The Artist and the Pervert

Trailer Kino

Der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas, der als einer der wichtigsten Vertreter der Spektralmusik gilt, und die afroamerikanische Sexualpädagogin und Autorin Mollena Williams-Haas suchten 40 Jahre lang nach dem richtigen Partner. Nun leben sie glücklich und offen in einer BDSM-Beziehung, in der Mollena 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche Georgs „Sklavin“ und Muse ist, und er ihr „Meister“. Die Filmemacher*innen Beatrice Behn und René Gebhardt haben das Paar ein Jahr lang begleitet. Vielschichtig und berührend unterwandert ihr Film Klischees, Vorurteile und den normativen Blick auf Liebe und SM – und porträtiert zwei Menschen, die erst in der Beziehung zueinander ganz zu sich selbst gefunden haben. Rajko Burchardt hat „The Artist and the Pevert“, der morgen in den deutschen Kinos startet, für uns gesehen.

Foto: eksystent distribution

A Match Made in Heaven

von Rajko Burchardt

Der Film beginnt mit einer nachdenklichen Pose, gewissermaßen so, wie man sich den Anfang eines gewöhnlichen Dokumentarfilms über den österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas vorstellen würde: Haas schaut aus dem Fenster seines New Yorker Apartments und hält einen Espresso in der Hand. Er beugt sich über Notenblätter, die auf dem Fußboden verteilt sind, und arbeitet konzentriert an einer Partitur. Wir sehen Bilder von der Uraufführung des Ensemblewerkes „Release“, aufgenommen zur Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg. Es wird ein Zitat eingeblendet, das Haas als „wichtigsten lebenden Komponisten“ bezeichnet. Zu Wort kommen Expertinnen und Experten: George E. Lewis, Professor für amerikanische Musik, bescheinigt den Arbeiten von Georg Friedrich Haas eine „neuronale Resonanz“. Seine Spektralmusik versuche „Neuronen im Körper zu kitzeln“, deshalb müsse man sich ihr „völlig hingeben“. Eine andere Professorin für Musik, Susan Boynton, nennt sie „traditionsbewusst, großartig, außergewöhnlich, wunderschön und faszinierend“. Simon Rattle, ehemaliger Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, bezeichnet die Haas-Komposition „In Vain“ als „eines der wenigen Meisterwerke des 21. Jahrhunderts“.

Es folgt ein harter Schnitt, der diese wortreichen Versicherungen von Größe und Bedeutung durch schweigsame Alltagsbilder ersetzt. Schlagartig leitet der Film zum splitternackt durch die Wohnung watschelnden Georg über. Für das Heraussuchen von Klamotten hat er keine Zeit, nach dem Duschen muss er sich gleich an den Computer setzen und die nächste brillante Idee aufschreiben. Links im Bildausschnitt sehen wir die wippenden Beine von Mollena Williams-Haas. Sie fragt, ob Georg etwas brauche, zum Beispiel Anziehsachen. Er sagt ja, also bringt sie ihm welche.

Der Schnitt zur nackten Wirklichkeit ist umwerfend. Er führt weg vom Geniekult ins Innere einer Ehe, verabschiedet sich aber auch von der bewusst konventionellen und falsche Fährten legenden Form jener Dokumentarfilmart, die lediglich referierende Talking Heads aneinanderreiht. Stattdessen konzentrieren sich Beatrice Behn und René Gebhardt in ihrem Regiedebüt „The Artist & The Pervert” auf eine notwendigerweise harsche Neueinstellung des erzählerischen Fokus. Dies ist kein Film über Georg Friedrich Haas, jedenfalls keiner über seine Musik und deren Stellung.

Foto: eksystent distribution

Im Ausschnitt eines Stand-Up-Programms rekapituliert Mollena, wie sie Georg kennen und lieben gelernt hat. Das gemeinsame Verhältnis beschreibt die afroamerikanische Autorin und BDSM-Aufklärerin als „dominant-submissive Dauerbeziehung zwischen zwei gleichwertigen Menschen mit einer ungleichen Machtdynamik“. Verheiratet ist das Paar seit 2015, auf der eingeblendeten Glückwunschkarte steht „match made in heaven“. Aufgaben und Pflichten der Partner wurden im Master-Slave-Vertrag festgehalten – Georg zu dienen, sagt Mollena, bereite ihr „erotisches Vergnügen und Erfüllung“.

