Peter Hujar’s Day

Trailer • Kino

Im Jahr 1974 traf sich der schwule Fotograf Peter Hujar in New York mit seiner Freundin Linda Rosenkrantz, um ihr für ein Kunstprojekt von seinem Tag zu erzählen. Aus dem Projekt ist nie etwas geworden, doch die Abschrift des Gesprächs hat Ira Sachs („Passages“) nun in den Film „Peter Hujar’s Day“ verwandelt: ein intensives und gleichzeitig leichtfüßiges Kinoerlebnis, das nicht nur den viel zu früh verstorbenen Peter Hujar feiert – sondern auch die Freundschaft und die Kunst. Ein wunderbar intimer Film, der mit seiner unverstellten, faszinierenden Alltäglichkeit ganz bei sich ist, findet Christian Horn.

Bild: Salzgeber

Es lebe der Alltag!

von Christian Horn

Manhattan im Dezember 1974. Das Tonband läuft. Für ein Buchprojekt der Autorin Linda Rosenkrantz berichtet der Fotograf Peter Hujar umfassend von seinem gestrigen Tag. Wie er aufgestanden ist, wie er kurz mit Susan Sontag telefoniert hat und sich danach eigentlich noch mal hinlegen wollte, wie er eine französische Reporterin empfangen hat, wie der weitere Tag zwischen Dunkelkammer und einem Fototermin verlaufen ist, wie er abends ins Bett gegangen und nachts noch einmal aufgewacht ist. Hujar ist einer von mehreren Menschen aus der New Yorker Kunstszene, die Rosenkrantz in einem Buch porträtieren will.

Sie hat es nie beendet. Doch im Jahr 2019 tauchte ein Transkript des langen Gesprächs auf, das Rosenkrantz und Hujar an jenem Dezembertag geführt hatten – und das Jahrzehnte alte Kunstprojekt bekam die Chance auf ein neues Leben: Der Filmemacher Ira Sachs („Passages“) nahm sich das Protokoll als Grundlage und schuf daraus den Film „Peter Hujar’s Day“, in dem Ben Whishaw und Rebecca Hall als Hujar und Rosenkrantz einen Tag in Hujars Apartment verbringen und der schwule Fotograf seiner engen Freundin mit vielen Details von seinem Vortag erzählt.

Entstanden ist dabei ein ganz und gar ungewöhnlicher Film, dessen äußere Handlung sich auf ein Gespräch beschränkt und dabei unaufgeregt ein Fenster in eine ganz spezifisch umrissene Vergangenheit öffnet. So vermittelt der Film ein plastisches Bild der New Yorker Kunstszene Mitte der 1970er Jahre, die Ira Sachs mit vielen Worten, aber auch mit einer liebevoll detaillierten Ausstattung behutsam aufleben lässt. Hier und da fallen prominente Namen wie Allen Ginsberg oder William S. Burroughs, mit denen Hujar als Fotograf kollaboriert hat. Noch prägender für den Film ist allerdings die vertraute Intimität, mit der er die Freundschaft zwischen Linda Rosenkrantz und Peter Hujar darstellt: wie die beiden gemeinsam lachen, auch mal lästern und tratschen, nebeneinander liegen, Beiläufiges und Essentielles bereden.

Die Form passt Sachs dem zeitlichen Kontext an. Gedreht wurde das Charakterstück auf analogem 16-mm-Material, wobei das 4:3-Format und die wiederholten Porträtaufnahmen den Blick auf die Interaktionen zwischen Hujar und Rosenkrantz lenken. Auch wenn die Anlage grundsätzlich an ein Theaterstück erinnert und als solches sicher ohne viele Anpassungen funktionieren würde, fügt allein schon die Wahl des körnigen Filmmaterials einen filmischen und entzückend haptischen Charakter hinzu. Darüber hinaus setzt Sachs kleine Erzählbrüche, wenn der Ton mal wegbricht, das Bild springt oder kurz unscharf wird. Und das holt „Peter Hujar’s Day“ dann wieder ganz aus dem Theater hinaus.

Bild: Salzgeber

Lebendig wird der Blick in die Vergangenheit durch die hervorragende Besetzung mit Ben Whishaw und Rebecca Hall, die jeden Moment in freundschaftlicher Chemie zueinander spielen. Im Mittelpunkt steht Whishaw als Hujar, der als Interviewter naturgemäß viel mehr Redeanteil hat. Rebecca Hall fällt indes nie in die Rolle einer bloßen Statistin. Als Zuhörerin, Kommentatorin, Fragenstellerin ist sie ein essentieller Teil der Versuchsanordnung und auch eine Stellvertreterin des Publikums. Wie Rosenkrantz folgen wir den minutiösen Ausführungen des Protagonisten, wobei unweigerlich Bilder und ganze Szenen im Kopf entstehen, die Sachs ganz bewusst nicht mit naheliegenden Rückblenden zur Darstellung bringt, sondern der Imagination überlässt – eine wichtige und stilbildende Entscheidung für den Film. Wenn Hujar von seinem Besuch in einem chinesischen Restaurant spricht und einen auffälligen Kunden beschreibt, der erst kleine Quadrate auf die Serviette gezeichnet hat und dann 3,45 Dollar für seine Bestellung bezahlte, ist der Film mit seiner unverstellten und faszinierenden Alltäglichkeit ganz bei sich.

Der Reiz geht eben nicht in erster Linie von den Referenzen an Köpfe aus Kunst und Kultur und den diesbezüglichen Aha-Momenten aus. Als Hujar von Allen Ginsbergs „heruntergekommener“ Wohnung in der Lower East Side berichtet, wo er den Beat-Poeten als ersten Auftrag für die New York Times fotografiert hat, ist das zwar interessant – die wahre Faszination des Films liegt aber im Zusammenspiel seiner beiden Hauptfiguren und im Porträt der Beziehung des Fotografen zur aufstrebenden Autorin. Es legt sich eine ganz besondere Stimmung über die Bilder, wenn Hujar beim Erzählen auf dem Sofa sitzt oder fläzt, wenn beide nebeneinander im Bett liegen und auch mal schweigen. Das fühlt sich so ehrlich und beiläufig vertraut an wie die besten Freundschaften im echten Leben.

Bild: Salzgeber

Das macht „Peter Hujar’s Day“ der klaren zeitlichen Verortung zum Trotz zum zeitlosen Kunstwerk. Dabei entwickelt der kurze Film einen stimmigen Fluss, der nie langweilt, obwohl nicht wirklich etwas passiert und es keine Spannung im eigentlichen Sinn gibt. Stattdessen vergeht einfach nur ein Tag, den zwei Menschen, die sich kennen und mögen, miteinander verbringen. Und das ist schlicht wunderbar.



Peter Hujar’s Day
von Ira Sachs
US 2025, 76 Minuten
englische OF mit deutschen UT

Ab 6. November im Kino