Goldhammer
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Schwuler Escort im Ruhestand, rechtskonservativer Journalist mit Suchtproblemem, stellvertretender Vorsitzender der „Bundesvereinigung Juden in der AfD“. Marcel Goldhammer ist ein wandelnder Widerspruch. Geboren 1987 in Kaiserslauten und aufgewachsen als Christ, konvertierte er 2006 zum Judentum und lebt heute in Tel Aviv und Berlin. Bei der Bundestagswahl 2021 trat er als Direktkandidat der AfD für Berlin-Neukölln an. In ihrem Film spüren André Krummel und Pablo Ben Yakov einer Biographie nach, in der es vor allem um eins zu gehen scheint: Aufmerksamkeit um jeden Preis. Christian Horn über einen Film an der Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit.
Analspülung im Rampenlicht
von Christian Horn
Wer ist Marcel Goldhammer? Das bleibt auch nach dem Abspann des Dokumentarporträts von André Krummel und Pablo Ben Yakov nebulös. Was ihr Film zeigt: Goldhammer outete sich mit 14 in seinem pfälzischen Heimatdorf als schwul, mit 15 ging er nach Berlin, um Schauspieler zu werden und ergatterte einige Rollen. Sein nächstes Ding war eine Karriere als Escort mit weltweitem Kundenstamm. Ein vermögender Chinese wird zeitweise sein Gönner. Geld, Sex, Kokainsucht – Goldhammer erscheint wie ein getriebener Hedonist. Und als höchst widersprüchlicher Egomane. Irgendwann konvertiert er zum Judentum und wird in Tel Aviv sesshaft. Dann zieht er nach Berlin, macht Presse für die AfD und tritt schließlich als Direktkandidat der Partei für Neukölln an. Bei einer Rede auf dem Landesparteitag beschimpft er den migrantisch geprägten Stadtteil als „Kalifat“.
Ein schwuler Ex-Callboy und Jude, ganz besoffen vom Konsum und Social Media, wird Rechtspopulist bei der AfD. Es wundert nicht, dass die Regisseure in Goldhammers wildem Lebenswandel einen Filmstoff erkannten. Die aufgeworfenen Fragen und Widersprüche bleiben dabei weitgehend unbeantwortet. Wie schon in ihrem 2018 fertiggestellten „Lord of the Toys“ über den kontroversen YouTuber und Influencer Max Herzberg und seine Gang verzichten Krummel und Yakov auf klare Wertungen. Das hat beiden Filmen den Vorwurf eingebracht, sie würden den Selbstdarstellern lediglich „eine Plattform bieten“, ohne sie in ihrem Tun zu verurteilen. Solche Schelten sind fade und von reflexhaften Tugendbekundungen verwässert. Viele vergessen: Man muss Goldhammer selbst nicht mögen oder alles unterschreiben, was er in seinem bisherigen Leben getan hat – und kann den Film über ihn dennoch interessant finden.
Auf den ersten Blick nimmt das Porträt eine reine Beobachtungshaltung ein, die Schlaglichter auf das Leben des Protagonisten wirft. Aufnahmen aus Goldhammers Vlogs zu Themen wie Koks oder Analspülung, die er in einer Selfie-Aufnahme gleich selbst vollführt, werden mit Fotos und Videos aus der Kindheit und Jugend montiert, mit Interviews, Presseauftritten und privaten Szenen, wenn Goldhammer etwa an seinem 30. Geburtstag enttäuscht ist, dass weniger Gäste kommen als erhofft. Die Inszenierung passt sich dem Rausch besonders in der ersten Hälfte an, springt zeitlich hin und her, folgt dem Chamäleon in schnittigen Szenen, die wie Videoclips wirken. Manches kommt nicht zum Punkt, anders bleibt in der Unschärfe. Die filmische Umsetzung reflektiert in gewisser Weise die Selbstbespiegelung, eine betuliche Erzählerstimme ordnet das Gezeigte knapp und mit ironischer Note ein.
