Happy Together (1997)
Trailer • BluRay/DVD/VoD
Die Beziehung der zwei jungen Hongkonger Fai und Po-Wing ist zerrüttet. Eine gemeinsame Reise nach Argentinien soll ihre Beziehung retten. Doch nach einem Streit trennen sich ihre Wege und beide stranden in Buenos Aires. Fai wird Türsteher einer Tangobar, Po-Wing hält sich als Callboy über Wasser. Eines Abends erscheint Po-Wing blutend und schwer verletzt wieder bei Fai vor der Tür. Ist das die Chance auf einen Neuanfang? Ein hypnotisierender Blick in einen Wasserfall, eine unvergessliche Taxifahrt, ein letzter Tango – für sein Drama über die Höhen und Tiefen einer großen schwulen Liebe schuf Wong Kar Wai mit den betörenden Bildern seines Kameramann Christopher Doyle und seinen fabelhaften Hauptdarstellern Leslie Cheung und Tony Leung einige der magischsten Momente des queeren Kinos. Für Philipp Stadelmaier schwelgt „Happy Together“ in den träumerischen Farben der Erinnerung einer schon vergangenen Geschichte – aber nur, um dieses imaginäre Territorium zu verlassen und ihm ein neues reales abzugewinnen.
Auf der Suche nach der verflogenen Zeit
Eines lässt sich von den Filmen Wong Kar-Wais mit Sicherheit sagen: Ihr hochstilisierter und hochsentimentaler, in sanftes Neonlicht getauchter und von melancholischen Chansons begleiteter Romantizismus hat wenig bis nichts „Queeres“ an sich. Die Liebesgeschichten, die sich in Wongs Kino der Neunziger- und frühen Zweitausenderjahre in den Zimmern, Gängen und Gassen Hongkongs entfalten, werden ganz und gar von der heterosexuellen Matrix strukturiert. Bis auf eine Ausnahme: „Happy Together“ von 1997, der nicht in Hongkong, sondern in Argentinien spielt, von einer schwulen Beziehung erzählt und in Wongs Werk auch deswegen eine besondere Rolle einnimmt, da es sich um seinen letzten Spielfilm vor „In the Mood for Love“ (2000) handelt, der ihn schließlich weltberühmt machen sollte.
Fai (Tony Leung) und sein Freund Po-Wing (Leslie Cheung) sind also von Hongkong rund um den Erdball gereist, um es in Argentinien „noch einmal zu versuchen“. Diese vielfach von Po-Wing wiederholte und von Fais Off-Stimme zitierte Formel skandiert eine Beziehung, die von Anfang vor dem Ende steht. Auf einem Roadtrip auf der Suche nach einem Wasserfall, dessen Bild sie auf einer Tischlampe entdeckt haben, kommt es zum Bruch. Danach versuchen beide Männer, in Buenos Aires Geld für die Rückreise zu verdienen: Fai arbeitet in einer Tangobar, Po-Wing als Callboy. Nachdem Po-Wing zusammengeschlagen wurde, nimmt Fai seinen Exfreund in seinem Pensionszimmer auf. Ein Neubeginn? Nicht sicher. Die Beziehung bleibt asymmetrisch – Fai arbeitet und kocht, Po-Wing lässt sich bedienen – und endet mit einer erneuten Trennung. Fai lernt Chang kennen, einen Jungen aus Taiwan, den es ebenfalls nach Buenos Aires verschlagen hat. Nach Changs Abreise bleiben ihm nur das Cruising und das Besuchen öffentlicher Toiletten, auf der Suche nach Gesellschaft. Und, schließlich, die Rückkehr nach Asien.
Nun sind die zwei Männer ebenso ein Paar wie die Männer und Frauen in „As Tears Go By“ (1988), „Days of Being Wild“ (1990), „Chungking Express“ (1994), „Fallen Angels (1995), „In the Mood for Love“ oder „2046“ (2004); mit Ausnahme von „As Tears Go By“ teilen sich alle genannten Titel mit Tony Leung denselben Hauptdarsteller. War „As Tears Go By“ noch ein relativ linear erzählter Hybrid aus Gangster- und Liebesgeschichte, trat in den frei mäandernden Großstadtsymphonien „Chungking Express“ und „Fallen Angels“ das Genre vollends hinter den Beziehungen zwischen den Figuren zurück. Daran anschließend ist „Happy Together“ so frei und experimentell wie „Chungking Express“, mit dem er sich dieselbe asymmetrische Struktur teilt: Bestand der frühere Film aus einer ersten kurzen und zweiten langen Episode mit verschiedenen Figuren, so folgt hier auf einen ersten kurzen Teil in Schwarzweiß eine längere Periode in Farbe („Fallen Angels“, das eigentliche, nächtliche Gegenstück zu „Chungking“, ist erzählerisch kohärenter und „symmetrischer“). „Happy Together“ unterhält aber auch enge Beziehungen zu jener aus „Days of Being Wild“, „In the Mood for Love“ und „2046“ bestehenden losen Trilogie, in der die Montage das Geschehen in reine Erinnerungen verwandelt, zirkulierend in einem wehmütigen Gedächtnis.
