Queercore: How to Punk a Revolution

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Regisseur Yony Leyser erzählt in seinem neuen Dokumentarfilm die Geschichte jener lose verbundenen Gruppe von nordamerikanischen Punk-Künstler_innen, die in den 1980er und 90er Jahren ihre queeren Identitäten radikal ins Zentrum der eigenen Arbeiten rückten – und sich damit nicht nur gegen die damals von heterosexuellen Männern dominierte und latent homophobe Punk-Bewegung auflehnten, sondern auch gegen den allzu angepassten schwulen Mainstream. „Queercore“, der ab Donnerstag im Kino läuft, gewährt spannende Einblicke in eine Szene, über die man hierzulande wenig weiß, erinnert unseren Autor Peter Rehberg aber auch etwas zu sehr an eine Geschichtsstunde. Läuft das klassische Bildungsformat des Films vielleicht sogar an zentralen Ideen der Bewegung vorbei?

Foto: Edition Salzgeber / Christopher Wilde

Gay Is Not Enough

von Peter Rehberg

Queercore – Das klingt so, als hätte queer einen harten, beständigen Kern, als gäbe es unumstrittene Kritierien dafür, was und wer wirklich queer ist. Kompromisslos. Über die Frage, wer die Deutungshoheit von queer hat und hier Besitzansprüche anmelden darf, ist allerdings gerade in diesem Jahr mit der Veröffentlichung des von der Berliner Polittunte Patsy l’Amour laLove herausgegebenen Sammelband “Beissreflexe”, der die Kritik einer queeren Hochschulkultur zum Anlass einer Abrechnung mit den US-amerikanischen Queer und Gender Studies nimmt, heftigst gestritten worden. Auf die totalitären Gesten einer missverstandenen Identitätspolitik innerhalb der queeren Hochschulszene ist mit einem plumpen Gender-Theory-Bashing geantwortet worden, das wiederum die professionellen Vertreter_innen zur Verteidigung ihrer Disziplin auf den Plan rief. So die verqueere Lage gerade.

Der Dokumentarfilm “Queercore: How to Punk a Revolution” des US-amerikanischen Regisseurs und Produzenten Yoni Leyser, der zuvor mit “William S. Burroughs: A Man Within” (2010) und “Desire Will Set You Free” (2015) bekannt wurde, blickt zurück auf die subkulturellen Anfänge von queer in der Punkszene Torontos Ende der 1970er Jahre. Man könnte die Genealogie von queer auch anders schreiben. Zum Beispiel im Rückgriff auf die schwulen und bisexuellen Autoren der Beat Generation oder die queeren Hipster im New York der 1960er um Jack Smith und Andy Warhol. Das Ende der 1970 ist insofern von Bedeutung, weil es – vor allem schwulengeschichtlich –  innerhalb der westlichen Welt sowohl den Moment vor Aids als auch den vor einer umfassenden Kommerzialisierung der Szene und damit eine bestimmte Radikalität markiert. Homocore, ein Begriff der später zu Queercore ausgeweitet wurde, ist so zum Ursprungsmoment einer Bewegung geworden, über die heute viel Verwirrung herrscht.

Foto: Edition Salzgeber / Alice Wheeler

Das Label Homocore geht auf eine Gruppe schwuler und lesbischer Künstler_innen und Aktivisten_innen in Kanada zurück. Genau genommen waren es erstmal nur zwei: Bruce LaBruce und G.B. Jones. Zusammen machten sie das Fanzine J.D. Sie hatten genug von den Machopunks der Szene. Zwar wollten sie die Energie von Punk, aber ohne dessen Homophobie und Sexismus. Damit positionierten sie sich an zwei Fronten zugleich: als Alternative zum allzu straighten Punk und eben auch als Alternative zu den Kommerzialiserungs- und Anpassungswünschen von Schwulen und Lesben selbst. In diesem Sinne wurde der Begriff Homo/Queercore geprägt.

