The Party
Trailer • Kino
Die britische Regisseurin Sally Potter, die Mitte der 1960er die Schule abbrach, um Filme zu machen, und mit dem mit einem Frauenteam gedrehten Erstling „Gold Diggers“ (1983), später mit „Orlando“ (1992) queer-feministische Meilensteine in die Filmgeschichte setzte, ist auch 2017 kein bisschen braver geworden. Im Gegenteil: Mit ihrem energetischen Schnellschuss „The Party“ zeichnet sie kammerspielartig aktuelle (geschlechter-)politische Frontlinien nach und brachte damit Schwung in den Berlinale-Wettbewerb. Hilfe bekam sie dafür von einem Cast europäischer A-Schauspieler. Da knallen nicht nur die Sektkorken.
Das Raufgelage
von Alexandra Seitz
Bildmittig prangt ein Türklopfer in Form eines Löwenhauptes. Und da wird sie auch schon aufgerissen, die Tür zur Höhle des Löwen, oder vielmehr: der Löwin. Vor uns steht eine sichtlich schwer gestresste Frau, das Gesicht verwüstet von Kummer oder Wut. Oder beidem? Jedenfalls schaut, wer auch immer da draußen vor der Türe vor ihr steht, in den Lauf einer Pistole. Mit zitternder Hand gehalten zwar, doch der Blick ist entschlossen.
Das geht ja schon mal gut los, denkt die Zuschauerin, während sie auch schon abrupt ausgebremst wird, denn es folgen nun erstmal schwarz-auf-weiß Filmtitel und Besetzung; dazu erklingt angemessen melancholisch „Jerusalem“, Sir Hubert Parrys bewährter, multifunktionaler Gassenhauer nach einem Gedicht von William Blake. Das schöne Lied von der utopischen Hoffnung auf ein Insel-Paradies auf Erden – das in England inzwischen den Status einer alternativen Nationalhymne innehat, mit dem seinerzeit aber auch die britischen Suffragetten in den Kampf ums Frauenwahlrecht zogen – wird mit dem eigentlichen Beginn der Handlung von einem weiteren musikalischen Statement abgelöst: Vorsichtig setzt ein Mann einen Tonarm auf eine Schallplatte und Bo Diddleys angriffslustige Behauptung „I’m a Man“ erschallt und wirkt wie ein etwas hilfloser Versuch der Selbstvergewisserung. Damit sind die Themen gesetzt: Politik und Sex; Macht und Geschlechterrollen; Emanzipation und Diskriminierung; Feminismus und Patriarchat.
Der Mann am Plattenspieler, der Bill heißt und sein gut gefülltes Rotweinglas nicht im Stich lässt, sieht etwas erschöpft aus, irritiert, geistesabwesend. Also eher wie das Gegenteil der von Diddley beschworenen virilen Bettgranate. Man versteht auch gleich warum, denn in der Küche wirtschaftet Bills Frau Janet, während sie zugleich huldvoll Gratulationsanrufe auf ihrem Smartfon entgegen nimmt. Janet nämlich ist soeben zur Gesundheitsministerin des Schattenkabinetts der Oppositionspartei ernannt worden. Ein Ziel, das sie nicht erreicht hätte, hätte Bill sie nicht unterstützt, zeitlebens und bedingungslos, und zugunsten ihrer Polit-Karriere sogar auf eine eigene Geschichts-Professur in Harvard verzichtet – oder war es Yale? Wobei man sich natürlich auch fragen kann, was genau so großartig daran sein soll, eine rein hypothetische Ministerin zu werden, und ob außerdem der Umstand, dass eine Frau das Gesundheitsressort zugesprochen bekommt, nicht ohnehin nur alte Klischees bestätigt. Aber das nur am Rande, denn wie groß auch immer einem der Erfolg nun erscheinen mag, er muss auf jeden Fall gefeiert werden: Ein Hoch auf Janet! Ein willkommener Anlass für eine Party – und so heißt ja auch der Film: „The Party“, von der renommierten englischen Regisseurin Sally Potter nach eigenem Drehbuch innert zwei Wochen im Juni 2016 auf einem zusammenhängenden Set im West London Film Studio in Hayes chronologisch gedreht. Wie unter Hochdruck also, was dem auf Schauspiel und Dialoge konzentrierten Film – dessen Geschichte zudem die drei aristotelischen Einheiten von Ort, Zeit und Handlung einhält – auf sehr angenehme und äußerst unterhaltsame Weise anzumerken ist.