Die Beziehung zwischen Fai und Po-Wing ist immer schon vorbei, immer schon unmöglich, immer schon imaginierte oder erinnerte Beziehung, sowohl vor ihrem Beginn als auch nach ihrem Ende, immer schon eine Spiegelung früherer Paare, früherer Liebschaften und früherer Abbrüche – und auch früherer Filme von Wong Kar-Wai. Gerade der andere Junge, Chang, zu dem Fai sich hingezogen fühlt, steht vielleicht (auch?) auf Frauen; zwischen ihm und Fai kommt es zu dieser für Wong typischen Spannung, zur Möglichkeit eines Glücks, das sich unter dem Gewicht des Unausgesprochenen doch nicht realisiert. Wie in den anderen Filmen verleihen die Bilder von Christopher Doyle und die Überlagerung verschiedener „Geschwindigkeiten“ (Zeitraffer, Slow-Motion, Beschleunigung) dem Fin-de-siècle einen febrilen Rhythmus, während sie es schon mit einer nostalgischen Patina überziehen: Der Eindruck einer verfliegenden und verlorenen Zeit ist in den Betten von Hongkong und beim schwulen Lieben und Cruisen durch Buenos Aires derselbe.
Der Film ist also weniger das Gegenteil als die Gegenseite zu Wongs übrigem Werk, das er fortsetzt, indem er es sexuell und geographisch umkehrt. Wir sind auf der „anderen Seite“ der Heterosexualität und auf der „anderen Seite“ Hongkongs, das heißt, auf der anderen Seite der Erde, von Hongkong aus gesehen, was dadurch hervorgehoben wird, indem wir Hongkong einmal (aus argentinischer Perspektive) „umgekehrt“ betrachten, den Himmel unten, die Stadt oben.
Und dennoch bewegt sich der Film in seinem eigenen und offenen Orbit. Die Schönheit dieses argentinischen Abenteuers besteht darin, dass es keinem vorhersehbaren Plan folgt, zu einer Reise ohne klarem Ziel wird. Der Film scheint beim Filmen entstanden zu sein. Er orientiert sich an den Fluchtlinien der Landschaft und den Impulsen der Figuren, den Streits und den Tangos, den Pensionszimmern und den Küchen, entlang einer Erstreckung und Dehnung des Raums, der im Gegensatz zur Enge von Hongkong offensteht und erkundet wird: beim Roadtrip durch die Pampa, bei einer Bootsfahrt im Hafen oder bei einem Fußballspiel in einer Straße, wo die Sonne im Gegenlicht in die Kamera scheint, während sie sich niemals in die zugebauten Häuser, Zimmer und Korridore der kantonesischen Metropole verirren könnte. Wikipedia zufolge lautet der chinesische Originaltitel so viel wie „spring light at first glance“. Mit jeder kleinen poetischen Geste, jedem kleinen Schwenk der Kamera wird der Raum neu erhellt und im warmen Licht aufgeweicht; die Kurven einer Autokarosserie, die Streifen einer Landstraße oder die Umrisse einer Lampe lassen ihn elastisch werden, wie Gummi, das sich ausdehnt und dabei doch eins bleibt.
Diese Poesie dient weniger der Romantisierung einer geschlossenen und bekannten, als der Entdeckung einer äußeren und fremden Welt, eines fremden Kontinents. Und dieser Kontinent, den Wong in seinen anderen Filmen eher umreißt und vermeidet, ist in letzter Instanz jener einer zerbrechenden und in ihrem Zerbrechen ausgelebten Beziehung, ihrer rohen und direkten Materialität, ihrer schmerzhaften Dauer und ihrer gewaltsamen Härte, als hätten hier die Fotografien von Larry Clark oder Nan Goldin Pate gestanden. Ausgerechnet in dieser Geschichte einer schwulen Liebe führt Wong zum ersten und vielleicht einzigen Mal aus, was die „heterosexuellen“ Filme durch die Ellipsen der Montage und die Eleganz der Kostüme, des Lichts und der Musik verdunkeln und sublimieren: die sich hinziehende Realität des körperlichen Zusammenseins von zwei Menschen, zwischen denen es nicht (mehr) funktioniert. Auch „Happy Together“ schwelgt in den träumerischen Farben der Erinnerung, einer schon vergangenen Geschichte. Aber nur, um dieses imaginäre Territorium zu verlassen, ihm ein neues reales abzugewinnen.