Die Fotografin und Freundin Patti Beadles spricht über Mollenas lange Suche nach einem Eigentümer, dem es über dominante Eigenschaften hinaus wichtig sei, „sich umeinander zu kümmern“. Behn und Gebhardt veranschaulichen das Ende dieser Suche als Szenen einer Ehe: Mollenas Hintern wird erst versohlt und anschließend gekitzelt (Georg nennt es „die Nachsorge“). Solche vom Film eingefangenen oder für ihn nachgestellten Kuschel- und Streicheleinheiten vermitteln eine liebevolle körperliche Innigkeit, die nur schwer begreifen lässt, auf welches Unverständnis das Paar zuweilen trifft

Foto: eksystent distribution

Tatsächlich bekamen es Mollena und Georg nach der Veröffentlichung eines Texts in der New York Times über ihre Liebesbeziehung außerhalb der BDSM-Szene mit massiven Anfeindungen zu tun. Unter anderem hieß ist, eine Kink-Beziehung zwischen einem weißem Master und einer schwarzer Sklavin sei historisch so vorbelastet, dass sie nur Ausdruck von patriarchalischen Gelüsten und Selbsthass sein könne. Mollena wurde als Antifeministin und Verräterin beschimpft. Solche Bevormundung, sagt sie im Film noch immer spürbar wütend, sei der Inbegriff von Rassismus – von einer schwarzen Frau werde erwartet, dass sie sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten habe.

Tatsächlich reflektieren beide Ehepartner im Film ihre vermeintlich problematischen Begehrlichkeiten. Georg berichtet, wie die scheinbare Diskrepanz zwischen seiner Lust und seinem Weltbild ihn daran gehindert habe, sich selbst zu akzeptieren. Für ihn sei das Coming-out als Eigentümer ein doppelter Befreiungsschlag gewesen, nicht nur in Bezug auf die Schuldgefühle über seine sexuellen Vorlieben, sondern auch gegenüber der nationalsozialistisch geprägten Erziehung seiner österreichischen Eltern. Diese habe ihrem Sohn beigebracht, sich „rein zu halten“, sagt Georgs Mutter vor laufender Kamera.

Foto: eksystent distribution

Spielerische Comic-Sequenzen, die Georgs Jugend auf der Alm und Mollenas Kindheit in East Harlem sowie ihre Studienzeit an der New York University illustrieren, machen andererseits deutlich, dass es dem Film nicht um eine psychologisierte biographische Rekonstruktion geht. Vielmehr scheint er an der Abbildung eines zum Teil uneindeutigen Machtverhältnisses interessiert, das Fragen nach Dominanz und Servilität auch situativ verhandelt. Als Georg sich während der Arbeit am gemeinsamen Projekt „Hyena“ in einer künstlerischen Krise wähnt, weil Donald Trump soeben zum US-Präsidenten gewählt worden war, fordert Mollena ihn zur Beherrschung auf. Für Sorgen weißer Männer über einen gesellschaftlichen Rechtsruck habe sie jetzt keine Nerven.

Derart augenzwinkernde Momente gehören zu den Höhepunkten von „The Artist & The Pervert”, weil sie die Beziehung der Protagonisten vertiefen, ohne sie zu erklären. Behn und Gebhardt umgehen vorschnelle Deutungsversuche, die – wie nicht zuletzt an den unangemessenen Reaktionen abzulesen ist – schnell in Paternalismus münden können. Georgs und Mollinas Liebe lässt sich nicht ohne weiteres gesellschaftspolitisch einordnen und bewerten, sie hat ihre Eigen- und Verrücktheiten, ist komplex und vielleicht widersprüchlich. Dem Film gelingt es wunderbar, diese Ambivalenzen darzustellen. Er hält dem, was an dieser Beziehung manche irritieren und verunsichern mag, spielerisch Stand.




The Artist and the Pevert
von Beatrice Behn & Réne Gebhardt
DE 2018, 96 Minuten, FSK 12,
deutsch-englische OF, teilw. mit deutschen UT,

eksystent distribution

Ab 30. Mai hier im Kino.

 

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