„The Party“ ist ein geschlossenes Drama, das zunächst das ironisch gebrochene Sittenbild einer arrivierten, ebenso gebildeten wie aufgeklärten Elite antäuscht; der Sekt steht bereit, die Pastetchen backen im Ofen, die Gäste, einige wenige enge Freunde, treffen ein – Klopfklopf! Türe auf, Türe zu! -: Zunächst Janets beste Freundin April, Spötterin aus Prinzip und eine gallige und höhnische Eskalationsspezialistin, mit ihrem Lebensgefährten Gottfried, einem Bilderbuch-Softie, wie ihn die Frauenbewegung der 1970er Jahre hervorgebracht und für den April nichts als Verachtung übrig hat („Shut up!“). Dann Bills beste Freundin Martha, „Vollblutlesbe“ und ältliche Akademikerin, und ihre wesentlich jüngere Angetraute Jinny, die dank moderner Reproduktionstechnologie mit Drillingen schwanger und einigermaßen überfordert ist. Schließlich Banker Tom, der seine Frau Marianne, PR-Spezialistin und zukünftige Kollegin Janets, entschuldigt: sie würde sich verspäten und erst zu Dessert, Käse, Kaffee erscheinen.
Kaum sind alle da, lässt Bill eine Bombe platzen und die Laune ist beim Teufel. Sie war ohnehin von Beginn an nicht die beste, Spannungen lagen in der Luft, Untertöne waren nicht zu überhören, und in den Blicken ließ sich manches lesen. Missgunst? Misstrauen? Missstimmung? Auf jeden Fall! KeineR der Anwesenden lässt sich lange bitten, und bald schon wird aus vollen Rohren gefeuert. Traditionsreicher Londoner Upper-Class-Dünkel trifft auf die alteingesessenen Überzeugungen linksliberaler Intellektueller, post-post-feministische Standpunkte reiben sich an konservativ emanzipatorischen, naturwissenschaftlich fundierte Rationalität prallt auf esoterische Sanftmut und Hysterie auf Pathos auf Selbstmitleid. Leichen werden aus dem Keller gezerrt und schmutzige Wäsche geschleudert. Es wird gejammert, geheult, geschrien und gezetert. Eine unvermeidliche Umdrehung weiter werden aus geschliffenen Verbalattacken ungeschickte Raufhändel und was begann wie ein bissiges Boulevardstück hat sich mir nichts dir nichts in eine beißende Tragikomödie, mit Betonung auf „Tragi“, gewandelt. Wobei die tonalen Wechsel zwischen Dur und Moll, zwischen Satire, Ironie, Sarkasmus und Zynismus unvorhersehbar bleiben und daher immer überraschend sind.
Potter gelingt mit „The Party“ ein meisterliches Kammerspiel in Schwarzweiß, das von seinen sprichwörtlichen, scharfzüngigen Dialogen lebt. Sowie von einer hochkarätigen und großartig aufspielenden Besetzung – darunter ein Koks-entfesselter Cillian Murphy als Tom, eine beängstigend treffsichere Patricia Clarkson als April und ein geradezu rührend patscherter Bruno Ganz als Gottfried -, die mit diesen Dialogen zwei Kämpfe zur gleichen Zeit ausficht: den alltäglichen zwischen Mann und Frau und den politischen zwischen Pragmatik und Idealismus. Ein böses, auf knappe, doch höchst effektive 70 Minuten verdichtetes Vergnügen, an dessen Ende kein Stein mehr auf dem anderen liegt. Und das Ende – ist erst der Anfang.
The Party
von Sally Potter
GB 2017, 71 Minuten, FSK 12,
deutsche Synchronfassung, englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
Weltkino
Ab 27. Juli hier im Kino.