Helmut Berger, meine Mutter und ich

TrailerDVD / VoD

„Was macht eigentlich Helmut Berger?“, fragt sich Bettina Vorndamme, Filmfan in den besten Jahren – und googelt los. Im Netz der Schock: Skandalauftritte, Dschungelcamp, Alkoholsucht! Der Schauspielstar aus „Die Verdammten“ und „Ludwig II.“, einstmals „schönster Mann der Welt“, scheint nur noch ein Schatten seiner Selbst zu sein. Die Finanzcontrollerin aus Niedersachsen beschließt kurzerhand, den Niedergang zu stoppen. Mit Hilfe ihrer Tochter nimmt sie Kontakt nach Salzburg auf. Und kurz darauf sitzt die Schauspielikone tatsächlich auf dem Sofa ihres Bauernhauses und trinkt Kaffee aus Omas Sammeltassen. Filmemacherin Valesca Peters begleitet das Kennenlernen zwischen ihrer Mutter und dem eigenwilligen Schauspieler mit der Kamera – und nähert sich dem Menschen Helmut Berger dabei selbst immer mehr an. Entlang von Peters‘ Film und Bergers über 50 Jahre umspannenden Karriere spinnt unser Autor Sascha Westphal ein Geflecht aus Filmbildern, Gedanken und Figuren, in dessen Zentrum ein Schauspieler steht, der ein Geschöpf seiner eigenen Erinnerungen geworden ist. Jetzt gibt es „Helmut Berger, meine Mutter und ich“ als DVD und VoD.

Foto: Edition Salzgeber

„Er ist nicht wie wir“

von Sascha Westphal

„Du und ich sind nicht wie die normalen Leute. Was für uns mehr als materieller Besitz zählt, sind – wie soll ich es ausdrücken? – die Erinnerungen an Dinge, wie wir Dinge erinnern.“ Natürlich stehen diese Dialogzeilen aus „Der Garten der Finzi Contini“ (1970), Vittorio de Sicas Verfilmung von Giorgio Bassanis autobiographischem Roman, in einem konkreten historischen Kontext. Mit ihrem Bekenntnis gesteht die junge, von Dominique Sanda gespielte Micol Finzi-Contini ihr Unvermögen ein, in der Wirklichkeit zu leben. Sie hat sich, wie auch alle anderen Mitglieder dieser aristokratischen jüdischen Familie, eine eigene Welt zurechtgelegt. Eine Welt, die dem großen Garten auf ihrem Familienanwesen in Ferrara gleicht: ein künstliches Paradies, in dem alles außer dem Baum der Erkenntnis wächst. Ein Paradies, aus dem sie nur wenige Monate später von den Nationalsozialisten für immer vertrieben werden. Aber gerade das tragische Schicksal ihrer Familie gibt Micol in de Sicas Augen letzten Endes recht. Eine elegische Grundstimmung, die jede Einstellung erfüllt, trägt de Sicas Annäherung an das jüdische Ferrara, das mit den Deportationen im Jahr 1943 untergegangen ist. Anders als so viele Historienfilme und Romanadaptionen versucht er sich nicht an der Rekonstruktion einer verschwundenen Welt. Er komponiert eine Erinnerungssonate und verstrickt das Publikum in ein Geflecht von Erinnerungen. Die Filmbilder werden selbst zu Dingen des Erinnerns und damit ungeheuer wertvoll.

Eine dieser unvergänglichen Kinoerinnerungen ist die an einen jungen Helmut Berger, der sich in seiner Schönheit, seiner strahlenden Noblesse, selbst genug ist. Keine andere Figur, die der 1944 in österreichischen Bad Ischl geborene Schauspieler im Lauf seiner gut 50-jährigen Leinwandkarriere gespielt hat, wirkt derart passiv wie Micols Bruder Alberto. Fast könnte man glauben, dass dieser geduldig auf den Tod wartende und ihn schließlich sanft umarmende junge Mann von Thomas Manns „Zauberberg“ herab in den von alten Mauern umgebenen Garten Eden der Finzi Contini gestiegen ist. Hätte Visconti Manns Roman verfilmen können, Berger wäre ohne Frage ein grandioser Hans Castorp gewesen.

