Bound – Gefesselt (1996)

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Frisch aus dem Gefängnis entlassen, begegnet die toughe Butch Corky zufällig der verführerischen Femme Violet im Aufzug. Es ist Liebe auf den ersten Blick und der Beginn einer heißen Liebesaffäre. Wie passend, dass Violet schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken spielt, sich von dem eifersüchtigen Mafioso Caesar zu trennen. Doch für einen gemeinsamen Neuanfang fehlt den Frauen das nötige Kleingeld. Mit einem riskanten Plan wollen sie Caesar um zwei Millionen Dollar erleichtern. „Bound – Gefesselt“, der verwegene Debütfilm von Lana und Lilly Wachowski („Matrix“, „Cloud Atlas“, „Sense8“) mit Gina Gershon und Jennifer Tilly als durchsetzungsstarkes Liebespaar, bürstete 1996 das Genre des Gangsterthrillers quer und führte eine neue lebische Selbstverständlichkeit und Souveränität ins US-Kino ein. Manuela Kay über einen bahnbrechenden Film voller subtiler Anspielungen, lesbischer Symbolik und Insider-Humor.

Foto: Capelight

Mit Doppelaxt gegen die Mafia

von Manuela Kay

Mit „Bound – Gesfesselt“ begann im Jahr 1995/96 eine neue Ära des Lesbenfilms. Hier geht es nicht mehr um Coming-out-Probleme oder das mühsame Bestehen von Lesben in der Heterogesellschaft. Vielmehr haben wir es mit einem knallharten Thriller zu tun: „Bound“ ist der erste echte Mafia-Gangsterfilm, in dessen Mittelpunkt ein lesbisches Paar steht. Was den reinen Filmplot angeht, so hätte das Duo genauso gut hetero sein können. Es geht um eine Gangsterliebe zwischen zwei Frauen, die in einer turbulenten Story um Geld, Macht, Mafia, Betrug, Mord und Intrigen verstrickt sind:

Die toughe Butch Corky wird aus dem Knast entlassen und trifft bei einem Renovierungsjob in einem Wohnhaus mit verschiedenen Apartments auf die vermeintlich naive Femme und Mafiabraut Violet aus der Nachbarwohnung. Schon bei einer ersten Begegnung im Fahrstuhl funkt es zwischen den beiden. Nach der anfänglichen erotischen Annäherung verrät Violet Corky, dass ihr Lover Caesar demnächst eine große Menge Geld in der gemeinsamen Wohnung zwischenlagern wird. Die beiden beschließen, sich mit der Mafia anzulegen und die Kohle zu klauen. Doch der ursprüngliche Plan misslingt. Es gibt Pannen und etliche Tote, bis schließlich Violet über sich selbst hinauswächst und die tumbe Gangster-Männergesellschaft so raffiniert täuscht, dass es doch noch ein Happy End für sie und Corky geben kann.

Die spannende Figur der Violet geht im Laufe des Films immer intelligenter und hinterlistiger vor, während ihr Pendant Corky mit Brutalität und Rohrzange nicht mehr weiterkommt. Das Klischee der naiven und zugleich hilfsbedürftigen Femme wird wunderbar gebrochen. Jennifer Tilly, mit laszivem Augenaufschlag und übertriebener Micky-Maus-Stimme, übertrifft sich selbst in der Darstellung der Violet.

Unumstrittene Kultfigur des Films ist jedoch Corky, die von der Motorradlederjacke bis zur tätowierten Doppelaxt alles aufweist, was es an gängigen Lesbenklischees in den 1980er und 90er Jahren so gab. Ihr Gang in eine Lesbenbar, kaum dass sie aus dem Gefängnis entlassen wurde, um „eine flachzulegen“, wie sie zur Barfrau sagt, zeugte seinerzeit von einem neuen lesbischen Selbstverständnis und Souveränität. Gina Gershon spielt die Rolle hervorragend und setzte damit ihren Triumphzug in die lesbischen Herzen fort, den sie mit ihrer bisexuellen Rolle in „Showgirls“ (1995) begann. In Kalifornien munkelte man lange in der Community, dass sich Gershon intensiv auf ihre Rolle vorbereitet haben soll, indem sie viel in Lesbenbars verkehrte. „Diese Rolle ist doch wirklich klasse. Ich bin der Held, kriege am Ende das Mädchen, einen Haufen Geld und ein nagelneues Auto“, äußerte sich Gina Gershon damals in einem Interview.

Foto: Capelight

Für die beiden sehr expliziten lesbischen Sexszenen (heterosexuelle gibt es im Film erst gar nicht!) wurde die damals bekannte und mittlerweile legendäre Sexpertin Susie Sexpert als Beraterin engagiert – heute würde man das wohl „intimacy coordination“ nennen. Damals war das etwas ganz Neues und ein Glücksgriff, der dem Sex eine hohe Intensität, Glaubhaftigkeit und zudem Hotness verlieh.