„Gleichermaßen anziehend wie abstoßend“ nennen die Regisseure in ihrem Regie-Kommentar Goldhammer. In seiner Lebensweise sehen sie „sehr viel mehr als ein sonderbares Einzelschicksal“, sondern eine „Reflexion über das Filmemachen, über die Entstehung, Verwendung und Bedeutung von Bildern im 21. Jahrhundert, über Deutungshoheit und -Ohnmacht, über Realität und Fiktion und den Zusammenhang von Wünschen und Zwängen.“ Die treffende Einschätzung unterstreicht, dass das Duo den Film keineswegs kopflos gedreht und montiert hat. Goldhammers Widersprüche und Provokationen sind Krummel und Yakov bewusst. Und ganz bewusst lassen sie sie stehen.
Was Goldhammer wirklich denkt, wer er ist, warum er so ist – all das bleibt vage. Wir kriegen aber mit, was er will: Reichtum, Ruhm, Hauptsache was mit Rampenlicht. Geliebt sein und anerkannt werden. Dafür ist ihm offensichtlich jede Methode recht. Ob er seine, wie er selbst sagt, „populistischen Schwanzlutscherlippen“ dafür einsetzt, sich beim Sex filmt oder für die AfD auf die Bühne tritt, scheint ihm schlicht egal zu sein. „Wer Marcel war, hing eigentlich davon ab, wer seine Geschichte glaubte“, erklärt die Stimme aus dem Off. Für die Filmemacher wird ihr Protagonist damit auch zum Paradebeispiel für (digitale) Selbstinszenierung, zum Aushängeschild für eine leere Konsumkultur und kindsköpfiges Influencer-Gehabe. Der eitle Goldhammer sehnt sich nach Aufmerksamkeit. Es wäre leicht, sich darüber zu mokieren. Reizvoller ist die Frage, ob wir nicht alle ein bißchen Goldhammer sind.
Im späteren Verlauf tun sich Schattenseiten des flatterhaften Lifestyles auf. Oft wechselt die Stimmung abrupt. Zwischen „Für mich soll’s rote Rosen regen” und tristen Momenten, wenn Goldhammer etwa zu Silvester allein im Hotel sitzt, liegt oft nur ein Schnitt. „Ich hab dich nicht mehr erkannt“, wirft Goldhammers Mutter ihm am Telefon vor, er habe sich so rechtsradikal geäußert. Der Sohn weint, beteuert, alle Menschen zu lieben. Er könne kein Rassist sein, meint er, immerhin habe er es mit Männern aus aller Herren Länder getrieben. Die Szene ist traurig, auch ein Missbrauch in der Kindheit wird angedeutet. Doch sogar bei solchen emotionalen Zusammenbrüchen bleibt letztlich offen, ob Goldhammer wirklich angegriffen ist oder nur so tut. Einmal spricht er sehr emotional über seine verflossene Liebe, nur um plötzlich zu lachen, weil der Kameramann lachen muss, dann geht die ernste Ansprache weiter. Goldhammer macht gern „Späßchen“. Oft verwischt die Grenze zwischen dem, was inszeniert ist, und dem Dokumentarischen. Auch dieses Spiel mit Dichtung und Wahrheit sagt etwas über die Sicht der Filmemacher auf Goldhammer aus.
Die Reise sei manchmal interessanter als das Ziel, bekennt Goldhammer einmal recht abgeschmackt. Auf den Film gemünzt könnte man sagen, dass das Beobachten und Zeigen mitunter fesselnder ist als das Beurteilen. Ist Marcel Goldhammer ein tollkühner Dickkopf, ein Idiot, ein Opfer des eigenen Hedonismus? Man kann sich eine eigene Meinung dazu bilden, gänzlich kalt lassen wird das kaum jemanden. Dem Film vorzuwerfen, dass er den Protagonisten nicht maßregelt, greift indes zu kurz. Betreutes Filmeschauen, bei dem das Publikum an die Hand genommen wird, langweilt. Dabei langweilt auch „Goldhammer” phasenweise, vieles ist redundant, vielleicht wäre ein Kurzfilm die bessere Form gewesen. Spannend ist er trotzdem.
Goldhammer
von André Krummel und Pablo Ben Yakov
DE 2023, 93 Minuten, FSK k.A.,
deutsch OF
Ab 18. Mai im Kino.