Mein Bruder, der Held

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In dem thailändischen Coming-Age-Drama „Mein Bruder, der Held“ ist Schwul- oder Transsein ganz selbstverständlich – aber auch Standesdenken, Korruption und mafiöse Strukturen. Der Debütfilm des koreanisch-amerikanischen Regisseurs Josh Kim wurde 2015 im Panorama der Berlinale uraufgeführt, vielfach ausgezeichnet und von Thailand ins Oscar-Rennen geschickt. Bei uns ist der Film über zwei Waisenbrüder, deren Schicksal ein Los bestimmt, vor kurzem auf DVD erschienen.

Foto: Edition Salzgeber

Jenseits von Silom

von Micha Schulze

Wer in Thailand zur Armee muss und wer nicht, entscheidet das Los. Offiziell zumindest. Mit 21 Jahren bekommen alle männlichen Thais einen Einberufungsbescheid zur staatlichen Wehrpflichts-Lotterie. Transgender und Jungs mit gesundheitlichen Problemen werden vor Ort aussortiert, dann geht’s zur öffentlichen Ziehung. Wer einen roten Zettel aus dem Glas fischt, muss zwei Jahre dienen, wer einen schwarzen bekommt, hat Glück gehabt. Die Quoten werden im Vorfeld von der Armee nach Bedarf festgelegt.

In Josh Kims Film „Mein Bruder, der Held“ bekommen der schwule Ek, sein Lover Jai und ihre Freundin Kitty die Vorladung zu diesem weltweit einzigartigen Rekrutierungsspiel. So richtig zittern muss aber nur Ek – Kitty wird als ‚Ladyboy‘ sowieso ausgemustert, Jay kommt aus einer reichen Familie. Es ist in Thailand ein offenes Geheimnis: Mit genügend Geld können die Eltern es vorab arrangieren, dass der Aufruf des Sohnes zur Ziehung erst dann erfolgt, wenn nur noch schwarze Zettel im Glas übrig sind. Der Schein der Gerechtigkeit bleibt bei der Bestechung gewahrt, das ist wichtig im Land des Lächelns.

Doch Freikaufen ist für den Waisenjungen Ek ein Ding der Unmöglichkeit. Mit seinem Tresenjob in der abgelegenen Stricherbar ‚Café Lovely‘ kommt er gerade so über die Runden, zusammen mit seinem jüngeren Bruder Oat lebt er bei seiner religiösen Tante in einfachen Verhältnissen am Stadtrand von Bangkok. Für den elfjährigen Oat, aus dessen Perspektive der Film erzählt wird, ist Ek ein Vaterersatz; ihn für zwei Jahre aus den Augen zu verlieren, unvorstellbar. Um ihm den Wehrdienst zu ersparen, beklaut der verzweifelte Junge ausgerechnet den lokalen Mafiaboss Sia – und wird ertappt. Zur Strafe muss Ek in Sias Stricherbar nicht nur hinterm Tresen, sondern auch im Séparée arbeiten.

Es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet ein koreanisch-amerikanischer Regisseur eine sehr thailändische Geschichte erzählt. Vielleicht weil Josh Kim, der selbst mehrere Jahre in Bangkok lebte, die Absurdität des Einberufungsrituals, die großen Einkommensunterschiede und die allgegenwärtige Korruption anders oder bewusster wahrgenommen hat als ein Einheimischer, für den all dies zur Normalität des Alltags gehört. In einer Gesellschaft, in der jeder nach dem schnellen Aufstieg strebt, hält man sich mit sozialen Problemen eher nicht auf.

Völlig selbstverständlich wird die spannungsreiche Beziehung zwischen den beiden jungen Schwulen Ek und Jai erzählt, die sich mit der drohenden Wehrpflicht, ihrer unterschiedlichen Herkunft, der Willkür der Mächtigen und auch Eifersucht herumplagen müssen, in keiner Sekunde aber mit Homophobie. Ebenso selbstverständlich tritt die transsexuelle Kitty als lebenserfahrene Ratgeberin auf. „Mein Bruder, der Held“ zeigt authentisches queeres Leben in Thailand, das seinen LGBT-Bürgern zwar noch immer gleiche Rechte verwehrt, sie aber weitgehend toleriert.

Foto: Edition Salzgeber

Mit dem wilden Nightlife in Bangkoks Silom Road, wo sich die schwulen Touristen aus aller Welt amüsieren, hat der Film ebensowenig zu tun wie mit den ‚Trasher‘-Partys, Beauty-Kliniken oder Fashion-Events, die in der thailändischen Hochglanzausgabe von ‚Attitude‘ für die aufstrebende junge Homo-Mittelschicht beworben werden. Josh Kims Film ist ein klassisches soziales Drama nach dem Vorbild von Heinrich Heine, in dessen Mittelpunkt ein einfacher schwuler Protagonist im heutigen Thailand steht, der von der Gesellschaft fast vergessen wurde.

Hinzu kommen beeindruckend-schöne Bilder aus dem ‚urigen‘ Bangkok abseits der hektischen Malls, Wolkenkratzer und achtspurigen Straßen im Dauerstau. In den Holzhütten an den Klongs, die am Stadtrand noch nicht zugeschüttet wurden, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein – auch hier hat „Mein Bruder, der Held“ sehr vom Auge eines Fremden profitiert. Zu seinem gelungenen Langfilmdebüt, das 2015 im Panorama der Berlinale uraufgeführt wurde und seitdem einige Preise einheimsen konnte, hatten Kim die Kurzgeschichten des amerikanisch-thailändischen Autors Rattawut Lapcharoensap inspiriert, ebenfalls jemand mit Blick von außen und innen.

Für den Erfolg von „Mein Bruder, der Held“ in Thailand – das Drama wurde vom Land als bester fremdsprachiger Film für einen Oscar eingereicht – dürfte jedoch vor allem die hervorragende Besetzung gesorgt haben. Thai-Superstar Toni Rakkaen spielt den älteren Oat, der bekannte Schauspieler Kowit Wattanakul gibt den launischen Mafiaboss Sia, und der queere Künstler Michael Shaowanasai glänzt als schmieriger, schwuler Freier in der Stricherbar. Enttäuschend ist eigentlich nur Arthur Navarat als Bürgersohn Jai, der mit seiner in Thailand als attraktiv geltenden hellen Haut hauptsächlich als hübsch in Erinnerung bleibt. Was aber auch irgendwie gut passt.

Manche Szenen im Film sind leider zu schemenhaft geraten, vor allem im ‚Café Lovely‘ bekam der mahnende soziale Zeigefinger des Regisseurs eine Dauererektion. Mit Drogen und einem Sexangebot an den elfjährigen Oat hat Josh Kim viel zu dick aufgetragen. Weniger wäre hier glaubwürdiger gewesen.

Besonders stark ist „Mein Bruder, der Held“ in jenen Momenten, in denen die verschiedenen Welten, die im heutigen Thailand parallel existieren, aufeinanderprallen. Etwa wenn die sehr traditionelle Tante durch Zufall Eks Poppersfläschchen auf dem Schrank entdeckt und sehr unthailändisch ausrastet, oder beim völlig missglückten Geburtstags-‚Festmahl‘ im Burger-Schnellrestaurant. Ek kratzt sein letztes Geld für Oats allerersten Cheeseburger zusammen, doch der spuckt das teure Geschenk nach dem ersten Bissen wieder aus. Käse ist für den jungen Thai dann doch zu eklig.




Mein Bruder, der Held
von Josh Kim
TH, US, ID 2015, 80 Minuten, FSK 12,
thailändische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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