Teen Apocalypse Trilogy (1993–1997)

DVD

Als die 90er Jahre nach Mixtapes und Zigaretten rochen, filmte Gregg Araki eine Generation, die sich verloren hatte, bevor sie sich überhaupt finden konnte. Mit „Totally F**ed Up*“ (1993), „The Doom Generation“ (1995) und „Nowhere“ (1997) schuf er eine wilde und zugleich zutiefst melancholische Trilogie über Jugendliche, die in einem apokalyptisch grellen Amerika nach Liebe, Identität und Bedeutung suchen. Die „Teenage Apocalypse Trilogy“ ist ein fiebriges Panorama von Queerness, Sex, Gewalt und Popkultur – mit dem sich Araki zum Anwalt der Teenager dieser Generation macht, wie Carolin Weidner schreibt.

Bild: Criterion Collection

Die meisten werden es schaffen

von Carolin Weidner

Guckt man alle drei Teile von Gregg Arakis „Teen Apocalypse Trilogy“ in dichter Folge, stellt sich, trotz offensichtlicher Verschiedenheit von „Totally Fucked Up“ (1993), „The Doom Generation“ (1995) und „Nowhere“ (1997) ein bemerkenswerter Effekt ein: Elemente fließen ineinander, die Gesamtheit der Filme summiert sich zu einem einzigen transgressiven, verstörenden und lustvollen Rausch.

Durch sie alle trägt James Duval, den Araki gleich zu Beginn von „Totally Fucked Up“ in einer Art Video-Screentest präsentiert: als nihilistischen Romantiker, irgendwo zwischen James Dean und einem jungen Ian McCulloch. Andy („Totally F**ed Up“), Jordan („The Doom Generation“) und Dark („Nowhere“) sind zwar jeweils einer gewissen Entwicklung und unterschiedlichen Szenarien ausgesetzt – im Kern aber bleibt es derselbe, nach wahrer Liebe suchende queere Teenager, der sich bisweilen erschüttert bis zum Selbstmord zeigt. So endet „Totally F**ed Up“ für Andy in einer fatalen Affektreaktion: Alkohol und Putzmittel konsumierend, ertrinkt er im Pool. Nach seinem Tod flackert Andy noch einmal in Form eines Videotapes auf, angefertigt von Freund Steven, einem Filmenthusiasten, der, neben sexuellen Abenteuern, auch mit der Lektüre von André Bazins „What is Cinema?“ beschäftigt ist. Andy sitzt auf der Wiese und monologisiert: „All I really want is to be happy for, like, one second. Be able to look around and not just see shit, and say, hey, it’s a beautiful day. I want to enjoy life while I’m still young enough to appreciate it. I mean, that’s what it’s all about, right?”

Die Frage geht ins Leere. Quasi niemand in Gregg Arakis Trilogie ist in der Lage, das Leben zu genießen. Zugespitzt könnte man sagen, Jugend und Freude schließen sich kategorisch aus. Zu groß sind die Gefühle, zu schrecklich die USA, aufgeschnappte oder erlangte Weisheiten lösen sich in Luft auf und werden von kurzsichtigen Aktionen verdrängt. Oder wie Araki sagt: „Certainly, when you’re a teenager, everything seems so apocalyptic. The emotions are so big. You just feel so much when you’re young.” Alles ist fluide, wandelt sich beständig und folgt der Logik des Moments. Eine Dramaturgie, wie sie am intensivsten vielleicht in „The Doom Generation“ zu erleben ist, einem Bonnie-und-Clyde-artigem Roadtrip, der gleichzeitig von einer erotisch aufgeladenen Dreiecksgeschichte erzählt.

