Riley

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Was tun, wenn die mühevoll aufgebaute Fassade vermeintlicher Normalität einfach nicht mehr halten will? Inspiriert von seinen eigenen Erfahrungen als ungeouter Football-Spieler an der High-School erzählt Benjamin Howard in seinem Debütfilm „Riley“ mit beeindruckendem Feingefühl davon, wie sich das Erwachsenwerden anfühlt, wenn der Erwartungsdruck der anderen jeden Tag ein Stück zu wachsen scheint. Ein Film, der die Klischees adoleszenter Erzählungen geschickt unterläuft – und dabei „das Durcheinander, die Verwirrung und Verzweiflung des Erwachsenwerdens berührend einfängt“, wie Andreas Köhnemann schreibt. Ab sofort ist der Film im Salzgeber Club zu sehen.

Bild: Salzgeber

Reifeprüfungen

von Andreas Köhnemann

Manche Filme setzen auf ganz großes Drama. Alles spitzt sich darin zu. Es geht um ewiges Glück oder unendliche Trauer. In anderen Filmen ist wiederum nichts wirklich ernst. Jede Geste geschieht dann mit einem Augenzwinkern und einem lockeren Gag. Der Regisseur und Drehbuchautor Benjamin Howard findet in seinem sensibel erzählten Langfilmdebüt „Riley“ einen angenehm lebensnahen Mittelweg. Hier beherrschen weder übersteigerte Feel-Good– noch Feel-Bad-Töne die Handlung. Stattdessen schildert Howard in einem weitgehend ruhigen Stil die Selbstsuche eines 18-Jährigen – mit dem nötigen Gespür für jugendliche Gefühlswelten.

Die in einer Region des San Diego County angesiedelte Geschichte des titelgebenden High-School-Football-Spielers trägt autobiografische Züge: Auch Howard war in seiner Schulzeit ein erfolgreicher Amateursportler mit vielversprechenden Karriereaussichten. Und wie Riley fiel es ihm damals extrem schwer, zu seiner sexuellen Identität zu stehen. Die persönliche Erfahrung ist der differenzierten Figurenzeichnung deutlich anzumerken.

Auf den ersten Blick arbeitet das Skript mit der stereotypen Dramatis Personae des US-Adoleszenzkinos, wie es in den 1980er Jahren insbesondere durch John Hughes’ „The Breakfast Club“ (1985) geprägt wurde und sich in späteren Dekaden immer tiefer ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben hat: etwa durch Amy Heckerlings „Clueless – Was sonst!“ (1995) und Mark Waters’ „Girls Club – Vorsicht bissig!“ (2004) sowie durch populäre Teen-Serien wie „Beverly Hills, 90210“ (1990-2000) und „O.C., California“ (2003-2007). Mit seiner athletischen Erscheinung und seiner ebenso sportlichen Clique entspricht Riley perfekt dem Typus des beliebten Jocks. Er ist im Abschlussjahr der High-School und hat bereits sechs Angebote für College-Stipendien erhalten. Eine sorgenfreie Zukunft scheint ihm bevorzustehen.

Mit diesem Image und diesen Möglichkeiten ist jedoch auch ein enormer Erwartungsdruck verbunden. An einer Stelle spricht Riley davon, nicht der zu sein, der er „sein soll“ – etwa in den Augen seines Vaters Carson, der zugleich sein Trainer ist und den eigenen Sohn zu dem gefeierten Football-Star machen will, der er selbst nie geworden ist. Zu Hause am Esstisch spricht Rileys Mutter Miriam stets ein Gebet. Der Film ist dabei keine Abrechnung mit gläubigen Menschen; Carson und Miriam werden nicht als schlechte Eltern bloßgestellt. Vielmehr zeigt Howard auf subtile Art, wie die Ansprüche und das vorgelebte Weltbild innerhalb der Familie neben dem empfundenen Gruppenzwang im Freundeskreis den inneren Konflikt des Protagonisten befeuern. Das dieser Konflikt so sicht- und fühlbar wird, ist Hauptdarsteller Jake Holley zu verdanken. Er bringt Rileys unbestimmten Wunsch, die eigenen Bedürfnisse zu begreifen, gefühlvoll zum Ausdruck – wie auch seine Angst vor der Wahrheit und vor den Reaktionen der anderen.

