Young Hearts
Trailer • Kino
Elias ist 14 und eigentlich mit Schulkram beschäftigt. Doch als der gleichaltrige Alexander ins Haus gegenüber zieht, gibt es da auf einmal ganz neue, aufregende Gefühle. Am liebsten würde Elias jede freie Minute mit seinem neuen Freund verbringen. Und dann sagt ihm Alexander auch noch, dass er auf Jungs steht! In „Young Hearts“ erzählt der belgische Regisseur Anthony Schatteman von einer ergreifenden Jugendliebe zwischen zwei Jungs, aus der sich das Coming-out ganz natürlich entwickelt. Andreas Köhnemann über einen Film voller Optimismus und Herzenswärme, den viele von uns vielleicht schon gerne mit 14 gesehen hätten. Ab Donnerstag können wir das im Kino nachholen.

Foto: Salzgeber
Du bist nicht allein!
„Ich kenne keine Jungs, die auf Jungs stehen“, sagt Elias an einer Stelle in Anthony Schattemans Langfilmdebüt „Young Hearts“. Für das, was er plötzlich für seinen neuen Mitschüler Alexander empfindet, gibt es im sozialen Umfeld des 14-Jährigen offenbar keine direkten Vorbilder. Bis Alexander mit seinem verwitweten Vater und seiner jüngeren Schwester aus Brüssel im Haus gegenüber von Elias’ Familie in der belgischen Peripherie und kurz darauf in Elias’ Klasse auftauchte, schien es kaum eine Irritation im friedlichen Alltag des jugendlichen Protagonisten zu geben.
Elias ist mit seiner Klassenkameradin Valerie zusammen; die beiden sind Teil einer kleinen harmonischen Clique. Seine Mutter Nathalie und sein Vater Luk sind sehr fürsorglich – und auch sein älterer, zuweilen mürrisch-rebellischer Bruder Maxime verhält sich meist okay. Ein besonders inniges Verhältnis hat Elias zu seinem Großvater Fred, der einen Bauernhof betreibt. Wenn Elias seinen Vater zu Auftritten begleitet, bei denen dieser als lokaler Schlagerstar inbrünstig von der ersten Liebe singt, oder wenn er bei sommerlichen Temperaturen mit seinem Rad auf Wald- und Feldwegen fährt, um nach Hause oder zur Schule zu kommen, fangen der Regisseur und der Kameramann Pieter Van Campe diese Momente in idyllisch anmutenden Aufnahmen ein. Schatteman drehte im Dorf seiner Kindheit und ließ viele autobiografische Elemente einfließen.
Die Erkenntnis, dass die eigene sexuelle Identität vom heteronormativen Umfeld abweicht, führt in zahlreichen Coming-of-Age-Filmen zu großen Problemen. Die Held:innen werden etwa mit völlig verständnislosen, oft gar gewalttätigen Eltern, mit mobbenden Mitschüler:innen oder mit einer glücklosen, unerwiderten Liebe konfrontiert; nicht selten enden die Geschichten in einer Tragödie. Der 1989 geborene Schatteman wollte dieses negative Narrativ indes nicht bedienen, sondern, wie er sagt, einen Film machen, den er „damals hätte sehen wollen, der aber einfach nicht existierte.“ Und so ist „Young Hearts“ betont zuversichtlich, ohne jedoch das innere Ringen von Elias mit seinen bis dato unbekannten Gefühlen auszublenden. Der entscheidende Unterschied zu früheren Erzählungen ist, dass Elias generationenübergreifend von positiven Menschen umgeben ist.
So merkt seine Mutter Nathalie rasch, dass ihm etwas auf der Seele liegt – und sagt ihm, dass sie ihn „nicht gern so traurig“ sehe. Wenn er sich ihr später öffnet, kommt es zu einer unfassbar schönen Mutter-Sohn-Szene. Und auch die Männer in der Familie (sowie Alexanders Vater Marc) stehen hier nicht für eine emotionslose Maskulinität, sondern strahlen die nötige Wärme aus – etwa wenn Luk seinem Sohn zum Spaß im Badezimmer Rasierschaum aufträgt oder ihn bei einem Dorffest freudig umarmt. Der weise Großvater nimmt den Enkel wiederum mit zu einem Kurztrip in die Ardennen, als Elias in einer Situation der totalen mentalen Überforderung „einfach verschwinden“ möchte. Fred zeigt ihm den Lieblingsort der verstorbenen Großmutter – und gibt dem Jugendlichen den denkbar besten Ratschlag: „Freu dich über deine Gefühle!“

