Köpek – Geschichten aus İstanbul
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Einen Tag lang begleitet der Spielfilm von Esen Işık drei Menschen in der türkischen Hauptstadt, unter anderem die Transfrau Ebru. Drei kunstvoll verwobene Geschichten über die Sehnsucht nach Liebe in einer Gesellschaft, die aktuell nicht gerade zimperlich mit ihren Minderheiten umgeht. Die Filmemacherin mit kurdischem Hintergund hat in der Schweiz studiert, wurde dort aber jahrelang von der Abschiebung in die Türkei bedroht. Jetzt hat „Köpek“ zwei Schweizer Filmpreise gewonnen, u.a. für den besten Spielfilm. Cem Özdemir, der für den deutschen Kinostart die Schirmherrschaft übernommen hat, sieht in dem Film „ein eindringliches Plädoyer für Offenheit und Aufbruch in der Türkei“.
Der Vorhang der Dunkelheit
von Florian Krauß
Eine tote Hündin am Straßenrand Istanbuls, nur ihr Junges hat überlebt. Dieser Anblick soll die türkisch-schweizerische Regisseurin Esen Işık zu ihrem Spielfilmdebüt inspiriert haben, das mit dem türkischen Wort für Hund betitelt ist. So wie die Istanbuler Passanten einschließlich der kurz innehaltenden Işık damals weitergingen, scheint die Gesellschaft das Leid der drei Hauptfiguren in „Köpek – Geschichten aus İstanbul“ zu ignorieren oder gar zu vertuschen. Und ähnlich den Straßenhunden Istanbuls entstammen die Protagonist_innen Bevölkerungsgruppen, denen es an Macht und einer Lobby mangelt: Der zehnjährige Cemo (Oğuzhan Sancar) unterstützt mit dem illegalen Verkauf von Papiertaschentüchern den Lebensunterhalt seiner Familie. Er versucht, die Aufmerksamkeit eines Schulmädchens aus einer wohlhabenderen Schicht zu erlangen und schenkt ihr einen Hundewelpen, den er am Straßenrand aufgesammelt hat. Die Mutter und Ehefrau Hayat (Beren Tuna) trifft heimlich ihre wieder aufgetauchte Jugendliebe zu einem Gespräch und fällt im Anschluss ihrem Ehemann zum Opfer. Die Transfrau Ebru (Çağla Akalın) kämpft um die Liebe ihres Ex, der nicht öffentlich zu ihr steht. „Ich will nicht mehr nur lieben, ich will auch geliebt werden“, wird sie zu ihrem schwulen Mitbewohner sagen. Doch alle drei Liebesbeziehungen, die zwischen Ebru und dem feigen Ex-Liebhaber, die zwischen Cemo, dem reichen Schulmädchen und gewissermaßen auch dem Hündchen, sowie der zaghafte Kontakt Hayats mit ihrem Jugendfreund, dürfen sich nicht entfalten.
Die Handlungsstränge spiegeln einander in weiterer Hinsicht, zum Beispiel wenn die schöne Ebru von Männern angestarrt und sexualisiert wird, während Hayat im Bus ein breitbeinig sitzender Mann auf die Pelle rückt. Der öffentliche Raum ist für beide Frauen ein Gefahrengebiet, und die Polizei bietet keinen Schutz: Beamte liefern Hayat an ihren Ehemann aus und raten ihr, den Mund zu halten, während Cemos Taschentuch-Verkauf einem ständigen Räuber-Gendarm-Spiel gleicht. Opfer werden zu Tätern gemacht. Im kritischen Blick auf die Schutzmänner zeigt sich deutlich Işıks politische Perspektive, die umfassendere, strukturelle Probleme einschließt und Transphobie häuslicher Gewalt an die Seite stellt. Entschieden feministisch argumentiert sie, wenn sie vom ehelichen Sex, der für Hayat Pflichterfüllung, aber kaum Vergnügen ist, zur angedeuteten Sexarbeit Ebrus wechselt. Dem politischen Impetus ist es wohl auch zu verdanken, dass Esen Işık uns individuelle Erlösungsgeschichten verwehrt – selbst in dem Plot, der mit Kindern und einem Hundewelpen zunächst Hoffnungsschimmer und Sentimentalität verspricht.
„Der Vorhang der Dunkelheit ist gefallen“, singt Ebru in einer ergreifenden Szene. Sie richtet sich an ihren einstigen Liebhaber, der mit seiner gesellschaftlich akzeptierten Verlobten im Restaurant sitzt und läutet zugleich das düstere Finale ein. Die letzte Einstellung des Films zeigt einen Mann, der eine Blutlache auf dem Asphalt wegspült und versinnbildlicht so das Verdrängen und Wegschauen in der porträtierten Gesellschaft.
Neben der gelungenen Dramaturgie, die die drei Stränge miteinander verwobene Themen variieren lässt, fällt immer wieder die eindringliche Bildsprache auf. Wie eine trennende Mauer mutet etwa der hohe Zaun an, an dem Cemo das Mädchen aus gutem Haus observiert. Eine Halbtotale fängt gleichzeitig Hayat ein, die in Küche einen Salat zubereitet und ihren Ehemann, der im benachbarten Wohnzimmer unruhig herumsteht. Beide, die bedrohte, eingeschlossene Ehefrau und der gewalttätige, misstrauische Ehemann, erscheinen als Gefangene. Diese Anordnung trägt zur vielschichtigen Zeichnung dieser Täterfigur bei.
Lange, ruhige Einstellungen, Schuss-Gegenschuss-Montagen und Close-ups geben den Akteur_innen und ihren Darsteller_innen, unter denen insbesondere Beren Tuna als Hayat hervorsticht, Raum, sich zu entfalten. Vom allein Themen- und Message-orientierten Sozialdrama unterscheidet sich „Köpek“ durch nuancierte Blickinszenierungen und poetische Momentaufnahmen: Eine Plastiktüte treibt aufs Meer. Kleine Liebes- und Freundespaare stehen in Ebrus Zimmer. Im Blickfeld des Ex-Lovers und seiner Verlobten lässt sie zwei bunte Hummel-Figuren einander küssen. Immer wieder hält eine leichtere, fast fröhliche Note Einzug in den Film, ähnlich dem Wind, der Hayats rosafarbenen Schal aufwirbelt und den Vorhang hinter dem geöffneten Fenster in Ebrus Gesicht weht. Kurz huscht ein Lächeln über ihr Gesicht.
Köpek – Geschichten aus İstanbul
von Esen Işık
CH/TR 2015, 98 Minuten, FSK 12,
türkische OF mit deutschen UT,
GMfilms