Erinnerungen und Gedankenspiele sind auch der Stoff, aus dem Valesca Peters’ „Helmut Berger, meine Mutter und ich“ gemacht ist. Am Anfang steht die Erinnerung von Bettina Vorndamme an den schillernden Kinostar der 70er Jahre, an Berger bei Luchino Visconti und Vittorio de Sica, an „Ludwig II.“ (1972) und „Gewalt und Leidenschaft“ (1974), an den mondänen Schauspieler, der als der schönste Mann der Welt galt. Diese Erinnerungen lassen sich in ihrer Vorstellung einfach nicht mit den Absturzbildern und -geschichten vereinbaren, auf die sie bei einer eher zufälligen Internetrecherche gestoßen ist. Der Niedergang des Idols entsetzt die Mutter der Regisseurin Valesca Peters derart, dass sie beschließt, Kontakt zu Berger aufzunehmen. Sie will ihn bewahren und ihm zugleich ein Comeback bescheren, der gefallene Gott soll zurück in den Kinoolymp kehren. Also nimmt sie sich vor, ein Drehbuch für Berger zu schreiben, und ihre Tochter soll es verfilmen.

Eine Träumerei, die den großen Traumgebilden der Filmgeschichte in nichts nachsteht. Aber auch ein Wahnsinn, dem Peters mit dem Vorschlag Einhalt gebietet, einen Dokumentarfilm über Berger zu drehen. Ein Spielfilm wäre einfach zu viel gewesen, zumindest in dieser Konstellation. Nun, gut zweieinhalb Jahre nach dem ersten gemeinsamen Dreharbeiten der Filmemacherin mit Berger in Paris, fällt es einem allerdings leicht, diesen Traum noch einmal zu träumen. Schließlich ist Peters’ Dokumentarfilm eine geradezu perfekte Vorlage für ein großes Künstlerdrama. Und wer außer Helmut Berger könnte schon Helmut Berger spielen?

Als die Finanzcontrollerin Bettina Vorndamme nach einigen Monaten intensiver Telefonate und nach einem Besuch bei Berger in Salzburg entscheidet, dass er für eine Zeit zu ihr ins niedersächsische Nordsehl kommen soll, nimmt das Filmprojekt eine Wendung – und wird zur Chronik eines faszinierenden Missverständnisses. Das Haus mit Garten in der niedersächsischen Provinz muss Berger, der einst mit seiner großen Liebe Luchino Visconti auf dessen Schloss in Ischia gelebt hat, wie ein Exil erscheinen. Der gefeierte, immer auch von Skandalen und Kontroversen umgebene Star hat mit einmal Zuflucht unter „normalen Leuten“ gefunden, besucht zu Kaffee und Kuchen Peters’ Oma und sitzt unerkannt in einem Straßencafé im Zentrum von Nordsehl, umgeben von Menschen, die unendlich weit von seinem einstigen Jetset-Leben entfernt sind.

Am Ende des Films, Berger steht erstmals auf Theaterbrettern und spielt in Albert Serras Inszenierung „Liberté“ an der Berliner Volksbühne einen Libertin des 18. Jahrhunderts, gesteht sich Valesca Peters’ Mutter ihren Irrtum ein: „Er ist nicht wie wir, und er wird es auch nie sein.“ In dieser Erkenntnis schwingen Dominique Sandas Worte mit, nur hat sich die Perspektive verkehrt. Aus der Sicht der „normalen Leute“ wird das Treiben der anderen, die nur ihren eigenen Sehnsüchten und Maßstäben folgen, immer ein Rätsel bleiben. Obwohl sie monatelang mit Helmut Berger unter einem Dach gelebt hat, obwohl sie ihm in jeder erdenklichen Weise zur Seite gestanden hat, obwohl sie ohne Frage ihren Anteil an seinem Theaterdebüt hatte, muss sie sich schließlich eingestehen, dass sie ihn nicht versteht und wohl auch nie verstehen wird. Dieser Drang nach Freiheit, nach einem Leben ohne Einmischung, der Berger einst zum Star und später zu einem gefundenen Fressen für die Klatschspalten gemacht hat, ist in Peters’ Film, der zugleich Essay und Home Movie, Dokument und Vexierspiel ist, fortwährend präsent. Aber „Helmut Berger, meine Mutter und ich“ deutet noch eine andere Sicht an: Der gefallene Halbgott, ein Prometheus des Kinos, der dem Publikum damals in den späten 60er und frühen 70er Jahren sein eigenes Licht gebracht hat, ist mittlerweile ein Geschöpf seiner Erinnerungen, die ihm tatsächlich wertvoller sind als aller materielle Besitz.

