Axolotl Overkill

TrailerDVD / Blu-ray

Als im Juni Helene Hegemanns Verfilmung ihres eigenen, heftig umstrittenen Not-Coming-of-Age-Romans „Axolotl Overkill“ (2010) um die Irrfahrten der 16-jährigen Mifti in die Kinos kam, wurde er von der Filmkritik mit einem „morbiden, großbürgerlichen Heroinflug“ verglichen und als herrlich sinnfreies Porträt eines wohlstandsverwahrlosten Teenagers gefeiert. Dass Hegemanns Film zugleich einer der wenigen deutschen Filme in diesem Jahr war, in dessen Zentrum eine lesbische Liebesgeschichte steht, fand derweil bestensfalls am Rande Erwähnung. Anlässlich des DVD- und Blu-ray-Starts hat sich Beatrice Behn „Axolotl Overkill“ noch einmal angesehen – und schält aus der zunächst progressiv klingenden Figurenanordnung die reaktionäre Kehrseite heraus.

Foto: Constantin

Freudscher Verseher

von Beatrice Behn

In diesem Film, genau wie im Leben, kriegt man nichts geschenkt. Entweder man nimmt, was man an Brocken hingeworfen bekommt und arbeitet damit. Oder man kann sich halt verpissen. Diese Attitüde ist schon nach den ersten paar Einstellungen von Helene Hegemanns Debütfilm „Axolotl Overkill“ klar und deutlich spürbar, denn das Werk springt erst einmal irgendwo in die Geschichte hinein. Irgendwelche Leute machen da irgendwelche krummen Geschäfte mit Hamburgern und Knarren und Kunst. Erst viel später wird man verstehen, dass hier gerade Ware gehehlt wird. Aber das ist völlig egal, denn eigentlich geht es um das junge Mädchen, das diesem Deal gelangweilt beiwohnt und ihren vegetarischen Burger nicht essen will, denn was ist das überhaupt für ein Scheiß: vegetarische Burger?

Mifti heißt das Mädchen. Sie ist 16 Jahre alt und – auch das findet man erst später heraus – wegen einer Frau hier. Eine, die bedeutend älter ist als sie und die auch ansonsten weit entfernt von dem ist, was man so erwarten würde. Aber das ist genau, was „Axolotl Overkill“  ist: ein Film, der immer anders sein will, als erwartet. Er bleibt dabei Fragment, eine Ansammlung von Momenten, Menschen, Bildern und Geschichten, deren Anfang und Ende wir nicht sehen werden, deren Linearität und Entwicklung sich nur erahnen oder erhoffen lassen. Im Zentrum: Mifti, die man als Neuauflage der Lolita verstehen könnte, würde sie diese Idee nicht sofort zerstören. Denn Mifti ist Mifti, und in ihrer Welt dreht sich alles nur um eines: sie. Sie entzieht sich jeglicher Idee oder Rollenzuschreibung, außer einer: Mifti ist das fleischgewordene Es, das vermenschlichte Lustprinzip aus Freuds Drei-Instanzen-Modell, trieb- und affektgesteuert, mit einer fundamentalen Kompromisslosigkeit, die man leicht mit radikalem Feminismus gleichsetzen könnte. Denn solche Eigenbezogenheit, vor allem in so einer unbeirrten Form, kennt man im Film, wenn überhaupt, nur von männlichen und heterosexuellen Figuren, die sich alles herausnehmen, um ihre Gelüste zu befriedigen, sei es beim Essen, beim Sex, beim Töten oder beim Ausleben ihrer Affekte. Egal ob Neid oder Hass, Liebe oder Eifersucht – ist der Impuls gesetzt, wird reagiert. Heftig, hundertprozentig und ohne jegliche Rücksicht auf andere oder die Folgen. So ist Mifti. Sie tut, was sie will, sagt, was sie will, geht, wohin es ihr gerade passt, und vögelt mit wem sie gerade Bock hat. Und vor allem bei letzterem ist das Geschlecht völlig egal, weil ihr sogar der Mensch egal ist. Es geht nur um das Folgen des Impulses, das Befriedigen des Triebs.

