Philipp Stadelmaier: Queen July

Buch

Bereits in seinen Theaterstücken „Black Square“ und „Vanishing Points“ hat sich Filmkritiker und sissy-Autor Philipp Stadelmaier mit dem Aufeinanderprallen von bürgerlicher Wohlständigkeit und politischer Wirklichkeit auseinandergesetzt. Auch sein Debütroman „Queen July“ zielt auf den Clash zwischen Erster und Dritter Welt. Aziza hat ihre Jugendliebe Strehler nie vergessen, auch nicht in Dschibuti, wo sie seit ein paar Jahren lebt. Als Strehler plötzlich wieder in ihr Leben kracht, verwickelt sich Aziza in Schwärmereien, die nur ihre neue Pariser Bekannte July zu entwirren vermag, bei der sie den Sommer verbringt. Christian Lütjens hat „Queen July“ für uns gelesen.

Eine Wanne in Paris

von Christian Lütjens

Aziza ist Spross einer Mutter aus Dschibuti und eines Vaters aus dem Senegal, Gin-Trinkerin, Jazz-Liebhaberin und Lebedame. Ihre Jugend hat sie im Multikulti-Trubel des 13. Pariser Arrondissements verlebt, inzwischen arbeitet sie als Anästhesistin im Land der Herkunft ihrer Mutter in Ostafrika. „Dschibuti ist das, was Casablanca in den Vierzigern war“, beschreibt Aziza ihre neue Wahlheimat und spielt damit auf das Profil des Landes als Freihandelszone, internationaler Logistik-Hub und Teil der sogenannten „Neuen Seidenstraße“ an. Wenn Aziza nicht im Krankenhaus arbeitet, treibt sie sich in den Restaurants und Cocktail-Kneipen von Dschibuti-Stadt herum, vorzugsweise in der Bar des Sheraton, die ihr regelmäßig als Rampe für spontane Orgien mit Hotelgästen aus aller Welt dient.

Aber all das erfährt der Leser nur aus retrospektiven Erzählungen, denn die Haupthandlung spielt in Paris. Beziehungsweise im Badezimmer der Titelheldin July, bei der sich Aziza während ihres Sommerurlaubs einquartiert hat. Die beiden Frauen haben über eine gemeinsame Freundin zusammengefunden und ergänzen sich bestens. Während sich die gelassene Gastgeberin der Gluthitze des Pariser Sommers entzieht, indem sie in einer Wanne mit kaltem Wasser liegt und Burgunder trinkt, sitzt Aziza auf dem Kachelboden daneben, trinkt mit und erzählt dabei ihre Lebensgeschichte.

Es gibt gute Gründe dafür, denn Aziza ist nicht ohne Hintergedanken nach Paris zurückgekehrt. Sie will ein Phantom einfangen, das sie seit 18 Jahren nicht zur Ruhe kommen lässt: ihre Jugendliebe Anselm Strehler. Nach Jahren der Funkstille hat sie wieder Kontakt zu ihm aufgenommen. Dabei sind alte Gefühle aufgebrochen. Nun sind die beiden verabredet – um Klarheit zu schaffen über die Ursachen ihrer damaligen Trennung und, wenn es nach Aziza ginge, um einen Neuanfang einzuleiten. Unter diesen Umständen kann es nicht schaden, die Geschichte der Jugendliebe mit einer lebenserfahrenen Zuhörerin wie July noch mal zu analysieren und dabei über Beziehungen, Gefühle, Sex und das Leben im Allgemeinen zu räsonieren.

Philipp Stadelmaier – Foto: Anna Siehs

„Wie ein französischer Film“ soll „Queen July“ laut Verlagsinfo daherkommen, und tatsächlich gelingt es dem Roman, einen Hauch von Pariser Sommerträgheit einzufangen. Das hat vor allem damit zu tun, dass der Autor, der selbst mehrere Jahre in Paris studierte, die Lebenswelt seiner Protagonistinnen gut genug kennt, um sie frei von Klischees und Touri-Kitsch zu skizzieren. Dass Stadelmaier sich als Filmwissenschaftler und Godard-Experte einer erzählerischen Methode bedient, die auch im französischen Kino beliebt ist – eine kammerspielartige Dialog-/Monolog-Situation wird als Ausgangspunkt für einen allgemeinen Diskurs über die psychologischen Fallstricke von Liebe, Verlangen und Sehnsucht genutzt –, passt dazu sehr gut.

