Sally Rooney: Gespräche mit Freunden

Buch

Ein Roman, der den intersektionalen Feminismus einem Alltagstest unterzieht, verortet sich sofort als Stimme der Millennial-Generation: Sally Rooney wurde 1991 in Irland geboren und weiß, wovon sie schreibt. Ihr Roman „Gespräche mit Freunden“ erkundet ein modernes Lebensgefühl und unterscheidet sich damit höchst erfreulich von all den Familien-, Liebes- und Krankengeschichten, die die Gegenwartsliteratur derzeit dominieren. Anja Kümmel hat das Buch für uns gelesen.

Leistungsverweigerin Version 4.0

von Anja Kümmel

Gesagt zu bekommen, man habe keine „echte Persönlichkeit“, wird normalerweise eher nicht als Kompliment verstanden. Frances, die 21-jährige Hauptfigur in Sally Rooneys Debütroman „Gespräche mit Freunden“, nimmt die Zuschreibung ihrer Ex-Geliebten und besten Freundin Bobbi allerdings gelassen hin. Mehr noch: „Ich stimmte ihrer Einschätzung im Großen und Ganzen zu.“

Es ist wohl kein Zufall, dass eine weitere Hauptfigur dieser Selbstfindungsgeschichte in Form einer ménage à quatre, die Rooney auf knapp 400 Seiten entfaltet, ähnlich passiv und formbar wie Frances wirkt: Der zehn Jahre ältere Nick, der als Schauspieler in fast jede Rolle zu schlüpfen vermag, während er zu Hause unter der Fuchtel seiner launischen Ehefrau Melissa steht – und diese Dynamik durchaus zu genießen scheint. Kein Wunder, dass Frances sich zu Nick hingezogen fühlt, während die dominante Bobbi mit Melissa zu flirten beginnt.

In den USA wird die irische Autorin (Jahrgang 1991) derzeit als die Stimme der Millennial-Generation gefeiert. Man darf vermuten, dass sich dieser Hype zum Großteil aus der bisweilen verstörenden Flexibilität und Fluidität speist, die ihre Figuren an den Tag legen – Grundvoraussetzungen, um im Neoliberalismus zu bestehen, und zugleich der beste Weg zur Selbstauslöschung. Dies ist nur eine der subtil boshaften Zeitgeistdiagnosen, die „Gespräche mit Freunden“ en passant mit transportiert.

Sally Rooney – Foto: Klaus Holsting

Frances und Bobbi, die in der Highschool zwei Jahre lang ein Paar waren, sind noch immer unzertrennlich – so scheint es zumindest. Sie studieren am renommierten Trinity College in Dublin und führen in ihrer Freizeit zusammen Spoken-Word-Stücke auf. Nebenher absolviert Frances ein (natürlich unbezahltes) Praktikum in einer Literaturagentur. Kurz gesagt führt sie das Leben eines weiblichen Slackers, einer Leistungsverweigerin Version 4.0. Im Vergleich zu ihren wohlhabenden Freund_innen stammt sie aus eher bescheidenen Verhältnissen, was sie durch ihren distinguierten Habitus allerdings gut zu verbergen weiß. Zwar beneidet sie unterschwellig den Reichtum anderer, selbst hegt sie jedoch keinerlei Karriere-Ambitionen. Bobbi indes schleppt ihr kulturelles Kapital mit sich herum wie eine Bürde, die ihr jedoch zugleich Eintritt verschafft zur Welt der Reichen und Schönen – in deren Peripherie auch Nick und Melissa verkehren. Was genau die beiden ungleichen Paare zueinander hinzieht, belässt Rooney (wie so vieles) im Vagen. Dass hinter der diffusen Anziehung auf allen Seiten eine gewisse Berechnung steckt, zeigt Frances’ obsessive Selbst- und Fremdbeobachtung. Als die beiden jungen Frauen zum ersten Mal die Wohnung von Nick und Melissa betreten, feilt sie bereits an ihrer Mimik und überlegt sich Phrasen, „um charmant zu wirken“. Und, siehe da, ihr Charme wirkt: Schon bald lässt sie sich auf eine stürmische Affäre mit Nick ein, während Bobbi Melissas Vertrauen zu gewinnen sucht. Doch auch zwischen Frances und Bobbi ist nicht alles ganz so geklärt, wie es anfangs den Anschein hatte.