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Riley härtet sich mit Sport ab – und performt so eine Hypermaskulinität, die ihn im Kastenwesen der High-School verlässlich an der Spitze hält. Mit seinem besten Kumpel Jaeden, den er heimlich begehrt, kann Riley problemlos in einem Zimmer schlafen, im Whirlpool sitzen, engen Körperkontakt beim Krafttraining haben, in der Umkleidekabine über Intimrasur scherzen, ja sogar gemeinsam masturbieren, solange all das in einem behaupteten Hetero-Rahmen passiert – zwischen zwei Typen, die klar auf Frauen stehen. Aber jeder zu sinnliche Blick, jedes zu emotionale Wort könnte sofort verräterisch sein. Die Homoerotik in den Aufnahmen des Kameramanns Michael Elias Thomas lässt Rileys unterdrücktes Begehren in die betont heteronormative suburbane Sport-Welt eindringen.

Ähnlich wie zum Beispiel „Giant Little Ones“ (2018) von Keith Behrman, „Sublime“ (2022) von Mariano Biasin oder „Golden Delicious“ (2022) von Jason Karman lädt „Riley“ die seit Langem vertrauten Elemente einer Coming-of-Age- und Coming-out-Story mit Aktualität auf und verleiht dem klischeebehafteten High-School-Setting eine erfrischende Glaubwürdigkeit. Queer zu sein ist in diesem Kosmos kein völlig undenkbarer, zwangsläufig tragischer Ausnahmezustand mehr, wie es in früheren Coming-out-Filmen wie James Boltons „Dream Boy“ (2008) der Fall war. Dennoch ist die Homophobie (auch in ihrer internalisierten Form) bei allem Fortschritt nicht gänzlich verschwunden.

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Queerfeindliche Sprüche in seinem Umfeld und mehr noch die eigenen Hemmungen sorgen zunächst dafür, dass Riley krampfhaft an einem heteronormativen Selbstbild festzuhalten versucht. So datet er seine Mitschülerin Skylar, die eine tiefe Zuneigung für ihn hegt. Um jedoch tatsächlich glücklich zu werden, muss er sich von einem Ideal verabschieden, dass er unter dem Einfluss seiner Eltern und seiner Peergroup über Jahre hinweg aufgebaut hat.

Zu einer spannenden Figur, die Riley in seinem Denken und Handeln herausfordert, wird der offen schwule Klassenkamerad Liam. Während Riley seine Gefühle im Verborgenen hält, ist Liam eine konfrontative Person, die alles zur Sprache bringt. Er wehrt sich vehement gegen das Mobbing durch Rileys Sportfreunde und scheint genau zu wissen, wer er ist und was er will. Hier unterläuft „Riley“ abermals die Klischees adoleszenter Erzählungen: Liam verzehrt sich nicht verschüchtert nach dem attraktiven Helden, sondern gibt ihm mit seiner No-Bullshit-Einstellung schlagfertig Kontra. Connor Storrie, der in Todd Phillips’ „Joker: Folie à Deux“ (2024) eine ebenso eindrückliche Schauspielleistung als Insasse einer psychiatrischen Anstalt geliefert hat, stattet Liam mit einer starken Präsenz aus, deren katalysatorische Wirkung auf Riley immer nachvollziehbar ist.

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Indem der Film Liam, Skylar und Jaeden nicht nur als Randfiguren behandelt, macht er deutlich, dass letztlich jeder Mensch eine persönliche Geschichte mit individuellen Hürden zu bewältigen hat – hier hat nicht nur die Hauptfigur ihre Probleme. Dies trifft auch auf den Mann zu, mit dem sich Riley per Dating-App verabredet, um eine erste schwule sexuelle Erfahrung zu sammeln. Durch wenige Worte lässt er erkennen, dass sein Hintergrund und seine Entwicklung ebenfalls Stoff für einen interessanten Film böten.

Berührend fängt „Riley“ das Durcheinander, die Verwirrung und Verzweiflung des Erwachsenwerdens ein. Statt zum soapigen Melodrama zu werden oder auf ironische Distanz zu gehen, erzählt Howard aufrichtig vom emotionalen Chaos eines jungen Mannes. Die inneren und äußeren Konflikte, denen sich Riley stellen muss, sind am Ende nicht plötzlich gelöst. Aber eine Zuversicht ist da. Wir sehen, wie ein junger Mensch ehrlicher zu sich selbst und gegenüber seiner Außenwelt geworden ist. Und das ist genau die Art von Film, die wir immer brauch(t)en, um den Mut nicht zu verlieren. Oder ihn überhaupt erst fassen zu können.




Riley
von Benjamin Howard
USA 2023, 93 Minuten, FSK 12,
engische OF mit deutschen UT

Ab 2. Oktober im Salzgeber Club