Das besondere an „Bound“ ist aber, dass es sich eigentlich um zwei Filme in einem handelt: Für ein in lesbischen oder queeren Dingen und Perspektiven nicht geschultes Publikum kommt der Film daher wie ein stinknormaler Gangsterthriller, nur eben mit einer lesbischen statt einer hetero Lovestory. Da wird gelogen, gemordet und geklaut, wie man es aus dem Genre kennt. Für die lesbische Kennerin hingegen ist der Film voller mehr oder weniger subtiler Anspielungen, Symbolik und Insider-Humor. So geht es beispielsweise immer wieder um die lesbischen Sexorgane Nummer eins: die Hände. Legendär, wie Corky ihre Hand, die eben noch in Violet steckte, dem nach Hause kommenden Caesar zur Begrüßung entgegenstreckt. Als angsteinflößende Foltermethode um Informationen aus Leuten herauszupressen, wird immer wieder eine Gartenschere benutzt, mit der Finger abgeschnitten werden sollen. Für Lesben gewissermaßen eine klassische Kastrationsszene.

Foto: Capelight

Und auch der Titel „Bound“ hat praktisch eine Dreifachbedeutung: Zum einen bezieht er sich natürlich auf die von Caesar mit Seilen gefesselte Corky – ein vergeblicher Versuch, sie im Rennen um das gestohlene Mafiageld auszuschalten. Zum anderen genau auf diese Fesselung, die nicht zufällig an beliebte Bondage-Techniken erinnert. Und zum dritten natürlich auf die sexuell-emotionale Fesselung der beiden Frauen aneinander. Witzig ist die Symbolik in der Fesselungsszene, in der der heterosexuelle Caesar – dessen Freundin ihn ja mit Corky betrügt, wie er mittlerweile herausgefunden hat – die böse Lesbe ausgerechnet in einen Kleiderschrank sperrt, also in den „Closet“, aus dem man in den USA umgangssprachlich herauskommt, wenn man sein Coming-out hat. Ein „Zurück in den Schrank“ symbolisiert hier Caesars Wunschdenken – und vielleicht auch das der Gesellschaft.

Damals, Mitte der 90er Jahre, wunderte man sich vielleicht noch darüber, wie das bis dahin weitgehend unbekannte Regie-Duo, die Geschwister Wachowski, so raffiniert und zugleich einfühlsam einen Lesbenfilm in Szene setzen konnten. Sie hatten zuvor lediglich mit am Drehbuch von „Assassins“ (1995), einem Action-Thriller von Richard Donner, mitgewirkt. Ihren Durchbruch hatten die beiden dann 1999 mit „Matrix“ und den beiden Folgefilmen. Für viele überraschend hatte dann zunächst Mitte der 2000er Jahre Lana Wachowski ihr trans Coming-out. Schwester Lilly Wachowski folgte mit ihrem trans Coming-out 2016.

Foto: Capelight

Es ist ohnehin ungewöhnlich, dass Geschwister gemeinsam Filme machen, und dann auch noch einen Hollywood-Blockbuster wie „Matrix“! Später kam noch die Mitwirkung bei „Cloud Atlas“ und die Serie „Sense8“ hinzu. Dass die beiden nacheinander ein trans Coming-out hinlegen, das auch noch in der ja zumeist biederen, geschlechtlich eher normativen Welt der Hollywood-Filmindustrie,  war und ist eine Sensation. Das filmische Schaffen der beiden hat darunter glücklicherweise genauso wenig gelitten wie ihre Reputation als Regisseurinnen. Und es erklärt vielleicht auch nachträglich, warum es den beiden mit „Bound“ gelang, einen so queer-sensiblen Film zu realisieren.

Leider gab es seitdem im lesbischen Genre-Kino kaum Nachfolgerinnen. Vergleichbare Thriller mit lesbischen Protagonistinnen sucht man vergebens. Erst in diesem Jahr kam mit „Love Lies Bleeding“ von Rose Glass der vielleicht erste veritable Nachfolger von „Bound“ in die Kinos. Vielleicht liegt das aber auch an dem enorm hohen filmischen Niveau, das von den Wachowskis mit dem intelligenten, witzigen und vielschichtigen Drehbuch und einer knalligen Inszenierung gesetzt wurde. Oder auch dem Glücksgriff der genialen Besetzung von Jennifer Tilly und Gina Gershon, die nie besser waren als in diesem Film. Statt von mittelmäßigen lesbischen Crimestorys enttäuscht zu werden, schaut man am besten „Bound“ immer und immer wieder!




Bound – Gefesselt
von The Wachowskos
US 1996, 108 Minuten, FSK 16,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT
Capelight

Als BluRay, DVD und VoD


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