Ein zunächst recht klassisch anmutendes Vierecksdrama mit den bekannten Zutaten (Eifersucht, Unsicherheit, Heimlichkeit, Schuldgefühle) nimmt seinen Lauf. Teils spielt es sich, bei Ente und Rotwein, vor der malerischen Kulisse Nordfrankreichs ab (Éric Rohmer lässt grüßen), teils aber auch – und da sind wir wieder ganz im Hier und Jetzt – in Chats, Emails und Telefongesprächen. Rooney beherrscht all diese Register perfekt; wer allerdings kein Fan von ausgedehntem Geplänkel und Befindlichkeitspalaver à la Rohmer, Godard oder Woody Allen ist, dürfte streckenweise genervt sein von Frances‘ minutiösen Analysen und Selbstbespiegelungen, ebenso wie von Nicks etwas pubertär wirkender Coolness. Schade, dass die eigentlich interessantere, da unglaublich vielschichtige Beziehung zwischen Frances und Bobbi erst gegen Ende mehr Raum bekommt. Immer wieder deutet sich die komplexe Mischung aus Identifikation und Begehren an, die sie aneinander bindet, etwa in Frances‘ Überzeugung, weniger hübsch und beliebt zu sein, oder in ihrer zwanghaften Vorstellung, wie Bobbi auszusehen: „Ich steigerte mich so sehr hinein, dass ich es selbst glaubte, und wenn ich dann zufällig mein Spiegelbild sah, überkam mich ein seltsam entpersonalisierender Schrecken“. An solchen Stellen könnte der Roman beinahe in Richtung Psychothriller kippen – doch sorgt genau dieses „Entpersonalisierte“ dafür, dass die Verstörung unterschwellig bleibt.

Parallelen zu Chris Kraus‘ Kultroman „i love dick“ drängen sich derart auf, dass er auf den letzten Seiten (ohne allerdings den Titel zu nennen) in einem Nebensatz, gleichsam als ironischer Wink, Erwähnung findet. Allerdings, und das ist der entscheidende Unterschied, geht das literarische Alter Ego der Autorin in „Gespräche mit Freunden“ nicht so weit, wie Chris Kraus als brillante Essayistin immer wieder mit voller Absicht den Textfluss zu unterbrechen und dabei in Kauf zu nehmen, einige Leser_innen abzuschrecken. Vielmehr stellt sie ein charmantes Halbwissen zur Schau, das auf Belesenheit schließen lässt, sich jedoch ohne nennenswerte Reibungsverluste in den Plot einfügt. Da wird über „westliche Wertesysteme und kulturellen Relativismus“ diskutiert, Gayatri Chakravorty Spivaks „Kritik der postkolonialen Vernunft“ erwähnt, oder nebenbei „eine hitzige Online-Diskussion über Drohnenangriffe“ geführt, alles jedoch ohne Stellung zu beziehen oder inhaltlich einzusteigen. Bisweilen gewinnt man den Eindruck einer veritablen Namedropping- und Party-Small-Talk-Parodie, etwa als Frances ein Theaterstück anschaut und dabei an Jean Baudrillard denken muss, „obwohl ich seine Bücher nie gelesen hatte und er wahrscheinlich auch gar nicht über diese Themen schrieb“. Hält Rooney hier einem Publikum den Spiegel vor, das sich selbstredend zu einem exklusiven Zirkel der Intellektuellen und Weltgewandten zählt, in Wahrheit jedoch keinerlei Lust verspürt, sich tatsächlich mit komplexen Themen zu beschäftigen? Oder bleibt „Gespräche mit Freunden“ einfach deshalb an der Oberfläche, weil es nun mal ein Bestseller sein möchte, und kein Kultbuch für ein Nischenpublikum wie „i love dick“?

Zu den Stärken des Buches zählt wiederum, wie Rooney mit feinem Gespür für Machtgefälle und deren beständigen Wandel den intersektionalen Feminismus einem radikalen Alltagstest unterzieht. Wie ändern sich hierarchische Dynamiken durch eine subtile Verschiebung von Wissen? Was bedeutet Konsens, wenn man die eigenen Grenzen nicht kennt? Und, last but not least: „Ist es möglich, dass wir ein Alternativmodell entwickeln, wie wir einander lieben?“

Tatsächlich scheint dies die zentrale Frage zu sein, um die der Liebeswirrwarr wortreich und durchaus auch mit einigem Körpereinsatz kreist. Unverständlich bleibt allerdings, warum die Autorin ihre Geschichte genau an der Stelle abbrechen lässt, an der sich ein neuer Möglichkeitsraum auftun könnte. So bleiben Bobbis Ausführungen über „nicht-monogame Liebe“ eine eher theoretische Randbemerkung – die praktische Umsetzung literarisch zu erkunden wagt „Gespräche mit Freunden“ leider nicht.



Gespräche mit Freunden
von Sally Rooney
Aus dem Englischen von Zoe Beck
Gebunden, 384 Seiten, 20,00 Euro,
Luchterhand Verlag

 

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