Golden Delicious

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Der chinesisch-kanadische Teenager Jake ist gerade im letzten Highschool-Jahr. Sein Vater will einen Basketball-Profi aus ihm machen, seine Freundin endlich eine feste Beziehung, und auf Social Media muss das Leben sowieso immer perfekt aussehen. Doch als der offen schwule Basketball-Crack Aleks mit seiner Familie ins Haus gegenüber einzieht, ändern sich Jakes Prioritäten schlagartig. Wie wird man als schwuler Teen heute unter den Augen von Eltern, Mitschüler:innen und der sozialen Medien erwachsen? Diese Frage beantwortet Regisseur Jason Karman mit einem Coming-of-Age-Drama, das zugleich von den besonderen Herausforderungen eines Coming-outs in der asiatisch-kanadischen Community erzählt. Andreas Köhnemann über einen feinfühligen Ensemblefilm, der nicht nur seinen Protagonisten, sondern auch seine Nebenfiguren ernst nimmt.

Foto: Salzgeber

It’s a Match

von Andreas Köhnemann

Jede Generation hat ihre eigenen jungen Held:innen. In den 1950er Jahren entdeckte das Kino mit James Dean und dem Adoleszenzdrama „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ (1955) den Teenager als zentrale Figur. Schon damals konnten queere Zuschauer:innen in den Geschichten über Orientierungslosigkeit und Identitätssuche Subtexte finden und sich in queer codierte (Neben-)Rollen einfühlen. Nach den wenig hoffnungsfrohen Heranwachsenden der New-Hollywood-Ära in Filmen wie „Die letzte Vorstellung“ (1971) und dem überspitzt stereotyp gezeichneten Highschool-Personal im Œuvre von John Hughes in den 1980er Jahren, tummelten sich jugendliche Figuren mit ihren Coming-of-Age-Erfahrungen in den 1990er Jahren verstärkt auch auf dem Fernsehbildschirm in Serien wie „Beverly Hills, 90210“ (1990-2000), „Willkommen im Leben“ (1994-95), „Buffy – Im Bann der Dämonen“ (1997-2003) und „Dawson’s Creek“ (1998-2003).

So weiß und heteronormativ diese TV-Sendungen in ihren Haupthandlungssträngen waren, erlaubten sie am Rande doch auch den Blick in deutlich diversere Erlebnisse der prägenden Entwicklungsjahre junger Menschen. Sie brachten etwa den extrovertiert-modebewussten Rickie Vasquez, die kämpferische Willow Rosenberg und den sensiblen Jack McPhee hervor, die sich als nicht-heteronormativ erwiesen. Diese Figuren standen nicht im Mittelpunkt; für eine pubertierende queere Person vor dem Fernsehgerät – zum Beispiel in einem kleinen Dorf in Südhessen, aber gewiss ebenso in allen anderen Teilen der Welt – vermochten sie indes einen sehr großen Einfluss zu haben.

„Golden Delicious“, das Langfilmdebüt des Regisseurs Jason Karman, ist durch seine relativ hohe Anzahl von Figuren und sein spürbares Interesse an der Ausgestaltung des Lebensraums, der Beziehungen und der biografischen Hintergründe dieser Leute nah an der Anmutung der genannten Ensembleserien mit zahlreichen Konfliktherden und Verwicklungen. Allerdings mit dem Unterschied, dass die queere Figur hier der Dreh- und Angelpunkt ist und sich das übrige (größtenteils heterosexuelle) Personal um diese herum gruppiert, wie es bei aktuelleren (Streaming-)Serien wie „Love, Victor“ (2020-22) nun auch häufiger der Fall ist. Im Gegensatz zu vielen filmischen Coming-of-Age- und Coming-out-Erzählungen erfüllen die Nebenparts in „Golden Delicious“ nicht nur eine dramaturgische Funktion, sondern sind – ähnlich wie der große Cast einer Serie – ein essenzieller Teil des Ganzen, mit individuellen Träumen, Wunden und dem Potenzial zu charakterlichem Wachstum.