 

Duval ist hier als Jordan White mit seiner Freundin Amy Blue, gespielt von Rose McGowan, zu sehen. Beide passen nur bedingt zueinander, sie sind High School Sweethearts, selbst das erste Mal steht ihnen noch bevor. Doch wo Jordan unschuldig bis unbedarft daherkommt, gibt Amy die Femme Fatale mit Pagenschnitt, kleinem Schwarzem, rotem Lippenstift und Sonnenbrille. Ihr Treibstoff: Meth und Diet Coke. „The Doom Generation“ nimmt seinen Anfang auf einer Party, in deren Hintergrund die Lettern „Welcome to Hell“ diabolisch aufleuchten. Eine laute, krachende Szenerie, die Amy allerdings ermüdet: „This place is so fucking boring, I wish someone would burn it to the ground.“ Jordan hat die entsprechende Reaktion parat: „Wanna go to heaven?“ Himmlisch wird es nicht. Immerhin aber nimmt die Langeweile ein Ende: in Form von Xavier Red, genannt X. Denn X tötet versehentlich den Tankstellenkassierer Nguyen Coc Suc, dessen abgetrennter Kopf auch noch nach seinem Tod zetert und grünen Schleim absondert. Amy und Jordan sind vor Ort und somit zwangsweise Teil des Geschehens. Die Schicksalsgemeinschaft auf der Flucht ist zementiert – und sie bringt die ersehnte Dynamik in die Beziehung.

Von Araki vorgeblich für ein heterosexuelles Publikum konzipiert – war im Vorspann von „Totally F**ed Up“ noch „another homo movie by gregg araki“ zu lesen, ist daraus nun „A heterosexual movie by Gregg Araki“ geworden – wirkt „The Doom Generation“ eher wie ein Trojanisches Pferd: Johnathon Schaech spielt seinen X als grenzüberschreitendes, ungehobeltes, hochattraktives Sex Beast, dessen Interesse zwar mehrheitlich Amy gilt, doch auch Jordan gelangt bald auf seinen Radar. Bereits in „Totally F**ed Up“, der einen queeren Freundeskreis um sechs Teenager porträtiert – vier von ihnen schwul, zwei bilden ein lesbisches Paar –, thematisierte Araki Andys Bisexualität beiläufig. In „The Doom Generation“ existiert ein ganz eigener Suspense, der sich ausschließlich aus der Frage speist, wann Jordan X nachgibt, sich das Dreiecksgespann auch sexuell manifestiert. „The Doom Generation“ ist der Teil der Trilogie mit der sinnlichsten, ausformuliertesten Erotik. Und in Sachen lüsterner Frequenz wahrscheinlich nur übertroffen durch den Auftritt von Lilith, Shad, Heather Graham und Ryan Phillippe in „Nowhere“, deren einzige Rolle darin besteht, durchgehend Sex zu haben. Doch wo die Teenage-Wollust hier durchaus persifliert wird, hat sie in „The Doom Generation“ eine andere Funktion: Es ist der Bereich, in dem Begegnung möglich wird, der einen Ausweg aus einem Amerika verspricht, in dem Neonazis und andere düstere Gestalten lauern. Sex ist Eskapismus und Meditation zugleich, Spielfläche und Freiheit. Für Amy und Jordan ist Sex einmal sogar „On“ von Aphex Twin.

Das Werk von Gregg Araki ist ein grundlegend sexpositives. Gefahr geht nie vom sexuellen Selbstausdruck aus, sondern von einem Klima, das tabuisiert und ideologisiert, Missbrauch deckt und Schuld umkehrt. Insbesondere „Totally F**ed Up“ problematisiert die gesellschaftlich geschürte Aids-Phobie sowie die höhere Selbstmordrate unter queeren Jugendlichen. Noch bevor Andy, Tommy, Michele, Patricia, Steven und Deric überhaupt zu sehen sind, rückt Araki einen Zeitungsausschnitt in den Vordergrund: „The National Institute of Mental Health said that 30 percent of teenagers who commit suicide are gay. Authorities explain that gay youths readily become despondent over their failure to succeed as heterosexuals while betraying their feelings of homosexuality because of society’s prejudice.“

