Ralf König: Vervirte Zeiten

Buch

Zwischen März und Oktober 2020 erfreute Ralf König seine Fans auf Facebook und Instagram täglich mit Kurzcomics zum Leben und Lieben seines schwulen Kultpaars Konrad und Paul in Zeiten von Corona. In den Kommentaren wurde stets danach gefragt, ob es das auch bald als Buch gäbe. Nun hat König sämtliche Folgen im Band „Vervirte Zeiten“ zusammengefasst. Michael Sollorz hat das Pandemie-Tagebuch in Comicstripform gelesen und das Wiedersehen mit den Knollennasen wie ein Nach-Hause-Kommen empfunden.

Penis im Cockdown

von Michael Sollorz

Es wird ja viel gelogen. Aber Hand aufs Herz, wie ist das nun, wenn der Schwanz nicht mehr richtig hart wird? Beginnen wir mit Goethe: „Gerne der Zeiten gedenk’ ich, da alle Glieder gelenkig – bis auf eins. Doch die Zeiten sind vorüber, steif geworden alle Glieder – bis auf eins.“ Er darf uns leidtun, der betagte Weimarer Geheimrat, denn seinerzeit verhalf noch kein Pharmazeutikum zur Spannkraft jüngerer Tage. Da hat es Paul Niemöser besser, oder?

„Vervirte Zeiten“ beschert uns ein unverhofftes Aufleben von Konrad & Paul, knollennasige Helden seit nun schon beinahe dreißig Jahren. Die neue Veröffentlichung, edel aufgemachtes Hardcover mit rotem Lese-Bändchen, ist buchstäblich aus der Not geboren. Eingangs räumt Ralf König anderweitige Buchpläne ein, nämlich etwas über „Political Correctness, gendergerechte Sprache, Querelen in der queeren Szene und verabscheuungswürdige alte weiße Männer“. Doch dann kam Covid 19. Von März bis Oktober 2020 postete er jeden Tag vier Bildchen auf Facebook, und siehe: „Die Comics, für die ich Konrad und Paul reanimierte, gingen schnell durch die Online-Decke und wurden eifrig geteilt.“

Anfang der 90er Jahre erschien „Bullenklöten“, der erste Band über das herzallerliebste Paar Konrad, die Kulturtine, und Paul, das immergeile Lederkerlchen. Nichts schien aus den Fingern gesaugt. Die Fettnäpfe, die König seinen Knollennasen hinstellte, waren sämtlich im echten Leben besorgt, und zwar eher in Rudis-Reste-Rampe als bei Manufactum. Niemand verulkte so treffsicher die Blödigkeit unserer sogenannten Szene. Auch die Heteros kriegen ihr Fett weg, und zwar nicht zu knapp, ohne dass es in Verachtung abrutschte. Als dann vor über 20 Jahren „Super Paradise“ erschien, kostete es König Leser, dass er seinen Paul das Schicksal allzu vieler Artgenossen teilen und sich mit HIV infizieren ließ. Auch der legendären Fernseh-Show „Liebe Sünde“ purzelte die Quote, wann immer ihr Schöpfer Matthias Frings das Thema Aids in die Sendung nahm. Gibt es Dinge, an die wir nicht erinnert werden wollen?

Ralf König – Foto: VVG Köln

Nun also die nächste Seuche, Corona in Cologne. Mittlerweile geht Paul Niemöser auf die 60 zu, ein Dickerchen mit grauen Dreitage-Borsten um die ungebremst freche Schnauze. Oder, wie es Gatte Konrad herzlos formuliert: „Eine lächerliche Gestalt mit zunehmendem Alter.“ Die beiden sind scheinbar schon immer zusammen, Überlebende jener sagenhaften Vorzeit, als LGBTQI* noch nicht ersonnen ward und solche wie sie bloß schwule Männer hießen. Denen stand der handliche Gattungsbegriff für freudigen Analverkehr, für Darkrooms und alberne Kaffeekränzchen, Discogetöse & Drogen – auf den ersten Blick ein kleiner, klar umrissener Kosmos aus der Komfortzone großer Städte des Westens.