Dies zeigt sich gerade im Look der Bilder. In einem ersten Teil verfolgen wir die Phase der Trennung und das Getrenntsein in Schwarzweiß, kurze Einsprengsel in Farbe verdeutlichen die „Kehrseite“ des Geschehens: den Sehnsuchtsort, also den gigantischen Igazú-Wasserfall von oben. Erst als Fei und Po-Wing wieder „zusammenkommen“, wechselt das Bild dauerhaft in Farbe. Während dieser zweiten Phase folgt nun die zweite Trennung. Doch die Farbe bleibt. Die Farbe der Hoffnung wird zur Farbe eines Schmerzes, vor deren Realität und Endgültigkeit man nicht mehr die Augen verschließen kann. Ein Wechsel zurück zu Schwarzweiß würde nur die illusorische Möglichkeit einer weiteren Versöhnung suggerieren, einer „Rückkehr zur Farbe“. In diesem zweiten Teil kehren in Schwarzweiß höchstens gelegentlich die Erinnerungen zurück – an die „schönste Zeit“ des Paares, als Po-Wing krank war und sich Fai um ihm kümmern konnte, oder an ihre anfängliche Reise zum Wasserfall. Aber es ist eben nur eine Erinnerung, aus der Farbe und Glück verschwunden sind und die von der Gegenwart strikt getrennt bleibt. Fernab davon, nur stilistische Spielereien zu sein, halten Farbe und Schwarzweiß die irreversible Realität einer Separation fest, die Unmöglichkeit einer Rückkehr.
Diese Wechsel enthüllen hier außerdem zwei Motive, die Wong Kar-Wai in seinen zwei folgenden Filmen weiterbearbeiten wird, und die beide genau dann auftauchen, wenn der Film von Schwarzweiß zur Farbe springt, als würden sie in diesen Momenten entdeckt und „eingefärbt“ werden. Die Rede ist zum einen von jenem Augenblick, in dem sich Fai und Po-Wing wiederversöhnen. Die Männer sitzen im Taxi, der Kopf des einen an der Schulter des anderen gelehnt – eine Einstellung, die Wong in „In the Mood for Love“ und „2046“ wieder aufnehmen wird, dann zwischen Männern und Frauen in Honkong. Das zweite Motiv ist das „Loch“, dem die Liebenden in den späteren Filmen ihre Geheimnisse anvertrauen, in Form eines mythischen Mauerschlitz in Kambodscha, auf das sie ihre Lippen pressen („In the Mood“), oder einer abstrakten Riesenmuschel mit schwarzem Zentrum („2046“). In „Happy Together“ erscheint dieses „Loch“, dieses geheime Zentrum der Beziehung, anfangs in Form jenes majestätischen Wasserfalls, den die Kamera von oben umkreist. Über ihm liegen schwere Dampfschwaden, so dass man die Tiefe nicht sieht. An anderer Stelle wird Fei von Chen eingeladen, als Andenken an ihre Begegnung etwas auf sein Tonbandgerät zu sprechen, ohne dass wir hören, was er sagt: Bild und Ton bewahren die Intimität von Fais Geständnis.
Diese Motive erscheinen hier auf einer Reise und „im Fluss“, noch bevor sie in den späteren, berühmteren Filmen zu Stilikonen des Weltkinos und Signatur-Bildern des Regisseurs gerinnen. „Entdeckt“ werden sie aber hier, in dieser schwulen Liebesgeschichte vom anderen Ende der Welt, in der sich gleichsam die Erfahrungen der anderen Liebenden aus Wongs Filmen verdichten – betreibt „Happy Together“ doch die Umkehrung einer Idealisierung in etwas Reales und überführt die verblassende Erinnerung an eine gescheiterte Beziehung in deren schmerzvolle und fortdauernde Gegenwart.
Happy Together
von Wong Kar Wai
HK 1997, 96 Minuten, FSK 12,
deutsche SF und kantonesische OF mit deutschen UT,
Plaion Pictures
Als BluRay, DVD und VoD