis dahin so schillernde Utopie der Warhol-Factory in New York, diesem sagenumwobenen Raum der ausgelassenen Begegnung und Kreativität. Wenige Monate nach dem Attentat inszeniert der 2024 verstorbene Paul Morrissey, der wiederholt mit Warhol zusammenarbeitete, diese Alltagsbetrachtung eines Prostituierten, die sich auch filmisch in einer Art Auflösungszustand befindet.
„Flesh“ ist ein bruchstückhaft montierter, fragmentarisch strukturierter Film, der gerade dort lebendig wird, wo er sein Publikum aussperrt. Immer wieder und in wechselnden Frequenzen zerreißen grobe Schnitte und flackernde Flash Frames der 16-mm-Kamera die Kontinuität der Szenen. Dialogfetzen, Aktionen brechen plötzlich ab, lassen immer wieder Leerstellen, als würden sie ein beobachtendes Publikum gar nicht benötigen. Als geschehe dort einfach das pure, ungefilterte Leben, bei dem nur mal hier, mal dort die Kamera kurz angeschaltet und draufgehalten und dann wieder gestoppt wird. Als sei das Leben viel zu schnell und turbulent, um es jederzeit in seiner Gänze festhalten und konservieren zu können.

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„Flesh“ erzielt damit einen dokumentarischen Realismus, bei dem sich das filmische Zeigen und das Gezeigte voneinander zu emanzipieren und verselbständigen scheinen. Der Eindruck des Unmittelbaren und Unverfälschten wird damit nicht nur über improvisatorische Elemente in den Dialogen gesucht, sondern ebenso über das Prozesshafte des Filmens an sich, das diese ungeschliffene, vermeintlich fehlerbehaftete Technik ausstellt. Avantgarde-Kino, das das Publikum bei seinem eigenen Entstehen zusehen lässt.
In diesen sprunghaften, rauen, wackligen analogen Aufnahmen wird also ein Mann zum traurigen Helden und Fetisch. Immer wieder ist Joe Dallesandro, der Coole, in sich Gekehrte, nackt zu sehen, wenn er nicht gerade draußen an einer Straßenecke auf neue Kundschaft wartet, um mehr Geld anzuschaffen, das eine Freundin seiner Frau für ihre Abtreibung benötigt. Im Laufe dieses episodisch angelegten Films begegnet er Kollegen, Künstlern, Transpersonen, Kriegsveteranen. Sexualität entspinnt sich zwischen unsicheren bis fließenden Geschlechtergrenzen.
Überhaupt sind die verschiedenen Arten und Darstellungen von Sexualität und Erotik hochinteressant in diesem Werk, da sie zwar mit allerlei nackter Haut und nahaufgenommenen Zungenküssen arbeiten, aber den eigentlichen sexuellen Verkehr aussparen, sofern es überhaupt dazu kommt. Sie interessieren sich mehr für das Davor und das Danach, die Annäherung und Verabschiedung und die Fallstricke der Kommunikation. Dazwischen: Details, Ausschnitte. Hände, die sich um einen Hintern legen. Eine Brust, die in Nahaufnahme untersucht wird. Die Begegnung zwischen Joe Dallesandro alias Joe, wie er auch im Film heißt, und einem Mann, der seine Narben aus dem Koreakrieg zur Schau stellt, wird zum erotischen Kopfkino. Pornographische Literatur soll die Stimmung anheizen.