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Der chinesisch-kanadische 17-Jährige Jake lebt mit seinen Eltern George und Andrea und seiner älteren Schwester Janet in der Nähe von Vancouver. George und Andrea haben ihre einstigen Zukunftspläne aufgegeben, um das großelterliche Chinarestaurant zu übernehmen. Dabei haben sie sich zunehmend voneinander entfernt. Janet will Köchin werden; die Eltern raten ihr aufgrund der eigenen schlechten Erfahrungen in der Gastronomiebranche jedoch von diesem Weg ab. George will wiederum mit Strenge und Härte seinen Sohn dazu animieren, eine Basketballkarriere anzustreben, obwohl sich Jake viel mehr für Fotografie begeistern kann.

Allein diese Zwiste innerhalb der Familie, die kriselnde Ehe von George und Andrea und die Durchsetzungsversuche von Janet und Jake, sind ein Mikrokosmos, mit dem sich das Drehbuch von Gorrman Lee differenziert befasst. Die Frustration der älteren Generation, die elterliche Projektion von Ängsten und Wünschen auf den Nachwuchs und der schwierige Umgang mit Erwartungen, mit dem die Kinder konfrontiert werden – all das behandelt „Golden Delicious“ mit Feingefühl und obendrein mit einem sicheren Gespür für die Besonderheiten des Alltags in einer asiatischen Community im suburbanen Raum Kanadas.

Foto: Salzgeber

Das Coming-out von Jake geschieht nicht in einem narrativen Vakuum, sondern inmitten der Herausforderungen, die ein Leben als Sohn, als Bruder, als Schüler, als Kumpel, als Teenager mit kleinen und großen Problemen mit sich bringt. Zudem sind Jake und seine Mitschülerin Valerie seit zwei Jahren ein Paar; die beiden kennen sich seit früher Kindheit. Aber dann zieht der selbstbewusste, offen schwule Sportler Aleks in die Nachbarschaft – und Jake fühlt sich sofort emotional und körperlich zu ihm hingezogen.

Wenn Jake und Aleks im Highschool-Flur zusammenstoßen und dabei alle Bücher zu Boden fallen, ist das ein wunderbar magischer Anfang einer Lovestory. Es knistert gehörig zwischen den Schauspielern Cardi Wong und Chris Carson, wenn ihre Figuren erste heimliche sexuelle Erfahrungen miteinander teilen. Und es ist absolut nachvollziehbar, dass der schlagfertige Aleks, der genau zu wissen scheint, wer er ist und was er will, auf den hadernden Jake eine derartige Wirkung ausübt. Das Basketballspiel, das für Jake durch den Druck des Vaters stets etwas Bitteres und Brutales hatte, wird in der Interaktion mit Aleks plötzlich zu einem sexy Vergnügen.

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Auf dem (Um-)Weg zur persönlichen Wahrheit baut „Golden Delicious“ die sozialen Medien und deren Bedeutung für Jugendliche stimmig ein. Mit einem seligen Lächeln scrollt Jake durch das Profil von Aleks, statt sich mit Valerie um die klar vorgezeichnete Zukunft in Form von College-Bewerbungen zu kümmern. Wenn Jakes unterdrücktes Begehren auf einer Hausparty lauthals enthüllt wird, sorgen Handyvideos und eine sich anschließende Kaskade von Online-Posts und -Kommentaren dafür, dass sich Jake furchtbar gedemütigt fühlt.

Abgesehen vom Team-Captain Ronald, der etwas zu klischeehaft als fieser Jock und Bully dargestellt wird, besteht das Umfeld des Helden aus dreidimensionalen Figuren, die zwischen ihrem eigenen Ballast und ihrer eigenen Unsicherheit mit dem nötigen Verständnis reagieren. „Wir sind für dich da“, lassen Jakes Freunde Sam und Gary ihn per Videonachricht wissen. Und am Ende darf getanzt werden – auf dem Abschlussball in der Turnhalle. Da sind Jake und Aleks dann zwei Teens unter vielen, die alle ihre persönlichen Geschichten haben. Nicht sämtliche Probleme, die sich im Laufe des Films auftun, werden im Finale durch Zauberhand gelöst. Die kleine Welt, die „Golden Delicious“ vor unseren Augen eröffnet, wird sich weiterdrehen. Sie hat sich in der Erzählzeit von zwei Stunden einfach ein bisschen mehr geöffnet.




Golden Delicious
von Jason Karman
CA 2022, 119 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT

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