Mascarpone

TrailerDVD/VoD

Nach über zehn Jahren Partnerschaft wird Antonio von seinem Ehemann verlassen. Er muss sich eine neue Bleibe und einen Job suchen – und fängt an, sich mit Online-Dates sexuell auszutoben. Doch es dauert nicht lang, bis sich der eine oder andere auch mehr mit Antonio vorstellen könnte… Die italienischen Regisseure Alessandro Guida und Matteo Pilati stellen in „Mascarpone“ dem Ideal der monogamen Zweierbeziehung die Vorzüge der sexuellen Unabhängigkeit gegenüber. Axel Schock über eine streckenweise unterhaltsame, insgesamt jedoch etwas üppig geratene schwule Beziehungskomödie, die es jetzt als DVD und VoD gibt.

Foto: Pro-Fun Media

La dolce vita

von Axel Schock

In einem früheren Leben hatte Antonio mal einen richtigen Beruf. Doch seit er mit seiner großen Liebe Lorenzo liiert ist, hat er dieses Kapitel für sich abgeschlossen. Statt in einem Architektenbüro Baupläne zu zeichnen, macht es sich der 30-Jährige nun auf dem heimischen Sofa bequem, kümmert sich um seine Fitness, um den Haushalt und mit Vorliebe um raffinierte Desserts. Tiramisu – nur echt mit Mascarpone – ist eine seiner Spezialitäten. Das süße Leben aber hat ein abruptes Ende, als Lorenzo ihm aus heiterem Himmel erklärt, dass sich ihre Beziehung auseinandergelebt habe. Antonio, der sein eigenes Leben für das seines Mannes aufgegeben hat, steht vor dem Nichts. Vor allem muss er lernen, auch finanziell wieder auf eigenen Beinen zu stehen.

Zum Glück unterstützt ihn Lorenzos Schwester Cristina bei den ersten Schritten in die ungewollt neue Freiheit und Eigenständigkeit. Sie vermittelt ihn als Untermieter an den flippigen Denis. Dass dieser Antonio lediglich mit einem kanariengelben, blumengemusterten Morgenmantel bekleidet begrüßt, weil er ihn mit einem Sexdate verwechselt, kennzeichnet seine künftige Funktion in Antonios Leben. Der flamboyante Hedonist und Gelegenheitsdealer lebt in den Tag hinein, liebt den Sex und lässt sich bisweilen auch dafür bezahlen. Er verschafft Antonio nicht nur einem Job bei dem befreundeten Bäcker Luca, sondern macht ihn auch mit Datingapps bekannt. Seine wichtigsten Ratschläge: Sprich nie über deine früheren Beziehungen! Und verabredete dich nie ein zweites Mal!

Antonio ist ein gelehriger Schüler und hat keinerlei Schwierigkeiten, interessierte Männer zu finden – egal zu welcher Tages- und Nachtzeit. Dass der eine oder andere durchaus Potenzial für mehr haben könnte, will oder kann Antonio nicht sehen. Auch Bäcker Luca ist nicht abgeneigt. Und als sich mit dem Fotografen Thomas dann tatsächlich etwas mehr ergibt als nur ein Reigen von One-Night-Stands, muss sich Antonio ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, ob er für eine Beziehung tatsächlich wieder bereit ist – und wie ein Miteinander auf Augenhöhe eigentlich genau aussehen könnte.

Mit diesem Männerreigen dekliniert das italienische Filmemacherpaar Alessandro Guida und Matteo Pilati gewissermaßen unterschiedliche Formen von Freund- und Liebschaften durch: von platonischen Best Buddys über Friends with Benefits und folgenlose Sexdates bis hin zum potentiellen neuen Mr. Right. Das ist über weite Strecken mit leichter Hand und in gemäßigtem Tempo inszeniert und durchaus unterhaltsam. Doch allzu tief in die Psyche der Charaktere will der Film nicht dringen und schon gar nicht deren narzisstische und genußorientierte Lebenswelt hinterfragen. „Mascarpone“ möchte in erster Linie unterhalten – mit pointieren Dialogen und jungen, attraktive Menschen in schicken Interieurs. Die Hochglanzästhetik und die körperlichen Schauwerte sorgen zwar für reizvolle Bilder. Einer komplexeren Auseinandersetzung aber mit den Lebensmodellen großstädtischer Millennials, deren Suche nach emotionaler Stabilität und dem gleichzeitigen Wunsch nach größtmöglicher Unverbindlichkeit und Freiheit, findet allerdings nur bedingt statt.

Foto: Pro-Fun Media

Dass die Geschichte jedoch nicht in oberflächliche Belanglosigkeit abdriftet, ist vor allem ein Verdienst des sympathischen Ensembles und insbesondere einiger der Hauptdarsteller. So gelingt es beispielsweise Giancarlo Commare als Antonio seine Figur mit Charisma auszufüllen und auch deren Zerrissenheit und innere Widersprüche nachvollziehbar zu machen. Als Zuschauer:in nimmt man gerne Anteil an seiner emotionalen Tour de Force. Auch, weil Guida und Pilati seiner Entwicklung Aufmerksamkeit schenken: Nach all den Jahren als in freiwilliger Abhängigkeit geratener Hausmann findet er in einer Ausbildung zum Konditor eine berufliche Perspektive und Erfüllung. Und er erkennt schließlich auch das fatale Beziehungsmuster, in das er erneut zu verfallen droht. Das ist zwar nicht weit weg von altbekannter Küchenpsychologie, aber im Rahmen der Möglichkeiten dieses eng dem Genre der romantischen Komödie verpflichtenden Films emotional wie schauspielerisch durchaus nachvollziehbar gestaltet.

Foto: Pro-Fun Media

Das strahlende Happy End aber, wie man es von allzu vielen Feel-Good-Romanzen bereits kennt, bleibt glücklicherweise aus. So einfach wollen es sich die Filmemacher sich und uns dann zum Glück doch nicht machen. Statt die erwartbare Lösung – eine neue große Liebe und Beziehung – wird Antonio wohl erst einmal weiter die neugewonnene Eigenständigkeit und Unabhängigkeit erkunden.

Zugleich aber will sich das hochdramatische Ereignis, das im letzten Filmdrittel nunmehr einen völlig neuen, melodramatisch Ton setzt, dramaturgisch nicht so recht einfügen. Guida und Pilati überfordern hier ein wenig ihre Figuren und nicht zuletzt ihr dramaturgisches Konzept. „La dolce vita“ in einer queeren unb zeitgenössischen Variante, wie es „Mascarpone“ zelebriert, verträgt sich dann doch nur schwer mit den tiefgreifenden, existentiellen Fragen, die der Film am Ende noch aufwirft.




Mascarpone
von Alessandro Guida & Matteo Pilati
IT 2021, 100 Minuten, FSK 16,
italienische OF mit deutschen UT

Jetzt als DVD und VoD.

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