Hawaii

TrailerDVD/VoD

Ein heißer Sommer, irgendwo in der argentinischen Provinz. Der mittellose Martín, der eben aus Buenos Aires in die Heimat zurückgekehrt ist, begegnet zufällig seinem Sandkastenfreund Eugenio wieder. Der angehende Autor wohnt in einem großzügigen Anwesen mit weitläufigem Garten und bietet Martín einen Job als Assistent an. Schnell beginnt ein Spiel um Zuneigung, Nähe und Körperlichkeit zwischen den beiden jungen Männern. Einseitigkeiten, Ungleichheiten, Schieflagen lädt Marco Berger in seinem dritten Spielfilm „Hawaii“ zu einem komplexen Spiel des Begehrens auf. Sebastian Markt über ein sinnliches Beziehungsdrama, das es jetzt wieder auf DVD und VoD gibt.

Foto: Salzgeber

Langsamer Sommer der feinen Unterschiede

von Sebastian Markt

Zum Beispiel, wie der eine Mann nahe seines improvisierten Nachtlagers sorgfältig erst seine Hände und dann den Pfirsich wäscht. Wie er später das Sandwich, das ihm die Arbeit eines Tages eingebracht hat, gierig verschlingt. Wie der andere Mann den einen mustert, erst beiläufig, dann neugierig, schließlich begehrlich. Wie der eine in der Sonne, mit seinem Werkzeug hantierend, schwitzt, und der andere im Schatten in seine Computertastatur hackt. Wie der andere Mann dem einen abgelegte Kleidung anbietet, weil dieser sie brauchen könnte, aber auch, weil das Anprobieren es nötig macht, dass er sich erst der entledigt, die er gerade anhat. Wie der eine Mann die Sachen anzieht, wie ein geborgtes Leben, und später wie sein eigenes. Wie sie in ihren Körpern zu Hause sind, selbstbewusst der eine, selbstvergessen der andere. Wie der eine beginnt, die Blicke des anderen, die er vielleicht gesehen hat, oder vielleicht auch nicht, zu erwidern, auf seine Weise auf ihn zu sehen.

Am Anfang von Marco Bergers drittem Langfilm „Hawaii“ steht ein Bild, das an die Great Depression gemahnt: Martín, obdachloser Binnenmigrant, schläft in einem Lager im Wald, zieht von Haus zu Haus und biete seine Dienste als Hilfsarbeiter an, gegen Essen oder Taschengeld. Das Echo klingt kurz an, dann breitet sich der Film in der Gegenwart aus: argentinische Provinz, im (Süd-)Sommer. Die Suche nach Arbeit führt Martín an die Tür von Eugenio, der das Haus seines Onkels den Sommer über in Beschlag genommen hat. Sie kennen sich von früher, ganz früher, als beide Kinder waren und Nachbarn und Martín im Pool von Eugenios Familie schwimmen durfte. Eugenio engangiert Martín, der sagt, im Winter einen Job in Buenos Aires zu haben, für den Rest des Sommers, um Renovierungen und Ausbesserungen am Haus durchzuführen.

Foto: Salzgeber

Eugenio ist Journalist. Ob er sein augenscheinlich sorgenfreies Leben seiner Arbeit verdankt oder familiär abgesichert ist, bleibt unklar. Den Sommer verbringt er jedenfalls damit, an einem Roman zu arbeiten. Der erzählt von einem Großgrundbesitzer, der sich durch die im besten Sinne naiven Fragen seiner kleinen Tochter, der an der Ordnung der (sozialen) Dinge nichts selbstverständlich scheint, herausgefordert und bedroht fühlt. Eugenio, der Martín zunächst nicht wiedererkannt hatte, erkennt in Martín zusehends ein Objekt seiner Begierde. Martín, der mit den Details seiner Biografie eher spärlich umgeht, sieht in Eugenio zunächst nur einen ökonomischen Rettungsanker.

Ein simpler Rhythmus breitet sich über ihre Tage aus: Martín arbeitet an Haus und Garten, Eugenio an seinem Buch, sie reden, sie essen. Kaum jemals verlässt der Film diesen Ort, und langsam sortieren sich die Geschichten neu, die sie einander über sich erzählen, und es scheint offen, ob sie in Deckung zu bringen zu sind: in Bezug auf die Geschichte, die beide verbindet, in Bezug auf die sozialen Verwerfungen der Gegenwart, die beide trennen, hin zu einer Zukunft, die sie miteinander haben könnten.

Foto: Salzgeber

Aus dieser schnell etablierten Grundkonstellation spielt „Hawaii“ ein so einfach und gradlinig erzähltes wie komplex verworrenes, weil vieldimensionales Spiel von Distanz und Nähe. Dem Spiel gibt Berger weniger durch Handlung Raum als durch Gesten und Blicke und Körper, die sich zueinander verhalten. Zwei Männer, die zwar zu wissen scheinen, wie sie zueinander stünden, aber das Koordinatensystem, das ihnen ihre Orte vorgibt, noch nicht entziffert haben.

„Hawaii“, mithin ein Film über Liebe in finsteren Zeiten, gedreht mit minimaler Crew und minimalem Budget, das zu guten Teilen über Kickstarter aufgestellt wurde, erzählt eine – wenn man so will – minimale Geschichte. Macht aber aus seinen Grenzen eine Tugend: ein Ort, zwei Männer und eine Beziehung, die noch keinen Namen trägt. Auch eine Art von Krisenkino, das in der Dürftigkeit seiner Umstände nicht nur sein Thema, sondern auch seine Form findet. Aufzulösen, was dieses denn alles mit dem eponymen Inselparadies zu tun hat, hieße die Freude zu verderben, die die Romanze in ihrer langsamen Sinnlichkeit trotz einiger bitterer Töne dann doch macht.




Hawaii
von Marco Berger
AR 2013, 102 Minuten, FSK 0,
spanische OF mit deutschen UT

Jetzt als DVD und VoD