Dass die Dimension des erfolgreichsten deutschen Comic-Autors aber sehr viel weiter greift, bewies er mit etlichen Büchern. Schon in den 80ern, ganz am Pulsschlag jener Jahre, erschien die kluge Gesellschaftssatire „Der bewegte Mann“. Was ist schwul, was hetero? Wo wurde die bodenlose Lächerlichkeit unserer (kleinen?) Unterschiede jemals bissiger in Szene gesetzt? Der gewaltige Erfolg zog eine Verfilmung mit Joachim Król und Til Schweiger nach sich; richtig, es gibt diese Dinge, an die wir nicht erinnert werden wollen. Später kam „Lysistrata“, brandaktueller Antiken-Stoff. Hier kneifen die Weiber ihre Schenkel zusammen, damit ihre Kerle endlich mit dem Krieg aufhören. Einfach herrlich war das, was Ralf König daraus machte. Leider ist die halbe Menschheit der zweieinhalbtausend Jahre alten Empfehlung des weisen Aristophanes bis jetzt noch immer nicht gefolgt.

Für einen Leser ihrer Generation fühlt sich das Wiedersehen mit Konrad und Paul wie nach Hause kommen an. Da haben wir ihn wieder, diesen ganzen drolligen Niemöser-Clan, eine rheinische Muppet-Show. Konrad, der Musikstunden gibt, dann Pauls Kumpels, sie heißen Spargel und Lutscher, nicht zu vergessen Ludger, der mit Cyalis aushilft, und Pauls atemberaubend schlichte Schwester Edeltraud. Die stärkste Figur ist diesmal der 80-jährige Vater. Paul bringt den unentwegt nörgelnden Greis ans Kiffen, und siehe, der kriegt gar nicht genug davon und will schon bald sein halbes Seniorenstift mit Stoff versorgen.

Den dünnen Handlungsfaden liefert ein gewisser Basti Knaller, Filialleiter bei Rewe und gesegnet mit dem appetitlichsten behaarten Hinterschinken. Dem hechelt der arme Paul so schamlos hinterher, dass man ihn wachrütteln möchte. „Regel Nr. 1“, so wird er wohlmeinend gewarnt: „Man darf als alternder Homosexueller nie bedürftig wirken!“ Doch der Verliebte bleibt im Fieber, kann gar nicht anders, so lautet sein Auftrag.

Die Herkunft als Tages-Post ist dem Buch anzumerken. Doch ohnehin lebt das Genre kaum von großen Spannungsbögen, sondern zuvorderst von der Liebe, welche ja, auch darin dem Teufel verwandt, bekanntlich im Detail steckt. Sie bekommt ihren rührenden Auftritt, als der ansonsten allzeit eher nachsichtige Konrad seinen Partner vom knackigen Knaller abzulassen bittet – wegen der Virusgefahr. „Und was hast du jetzt vor, Daddy?“, erkundigt sich ein Freund am Telefon. „Wie überstehst du den Corona-Winter ohne Winsel und Fiep?“ Gute Frage. Paul wird wohl daheim hocken bleiben und seinen nächsten Fantasy-Porno fabrizieren. Sicher ist sicher. Denn es stimmt ja: Wehe dem, der nicht im Schutz der Liebe altert. In dieser Hinsicht ist Paul ein Glückspilz. Schließlich liegt der kleine Quälgeist geborgen bei seinem Konrad; hier ist er zu Hause. Home-Office und Quarantäne, heißen die Mantra-Vokabeln der Pandemie, Mindestabstand und Nasenschutz, Einsamkeit und Klopapier. „Mein Penis hat Cockdown“, jault Paul. Wilder Sex findet jetzt gerade noch am Rechner statt, via Skype, jeder für sich, das Poppers griffbereit. In seiner leisen Vornehmheit bringt es Konrad auf den Punkt: „Der Humor ist verzweifelt, aber wir sollten ihn nicht verlieren.“

Deswegen hoffen wir und bitten artig, dass Ralf König schon recht bald seine ursprüngliche Absicht wieder aufgreift und an der sogenannten politischen Korrektheit seine begnadete Spottfeder spitzt. Und sollte er anschließend nicht gesteinigt worden sein von den wackeren ErstreiterInnen des Statthaften, so mögen dem Meister auch fürderhin seine beiden ergrauten Helden interessant genug und erhalten bleiben! Konrad & Paul, wie kommt ihr weiter durch die Jahre? Dürfen wir euch bis zum Schluss begleiten? Denn wir alten weißen Männer werden auch noch in unsern Pflegebetten der königlichen Tröstung dringend bedürfen.




Vervirte Zeiten
von Ralf König
Gebunden, 192 Seiten, 24,00 €
Rowohlt Verlag

↑ nach oben