Ausdruck fand diese Haltung und Sensibilität zunächst vor allem im Medium des Fanzines. Seine DIY-Produktion und Ästhetik sollte die unverfälschte Wahrhaftigkeit der Subkultur bezeugen. Das Fanzine ist von Fans für Fans gemacht, wobei der Gegenstand der Begeisterung in diesem Fall ja kein entrückter Star, sondern gerade der gemeinsame Lebensstil ist. Mit dem Fanzine geht es um eine kulturelle Selbstbehauptung, ohne den Einfluss von Markt- und Machtinteressen – so der Anspruch. Das selbstgemachte Magazin ist dabei nicht unbedingt Dokument einer tatsächlich um sich greifenden Szene, sondern kann auch die Funktion haben, eine Welt herbeizuträumen, die noch gar nicht existiert.

Foto: Edition Salzgeber / Alice Wheeler

Mediengeschichtlich ist das Fanzine ein Vorläufer von Blogs und Social Media. Folgerichtig versucht der Film “Queercore” die Geschichte der prädigitalen Formen queeren Widerstands seit den späten 1970ern einzufangen. Queercore – wie Homocore spätestens seit den 1990ern genannt wurde – zeigt sich dabei über die Fanzine-Kultur hinaus zunehmend als ein vor allem von Frauen verkörperter Musikstil. Von der queeren Punkszene, über den Alternativ- und Artrock der 1980er, zur Riot-Grrrl-Bewegung der 1990er bis in die Gegenwart. Kim Gorden von Sonic Youth, Beth Ditto von The Gossip und Peaches kommen zu Wort. Aber auch John Waters und immer wieder Bruce LaBruce. Die eigentliche Heldin der Queercore-Bewegung ist in dieser Perspektive auf jeden Fall die Butch Dyke. Aus gutem Grund, denn als einzige queere Figur lässt sie sich nicht vom Kapitalismus vereinnahmen – diese Position jedenfalls reklamiert Queer-Forscher Jack Halberstam für die toughe Lesbe: “The Butch Dyke as the only one not marketable”.

Foto: Edition Salzgeber / Tom Jennings

Was medien-, musik- und gendergeschichtlich als Beschreibung von queer Sinn macht, ist inhaltlich doch zugleich schwer zu fassen. Denn was ist hier das Queere an Queercore? Variationen von Gender und Begehren, klar. Aber ob die allein eine Garantie für Subversion sind, ist fraglich, wie auch John Waters im Film klarstellt: “Gay is not enough”. Das ‘Recht auf fun’, das die Protagonist_innen hier immer wieder für sich einklagen, kann auch nicht umstandslos politisch verstanden werden – schon lange nicht mehr. Das könnte inzwischen ja auch ein FDP-Slogan sein. Die Befreiungsnarrative, die der Film referiert, sind heute so antiquiert bzw. in den Mainstream gewandert, dass sie wirkungslos geworden sind. Ausserdem ist es ja auch immer ein bisschen traurig, wenn alternde Menschen einem weismachen wollen, dass ihr Jugendzeit die beste Zeit überhaupt war. Was aber hat dann Queercore außer privater Nostalgie noch zu bieten?

Der Film fährt soviel Material auf und ist so rasant geschnitten, dass es fast nicht auffällt, dass er eine Antwort auf diese Frage schuldig bleibt. Trotz der Betriebsamkeit der Bilder, der man durchaus gerne zuschaut, findet hier eine Musealisierung der Queercore-Bewegung statt, die keine Impulse für die Gegenwart liefert. Die parodistische Drehung einer queeren Geschichstschreibung, der etwa Bruce LaBruces RAF-Porno “The Raspberry Reich” (2004) auszeichnete – als Eingständnis, dass wir heute nicht mehr den selben Zugriff auf die emanzipatorischen Ideen der 68er haben –, sucht man hier vergeblich. “Queercore” ist ein Bildungsstück geworden, dem es ausgerechnet an queerer Subversion mangelt.




Queercore: How to Punk a Revolution
von Yony Leyser
DE 2017, 83 Minuten,
englische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Homepage zum Film

Ab 7. Dezember hier im Kino.

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