Foto: Salzgeber
Ebenso wholesome wie der Familienkreis wird auch die erste Liebe zwischen Elias und Alexander gezeichnet. Mit einem schüchternen Zuwinken von Fenster zu Fenster fängt es an. Als die beiden gemeinsam auf einer Wiese Kirschen essen und Elias Alexander fragt, ob dieser denn schon mal verliebt gewesen sei, bejaht Alexander dies – und erzählt, dass es ein Junge gewesen sei, der in ihm dieses „wahnsinnig gute Gefühl“ ausgelöst habe. Der erste Kuss nach dem Baden im See, die verträumten Blicke, mit denen Elias Alexander beim Klavierspiel anschaut – all das bringt der Film voller Zärtlichkeit auf die Leinwand, nicht zuletzt dank der wunderbaren Chemie zwischen den zwei Hauptdarstellern Lou Goossens und Marius De Saeger.
Zugleich schildert „Young Hearts“ glaubhaft, dass es Elias zunächst ziemlich schwer fällt, damit umzugehen, aus dem ihm vertrauten Raster herauszufallen. Auf die Party einer Mitschülerin, auf der alle als ikonische Duos kommen sollen, geht er mit Valerie als Ritter und Engel – wie Leonardo DiCaprio und Claire Danes in „William Shakespeares Romeo + Julia“ (1996). Durch die Glasscheiben eines Aquariums betrachtet er dann allerdings nicht seine Begleiterin, sondern den als Joker kostümierten Alexander – eine originelle Variation der romantisch-verspielten Sequenz aus dem kunterbunten Baz-Luhrmann-Film. „I’m so strung out from trying to fit it“, singt die Indieband Dorian and the Grays in ihrem Song „Weekend“ auf der Tonspur, während sich Elias verkleidet (und verstellt) auf der Party durch die Räume bewegt: so erschöpft von dem Versuch, unbedingt dazuzugehören.

Foto: Salzgeber
„Weißt du überhaupt, wer ich bin?“, fragt Elias seinen Vater gegen Ende mit sichtbarer Traurigkeit und Verunsicherung. Die Angst, seinem Umfeld durch seine aufblühende Liebe zu Alexander auf einmal fremd zu sein, ist aus seinen Worten und Taten herauszuhören bzw. herauszuspüren. Seine Familie und seine Freund:innen vermitteln ihm jedoch, dass alles gut ist. Kein Mensch muss im Alter von 14 Jahren schon genau wissen, wer er ist; jede Person darf ihre individuellen Erfahrungen machen, darf sich Fehler erlauben und die großen Fragen für sich selbst so beantworten, wie es richtig erscheint. Dieser Film macht deutlich, dass Elias nicht allein ist und dass er geliebt wird. Deshalb ist es sehr erfreulich, dass „Young Hearts“ existiert – für die jüngere Generation ebenso wie für die ältere, die eine solche Geschichte bei ihrem einstigen Aufwachsen nicht auf der Leinwand erleben durfte.
Young Hearts
von Anthony Schatteman
BE/NL 2024, 97 Minuten, FSK 0,
niederländisch-französische OF mit deutschen UT &
deutsche SF,
Salzgeber
Ab 16. Januar im Kino