Foto: Constantin

Gleiches macht der Film, der sich einen Dreck um Erzählstrukturen, Figurenaufbau oder irgendwelche anderen Dinge schert. Irgendwann, irgendwo steigt der Film ein, irgendwann, irgendwo wieder aus. Dazwischen hunderte Fragmente, die oft zerfallen, ihre Geschichten und Protagonistinnen dekonstruieren, während die Kamera auf der Suche nach Impressionen stetig hin und her schwebt, ihren Fokus sucht, findet, wieder verliert und überhaupt nur gern auf den Gesichtern ihrer Figuren ab und an zum Halten kommt, um dort nach etwas zu suchen, es abermals zu verlieren und weiterzuziehen. Dabei konzentriert sich der Film, so man hier überhaupt von Konzentration reden kann, auf seine Frauenfiguren: Mifti, die enigmatische Hehlerin, die durchgeknallte Ophelia. Die Männer bleiben Randfiguren, irrelevante Erscheinungen, die alsbald wieder verschwinden.

„Axolotl Overkill“ ist im Gesamten – wie Mifti im Einzelnen – eine einzige eklektische Bewegung, ein Drang nach völliger Freiheit durch Absage an Struktur, Erwartungen, Rollen oder Muster. Doch das macht das Werk nicht zur radikalen feministischen Filmkunst, wie mancherorts zu lesen war.

So fundamentalkritisch Hegemanns Fragmente und ihre Verweigerungshaltung auch erscheinen, sie sind es nicht. Denn die Regisseurin kann es doch nicht lassen, hier und da Hinweise zu geben, die Mifits Verhalten eben doch psychologisch fundieren und erklären und damit eine Grundlage, ja, einen Grund für ihr Dasein, ihr Verhalten bilden. Und diese Grundlage ist im Kern ein typisches Klischee für weibliche Figuren,  gerade für homosexuelle. Auszumachen ist diese an der einzigen Beziehung Miftis, in der mehr als nur Trieb und Affekt zu stecken scheint. Am Anfang und am Ende des Films steht sie in Verbindung mit einer Frau, die sie während des Films immer wieder sucht, findet, liebt, hasst und niemals wirklich loswird. Es ist die enigmatische Hehlerin, die Mifti so ähnlich sieht, obgleich sie locker 30 Jahre älter ist.

Foto: Constantin

Erst scheint es, als wäre es das queere Verlangen des Mädchens, das es hier verankert und hält und ihr erlaubt, an mehr als nur sich selbst zu denken. Doch im Verlauf des Films wird klar, dass es hier nicht um klassische homosexuelle Liebe geht, sondern um Trauma. Denn Mifti hat, anscheinend erst vor Kurzem, ihre Mutter verloren – eine Tragödie, die sie psychisch so belastet hat, dass sie Tabletten nimmt und mit einer Borderline-Störung diagnostiziert wurde, was auch als Erklärung für ihr zügelloses Verhalten dient. Mifti ist nicht befreit, sie dekonstruiert nicht die Erwartungen an Mädchen bzw. Frauen. Mifti ist krank. Sie ist im eigentlichen und im metaphorischen Sinne gestört. Dies ist keine Befreiung, keine Emanzipation, kein radikaler Feminismus, sondern das Gegenteil: Es ist fundamentale Verlorenheit. Trauma. Angst. Verlust. Auch ihre homosexuelle Liebe ist kein Ausdruck von Liebe oder Befreiung oder geschlechtlicher Egalität, sondern sie vermittelt stets das Gefühl, dass es sich hier eher um einen psychosexuellen, geradezu freudianischen Versuch handelt, die mütterliche Nähe zu finden, die sie so schmerzvoll verloren hat. Und so unterliegt dieser angeblich radikalen Befreiung dann doch wieder das alte Klischee, nach dem homosexuelle Liebe und non-konforme Frauen eben nicht normal sind, sondern ihre Liebe und ihr Verhalten letztlich Ausdruck von psychischer Devianz ist. Dieses Denken sitzt so tief, dass es selbst diesem Film, dessen eigentlicher Wunsch es doch ist, mit alten Mustern ein für alle Mal Schluss zu machen, entscheidend prägt.




Axolotl Overkill
von Helene Hegemann
DE 2017, 94 Minuten, FSK 12,

deutsche OF,
Constantin

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