Foto: Edition Salzgeber

„Die Vergangenheit existiert nicht, denn sie ist bereits vergangen. Auch die Zukunft existiert nicht, denn sie muss erst noch kommen. Deshalb existiert nur die Gegenwart. Aber die kann aus beidem, der Vergangenheit und der Zukunft, geschaffen sein, da sie der Punkt ist, an dem sie sich treffen.“ Diese Überlegungen hat Duccio Tessari seinem Giallo „Blutspur im Park (1971) vorangestellt, in dem Berger einen gegen die Welt seiner reichen Eltern rebellierenden jungen Mann spielt. Sie geben diesem bizarren Thriller einen philosophischen Resonanzraum, in den auch Peters vordringt. Auf der Oberfläche erzählt sie in ihrem Film eine mehr oder weniger lineare Geschichte: Ihre Mutter sucht den Kontakt zu Berger, nimmt ihn bei sich auf und geht schließlich wieder auf Distanz. Unter diesem klassischen Bogen, der sich je nach Blickwinkel als Komödie oder Tragödie beschreiben lässt, liegt etwas anderes: ein Kreis, auf dem jeder Punkt Anfang und Ende zugleich sein kann.

Endet Bergers Geschichte mit seinem Aufenthalt in der flachsten deutschen Provinz, oder beginnt sie dort erst? Gleich mehrmals zeigt Peters ihn, wie er Ausschnitte aus seinen alten Filmen betrachtet. Der aufgedunsene alte Mann, sein Gesicht von Furchen durchzogen, ist nur noch ein Schatten seines jüngeren Ichs. Das war schon so in „Blutsfreundschaft“ (2009), Peter Kerns queerem Blick zurück in die österreichische Vergangenheit, der auch ein Gegenentwurf zu Filmen wie Viscontis „Die Verdammten“ (1969) und Tinto Brass’ „Salon Kitty“ (1976) ist, und in Bertrand Bonellos „Saint Laurent“ (2014), in dem Berger den gealterten Yves Saint Laurent als geisterhaften Zwilling seiner selbst spielt. In Kerns widerspenstigem Film umspielt noch ein ironisches Lächeln Bergers Mund, als er in den Spiegel blickt und zu sich selbst sagt: „Bist du alt geworden. Hast nichts vom Leben gelernt.“ Fünf Jahre später in Bonellos transgressivem Biopic provoziert der Blick in den Spiegel eine dunkle Selbsterkenntnis: „Ich bin ein Monster.“

Foto: Edition Salzgeber

Das Alter als Fluch. Dieser Gedanke durchzieht auch „Helmut Berger, meine Mutter und ich“. Doch die Erinnerungen an das, was einmal war, erweisen sich hier als eine Art Balsam. Einmal sehen wir, wie Berger geschminkt wird und sich beinahe 50 Jahre nach „Die Verdammten“ noch einmal in Marlene Dietrich verwandelt. Und schon ist da wieder dieser Zauber des Androgynen, des Offenen und des Freien. Das Leben hat Helmut Berger gezeichnet. All die Photographien und  Filmbilder sind geblieben, wie sie waren. Anders als in Massimo Dallamanos „Das Bildnis des Dorian Gray“ (1970), diesem grandiosen Bildnis des Swinging London, in dem neben der Grenze zwischen Wirklichkeit und Albtraum auch die zwischen hetero- und homosexuellem Begehren fluid wird, konnten die Abbildungen nicht anstelle Bergers altern. Aber dieser magische Funken der Jugend, den sie für immer festgehalten haben, lodert immer noch in ihm. Bettina Vorndamme wollte Helmut Berger retten, und das ist ihr und ihrer Tochter auch gelungen. Allerdings auf eine andere Weise, als die Mutter gedacht hätte. Ihr Film zeigt, dass Helmut Berger nie wirklich verloren war. Ob er das selbst auch weiß?




Helmut Berger, meine Mutter und ich
von Valesca Peters
DE 2019, 82 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (deutsche Fassung): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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