Ein Weg

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Andreas und Martin sind ein Paar, seit vielen Jahren schon, eingespielt und routiniert. Andreas‘ Sohn Max aus einer früheren, heterosexuellen Beziehung haben sie gemeinsam großgezogen. Die drei wirken wie eine perfekte Patchworkfamilie. Doch als Max sein Zuhause verlässt, gerät auch die Partnerschaft zwischen Andreas und Martin ins Treiben. Chris Miera, Absolvent der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, begibt sich in seinem Spielfilmdebüt auf die Spuren einer langen Beziehung. Am Donnerstag startet „Ein Weg“, der letztes Jahr auf der Berlinale uraufgeführt wurde, in den deutschen Kinos.

Foto: Pro-Fun Media

In guten wie in schlechten Zeiten

von Frank Brenner

Ein beschauliches Städtchen am Südwesthang des Thüringer Walds. Wer es kennt oder im Film einmal kurz das Autokennzeichen erblickt, weiß, dass es sich um das thüringische Schmalkalden handelt. Rund 20.000 Menschen leben hier, und wenn Chris Miera in „Ein Weg“ diesen Ort als Hintergrund für seine schwule Beziehungsstudie nutzt, dann könnte man vermuten, dass es dabei auch um ein Spießrutenlaufen inmitten einer kleinbürgerlich-konservativen Umgebung gehen könnte. Aber weit gefehlt. Miera konzentriert sich in seiner Erzählung fast ausschließlich auf seine dreiköpfige Patchworkfamilie, bestehend aus dem Floristen Martin, dem Schreiner Andreas und dessen Sohn Max. Freunde und Verwandte, auch Max‘ Mutter, kommen lediglich im Dialog vor. In einigen wenigen Szenen interagieren Andreas und Martin mit Außenstehenden, die ohne Vorurteile mit der schwulen Beziehung der beiden Männer umgehen. Es gibt also scheinbar keine Probleme, die das Paar von außen her bedrohen, sondern nur solche, die von innen heraus wirken und den Zusammenhalt der beiden auf die Probe stellen.

Auf ihre Freunde wirken Andreas und Martin wie das perfekte Paar. Die beiden haben da ihre Zweifel, lachen gar gemeinsam über diese Einschätzung, zumal es ihnen ziemlich egal ist. Wer will schon perfekt sein? Diese Szene findet sich im ersten Teil von Mieras Film, der in insgesamt vier Zeitabschnitte untergliedert ist. Diese ersten Filmminuten sind bestimmt von widerstreitenden Gefühlen. Wir sehen die Männer bei ganz alltäglichen Beschäftigungen – beim Einkaufen, Staubsaugen oder beim Müll rausbringen. Sohn Max nabelt sich von seinen beiden Vätern ab, verlässt das gemeinsame Haus und bekommt heimlich von seinem „Dad“ Martin noch Geld zugesteckt, was Papa Andreas nicht mitbekommen soll. Ganz profane Ereignisse, die auch in jeder heterosexuellen Beziehung vorkommen. Harmonische Momente, wie ein Skype-Dialog zwischen den beiden Männern voller Liebe und Zärtlichkeit, wechseln mit Streitereien und Anschuldigungen, in denen bereits ein tiefer Graben zwischen ihnen offensichtlich wird.

Foto: Pro-Fun Media

Gemeinsam reisen sie an die Ostsee, und Miera, der auch der Kameramann des Films ist, fängt dabei in fantastischen Widescreen-Aufnahmen die Distanziertheit der Männer auch symbolisch im Bild ein. Mit einigem Abstand zueinander gehen sie den menschenleeren Strand entlang, haben sich einander entfremdet, setzen mittlerweile unterschiedliche Prioritäten: Martin möchte entspannen und gemütlich im Ferienhaus abhängen, Andreas ist das alles zu monoton, er will auf Achse gehen und auch mal ganz spontan ins eiskalte Meer springen. Die Ostsee ist der Sehnsuchtsort des Paares, dort haben sie ihren ersten gemeinsamen Urlaub verbracht, wie wir im zweiten Teil des Films erfahren, der 13 Jahre zurückspringt in der Chronologie der Ereignisse. Schlaglichtartig schildert Miera die erste Begegnung bei einem Konzert, den ersten Kuss auf einer Brücke in Schmalkalden und jenen ersten Ostsee-Ausflug, bei dem Andreas geheimnisvoll andeutet, dass er nicht alleine zu haben ist. Kurze Zeit später kommt es zur ersten Begegnung zwischen Martin und Max.

Foto: Pro-Fun Media

Zweimal noch wird Miera im weiteren Verlauf des Films auf der Zeitebene springen. Der dritte Teil zeigt das Paar neun Jahre nach ihrem Kennenlernen. Aus dem Kleinkind Max ist mittlerweile ein junger Mann geworden. Der vierte und letzte Teil ist schließlich ein Jahr nach den Szenen zu Beginn angesiedelt und wirft einen neuen Blick auf die Beziehung der Männer, die sich weiterentwickelt hat. In allen vier Teilen fokussiert der Regisseur auf wichtige Stationen des Zusammenlebens seiner beiden Protagonisten: Es geht um einschneidende Ereignisse, die die Beziehung der Männer auf eine andere Stufe bringen, die ihren Weg in eine neue Richtung lenken. Kaum eines dieser Ereignisse hat dramatisches Potenzial, zumindest nicht im klassischen filmischen Sinne. Auch der Einsatz von Filmmusik, der in der Regel das Geschehen zusätzlich emotionalisieren soll, ist hier sehr zurückgenommen.

Foto: Pro-Fun Media

Stattdessen konzentriert sich Miera voll und ganz auf seine beiden Hauptfiguren. Schwelgt seine Kamera nicht gerade in großartigen Landschaftspanoramen, dann ist sie ganz nah dran an seinen Protagonisten. Auf diese Weise unterstreicht er im Bild eine räumliche Nähe, die er im übertragenden Sinne auf emotionaler Ebene zwischen den Zuschauern und seinen Figuren schon längst hergestellt hat. Das gelingt ihm zum einen durch das intensive, überaus realitätsnahe und authentische Spiel seiner beiden Hauptdarsteller Mike Hoffmann und Mathis Reinhardt, zum anderen durch eine Reduktion auf das Wesentliche, mit der er unaufgeregt und deswegen überaus glaubwürdig aus einer langen, gemeinsam verbrachten Zeit erzählt. Es sind diese semi-dokumentarischen, aus der Flexibilität eines kleinen Filmteams und den teilweise improvisierten Dialogen heraus erwachsenen Qualitäten, die „Ein Weg“ zu einem lebensechten Beziehungsdrama machen, in dem viele Zuschauer_innen eigene Erfahrungen wiedererkennen dürften.




Ein Weg
von Chris Miera
DE 2017, 108 Minuten, FSK 0,
deutsche OF,

Pro-Fun Media

Ab 11. Januar hier im Kino.

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