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Am Ende bleibt das Sexuelle dennoch kühl, nur selten lustvoll oder befreit, trotz aller Situationskomik und Unverblümtheit, mit der hier sozialen Randgruppen und Tabuthemen eine Bühne bereitet wird. „Flesh“ zeigt vielmehr den Zustand einer Ermüdung, die konsequent im erneuten Schlaf gipfelt, und einen Mann, der mit seiner eigenen Dinghaftigkeit konfrontiert wird. Spätestens in der grotesken Sequenz, in der ihn ein Künstler bezahlt, um ihm als Aktmodell und Anschauungsobjekt zu dienen, als Gebilde aus Fleisch, Muskeln und Knochen, das erst mit Monologen über Kunst und Kultur und dann mit dem enervierenden Inszenieren und Posieren an den Rand der Geduld getrieben wird. Machen andere Joe Avancen, versuchen andere, ihn zu verführen, werden immer wieder Abweisungen, Grenzen spürbar – ein Motiv, das sich im zweiten Teil der Reihe weiter zuspitzt.
In „Trash“ (1970) ist alles noch trostloser, desillusionierender und quälender geraten. Drogen betäuben hier die Perspektivlosigkeit, sexuelle Frustration, Geldsorgen und Unzufriedenheit. Die nächste erotische Annäherung wird von der nächsten Substanz abgelöst. Flirtversuche, Verführungen prallen an Joe, dem Abhängigen, dauernd ab. Sex wird zur lästigen Pflicht, Übergriffigkeit oder zur Herausforderung, überhaupt einmal wieder etwas zu spüren im Leben – die Versuche werden scheitern. Sie gipfeln in Hass, schroffen Abweisungen, Ignoranz, häufig auch mit verstörend sexistischer Attitüde. „Trash“ ist das Porträt eines Impotenten, der mehr als Hülle denn als beseelter Mensch zwischen Erschöpfung und Reizung durch das Leben wandelt.
Der Filmtitel „Trash“ ist dabei natürlich als Provokation zu verstehen. Er konfrontiert das Publikum mit einem Geschmacksurteil, indem er sich für jene interessiert, auf die andere in einer Mehrheitsgesellschaft oft herabschauen, indem er mit seinem queeren Ensemble das Verdrängte und Ausgeblendete vorführt, all die triebhaften, hoffnungslosen Seiten und verabscheuten Lebensrealitäten, auch jene, bei denen das Subjekt (bewusst) die Kontrolle verliert, bei dem vielleicht auch der Körper etwas Unansehnliches erhält. „Trash“ wird von Paul Morrissey daneben auch als künstlerische Zuschreibung auf den Prüfstand gestellt, wie in so manchen Filmen, auf denen das Label „Andy Warhol“ als Marke und Gütesiegel prangt, auch wenn dieser vielleicht nur im Hintergrund seine Strippen zog. Morrisseys Trilogie ist ein radikaler Gegenentwurf zu den großen, hochglänzenden Studioproduktionen einer vergangenen Ära der Filmindustrie, aber auch zu dem ausgefeilten Formen- und Genrespiel des sogenannten New Hollywood, das zu dieser Zeit erblühte und die Branche nachhaltig prägte. Morrisseys Filme sind ein entlarvendes Nachspüren dessen, was sich einer Beschönigung und Ästhetisierung entzieht, Gegenkultur in medialer Gestalt – zwischen allen Gattungen und Zuordnungen. Aufgefächert in Momenten, in denen Planung und Improvisation, Spiel- und Dokumentarfilm, Darsteller und Rolle, Tragik und absurde Komik, Authentizität und deren Überhöhung und Formung unsichere Allianzen eingehen.

Bild: Tartan
Allein räumlich ist das zeitlos eindrucksvoll. Gerade „Flesh“ und „Trash“ sind Großstadtfilme aus und über New York, in denen sich die Großstadt regelrecht klaustrophobisch auf nackte Körper in kargen Wohnungen, auf detaillierte Aufnahmen von Gesichtern und Haut verengt. Gesprochen wird weniger als geplappert und geplaudert, bisweilen in einer Wiederholung und Exzentrik, dass es den eigenen Humor an die Grenze des Erträglichen treibt. Menschen leisten sich Gesellschaft und gehen sich gegenseitig auf die Nerven, während ihnen die Welt abhandengekommen ist. An deren Stelle tritt der übergroße, begehrte, aber auch verfemte Körper.
Und jene Verengung durchzieht auch den dritten und abschließenden Teil aus dem Jahr 1972, in dem Joe, erneut in eine andere Figur verwandelt, als ehemaliger Kinderstar und erfolgloser Künstler in einem Motel in Los Angeles haust. Von dem Geist Hollywoods, dieses schillernden Traumgespinsts, von den Stars und Sternchen, ist in „Heat“ eine Konstellation abgehalfterter Zankender geblieben, lose angelehnt an Motive aus Billy Wilders Klassiker „Boulevard der Dämmerung“ (1950). Sie entspinnt sich rings um die scheiternde Beziehung von Joe und der älteren Sally (Sylvia Miles), welche als furioses Zerrbild einer Hollywood-Diva auftritt.
Zwischen Betrug, dysfunktionalen Familienbeziehungen, sexuellen Abhängigkeiten, toxischer Nostalgie, Lebenslügen und Suizidgedanken musste Morrisseys Trilogie wahrscheinlich zwangsweise in dieser Parodie der Filmwelt und ihres industriellen Dunstkreises voller verkrachter und ausgespuckter Existenzen kulminieren. Wo es um das Behaaren auf Oberflächlichkeiten und die Angst vor der veröffentlichten Privatsphäre geht, die perfekte Fassade also, ist die Fassadenhaftigkeit dieses Films ebenso der letzte Coup der dreiteiligen Reihe.
Vom Ekstatischen, Entblößten bis zum Verstellten und wieder zurück: „Heat“ entfernt sich ein Stück weit von der schmuddeligen Low-Budget-Ästhetik der ersten beiden Teile. Deren Mief und Muff und entlarvende Abgründigkeit, aber auch diese Melancholie und Zärtlichkeit und der garstige Witz trotz aller Brutalität sind dennoch unter der Oberfläche geblieben. Nach nichts anderem als einem neuen, pulsierenden, konfrontativen Kino suchen diese Werke aus dem New Yorker Untergrund. Parallel zu den Avantgarden der New-Hollywood-Strömung rüttelt auch dieses vergleichsweise weniger kanonisierte Experimentierfeld auf der Schwelle zwischen den 1960er- und 70er-Jahren an den Verlogenheiten, überholten Fantasien und oberflächlichen, abgewrackten Illusionsmaschinen der Filmindustrie.

Flesh/Trash/Heat
von Paul Morrissey
US 1968–192, 105/110/102 Minuten, FSK 18,
englische OF mit deutschen UT, deutsche SF
Auf DVD und VoD