Doch ein reduziertes Setting entfaltet seine Wirkung nur, wenn Autor und Protagonist*innen wissen, was sie sagen wollen. Diesbezüglich fehlt es „Queen July“ an Eindeutigkeit, was schade ist, denn im Kern haben vor allem die Hauptfiguren viel Potenzial. Aziza und July sind beide Women of Color, beide haben ein ausschweifendes Sexleben, in dem sie „einem netten Arsch jedweden Geschlechts (…) nicht immer abgeneigt“ sind. Beide haben familiäre Bezüge in afrikanische Länder, die in der deutschsprachigen Literatur völlig unterrepräsentiert sind. Es gäbe also jede Menge Relevantes über queere, postkoloniale oder migrantisch geprägte Identität zu erzählen. Doch die genannten Themen werden lediglich angerissen, nicht vertieft. Stattdessen liegt der Fokus auf der Story über die Neuentdeckung einer alten Liebe, die sich in weiten Teilen in Spekulationen darüber ergeht, wie einzelne Aussagen, Textmessages oder Handlungen des „Phantoms“ Strehler wohl gemeint gewesen sein könnten.

Dass diese Spekulationen am Ende des Romans nicht aufgelöst werden, kann man als Kommentar auf die Vergeblichkeit des Überinterpretierens amouröser Hirngespinste lesen. Oder (wie es vielleicht eher vom Autor gemeint ist) als Entlarvung der Ignoranz der Hauptfigur Aziza, die in ihrer Dekadenz soziale und politische Schieflagen in ihrem Umfeld weitgehend ignoriert. Fakt ist dennoch: Um als Satire durchzugehen, als Kommentar auf postkoloniale Strukturen in Frankreich und Afrika oder als ernsthafte Auseinandersetzung mit Gefühlen und ihrer Verselbstständigung im Zeitalter des Globalismus fehlt es dem Text sprachlich und inhaltlich an Schärfe. Queer ist er derweil nur an seinen Rändern: im indifferenten Umgang der Protagonistinnen mit der Geschlechtlichkeit ihrer Liebhaber*innen und einer charmanten Pointe am Schluss.

So bleibt Stadelmaiers Roman am Ende rätselhaft: Warum werden reale Vorfälle wie ein Bombenanschlag in Dschibuti im Jahr 2014 oder die Pläne eines ägyptischen Milliardärs für die Flüchtlingsinsel „Aylan Island“ in die Handlung eingebunden (oder im Falle des Anschlags sogar aufgebauscht), wenn sie am Ende nur indirekt zur Entwicklung der Hauptfigur beitragen? Warum gibt es im Text eine Reverenz an den unvollendeten Stummfilmklassiker „Queen Kelly“, dessen Antiheldin mit „Queen July“ eigentlich nichts gemein hat außer einer turbulenten Erfahrung in Afrika? Und ist es eine verborgene Botschaft, dass July in ihrer Wanne den 1793 vollendeten Roman „The Marriage of Heaven and Hell“ des englischen Poeten William Blake liest, in dem die befreiende Wirkung einer „unvergesslichen Phantasie“ herbeivisioniert wird?

July würde auf diese Fragen in der ihr eigenen Abgeklärtheit wohl antworten: „Who cares, Darling?“ Kaltschnäuzigkeiten wie diese machen die Titelheldin zur eigentlichen Sympathieträgerin des Romans. Etwas mehr July und weniger Aziza hätte gutgetan.




Queen July
von Philipp Stadelmaier
Hardcover, 144 Seiten, 19 €,
Verbrecher Verlag

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