Bild: Criterion Collection

Araki wird durch seine Filme zum Anwalt dieser Teenager, mit denen er sich gleichsam identifiziert. Wie er leben sie in einer Welt geprägt von Punk und Wave, tragen Nine-Inch-Nails-Band-Shirts und geben sich Existentiellem wie Albernem hin. „Totally F**ed Up“, „The Doom Generation“ und „Nowhere“ stammen gewissermaßen aus den Notizbüchern Arakis und seiner eigenen Playlist. Dabei erweist er sich als feinsinniger und genauer Beobachter von Zeitgeist und Trends: Sind in „Totally F**ed Up“ noch deutliche Anzeichen der Achtziger zu spüren, explodiert „Nowhere“ nahezu in grellen Farben, Haarspangen und gelben Smileys. Wenn plötzlich Stacey Qs „Two of Hearts“ zu hören ist, fragt man sich kurz, ob man nicht doch versehentlich in „Party Monster“ (2003) gelandet ist. Die Soundtracks der „Teen Apocalypse Trilogy“ verdienten einer eigenständigen Betrachtung. Araki selbst verweist in Interviews immer wieder auf The Jesus and Mary Chain: „noise and chaos“ an der Oberfläche, darunter „quite romantic and wistful and melancholy“. Kurz: „Teen Apocalypse Trilogy“ in a nutshell.

Das gleiche Gespür beweist Araki für seine Heimatstadt Los Angeles. In „Totally F**ed Up“, mit minimalem Budget und ohne jede Drehgenehmigung entstanden, ist es ein Ort der Extreme: gleißend hell oder dunkel, zumeist einsam. Oder wie Ian, in den sich Andy verliebt, postuliert: „LA is so fucking weird. I mean, all the muscle queens, cars, freeways. I’m from Minneapolis. Two years I’ve been here, I haven’t gotten to know hardly anyone. It’s the alienation capital of the world.” „Nowhere“ wiederum gelangt an exzentrische, extraterrestrisch anmutende Stätten. Nicht zufällig gewährt der Blick aus Darks Zimmer eine Sicht ins Universum, fremde Galaxien und gemahnt an den bevorstehenden Weltuntergang. Eine Stimmung, von der hier ein ganzes Teen-Ensemble ergriffen ist. „Nowhere“ spielt an einem einzigen Tag, wobei eine Party am Abend den gemeinsamen Fluchtpunkt markiert. Vierundzwanzig Stunden, in denen Dark endgültig den Glauben an seine Monogamie-verweigernde Freundin Mel verliert, er sich seine Gefühle für den hübschen Montgomery eingesteht und ein Außerirdischer, der nur für Dark sichtbar ist, Jugendliche vaporisiert.

Bild: Criterion Collection

„Nowhere“ birst vor Erzählsträngen und zukünftigen Hollywoodstars, von denen zum Drehzeitpunkt noch niemand gehört hat. Bekannt als „Beverly Hills 90210 on acid“, begibt sich der Abschluss der Trilogie mehr in die Populär- denn Subkultur, die sich jedoch umso niederschmetternder darstellt: ein Baywatch-Held vergewaltigt die unschuldige Egg, woraufhin diese in Depressionen versinkt und sich umbringt. Die reichen Valley Girls hocken, ironischerweise, an der Bushaltestelle und lästern, während eine Gruppe anderer Mädchen sich kollektiv der Bulimie hingibt. Drogensucht und Traumata blühen und finden desaströse Ausgänge, während Mutter und Vater sich vom Fernsehgerät hypnotisieren lassen. Bei Araki sind sie groteske Schreckgestalten, ignorant oder mit giftgrüner Gesichtsmaske. Die Teenager haben ausschließlich sich selbst, ihre Freunde oder niemanden. Ihren Seelenzustand projiziert Araki an die Wände ihrer Zimmer („i don’t deserve to breathe“, „want to stop the crying“).

Möchte man die „Teen Apocalypse Trilogy“ unter einem Wort vereinen, dann wäre es vielleicht „longing“. Sehnsucht, Verlangen und Begierde beschleunigen auf schwindelerregende Geschwindigkeiten und interessieren sich nicht für Konsequenzen. Bei Gregg Araki ist es düster, aber auch sehr expressiv und schön. Die Teenager sind doomed, aber die meisten werden es schaffen. Und möglicherweise zu ähnlichen Schlüssen gelangen wie Araki: „All the things you need to do when you’re your teenager, in your 20s, in your 30s, you’ve gotta figure out all that shit. It’s not until later that you go, “Okay, I’ve got it figured out, and now I’m ready for whatever.“


Teen Apocalypse Trilogy
von Greg Araki
US 1993–1997, 244 Minuten
englische OF

Auf DVD