Gayby Baby

Trailer

Die australische Regisseurin Maya Newell ist als Kind zweier lesbischer Mütter groß geworden. In ihrem international viel beachteten Dokumentarfilm porträtiert sie nun vier Kinder aus Regenbogenfamilien – und das so überzeugend, dass der Film in ihrer Heimat mittlerweile in vielen Schulen auf dem Lehrplan steht und zur ‚Förderung der Akzeptanz für die Vielfalt von Familienformen‘ eingesetzt wird. „Gayby Baby“ ist leicht zugänglich und zuckersüß wie ein guter Popsong, aber vielleicht braucht es genau das als Mittel gegen die Ignoranz und Vorurteile, die auch hierzulande noch große Teile der familienpolitischen Wortmeldungen zum Thema bestimmen.

Foto: Rise and Shine Cinema

This is for the Kids!

von Natália Wiedmann

Maya Newells hat einen Film über, mit und vor allem für Kinder gemacht, die wie sie gleichgeschlechtliche Eltern haben. So wie Gus, der die wunderbare, kleine Erzählung seiner eigenen Schöpfungsgeschichte mit so einfachen und kraftvollen Worten abschließt: „Now I am here!“ Eben. Es gibt sie ja schon längst: die Kinder, die jenseits heterosexueller Familienstrukturen groß werden – und deren Wohl von kleingeistigen Besserwissern angemahnt wird, wie das gesichtslose Raunen demonstriert, mit dem Newells Film aus dem Off beginnt. „People were talking about us as if we were hypothetical“, ärgert sich Maya Newell in einem Gespräch mit dem Guardian, in dem sie auf die erhitzten Diskussionen zur australischen Eheöffnung für homosexuelle Paare Bezug nimmt. Die Kinder selbst kommen eher nicht zu Wort. Also gibt Newell vier Stimmen dieser Kinder einen Raum. Die vier sind sorgfältig ausgewählt, aus über 30 Familien, die sie und ihre Produzentin Charlotte Mars für das Projekt besucht haben – da waren die beiden Filmemacherinnen gerade mal Anfang 20 und hatten über eine Crowd-Funding-Kampagne die Anfangsfinanzierung für ihr engagiertes Projekt gestemmt. Jede Geschichte dieser ‚Pre-Teens‘ berührt andere Themen und Fragen, die im Zusammenhang mit Regenbogenfamilien auftauchen können. Diese Kernthemen finden sich auch im ‚Gayby Baby’s School Action Toolkit‘: ein u.a. Newells Film umfassendes didaktisches Begleitmaterial, das seit Anfang des Jahres an australischen Schulen zur ‚Förderung der Akzeptanz für die Vielfalt von Familienformen‘ eingesetzt wird. Bei aller Eignung für dieses Vorhaben ist „Gayby Baby“ dennoch kein trockener pädagogischer „Erklärfilm“. Der Film ist von großer Leidenschaft und dem Wunsch getragen, sich wiederzuerkennen und endlich repräsentiert zu fühlen: „I wanted to make the film that I would have loved to have seen as a child, the film that would validate me and my family“, erklärte Newell in einem Interview mit dem Young Vagabond. This is for the kids!

Nach und nach lernen wir sie kennen: den einnehmenden, gewitzten Gus, dessen Leidenschaft fürs Wrestling seinen Müttern Kopfzerbrechen bereitet, weil sie sich fragen, welche Rollenbilder dieser Schaukampf eigentlich transportiert; den eloquenten Matt, der zu begreifen versucht, warum seine Mütter in die Kirche gehen, in der ihre Beziehung doch als Sünde angesehen wird; die aufgeweckte Ebony, die sich nicht nur deswegen auf die Aufnahmeprüfung an einer Schule für darstellende Künste vorbereitet, weil sie Sängerin werden will, sondern auch, weil die Schule als besonders liberal gilt. Und dann ist da noch Graham, der ganz schön hart daran arbeitet, ganz normal zu sein. ‚Normal sein‘, das heißt für Graham: lesen können. Dass ihm das so schwer fällt, liegt daran, dass er bis zum Alter von fünf Jahren nicht sprechen konnte – seine biologischen Eltern hatten es ihm nicht beigebracht. Zu sehen, bei welch großartigen Vätern er und sein Bruder ein neues Zuhause gefunden haben, zu sehen, mit wie viel Geduld seine Dads ihn bei den Schulaufgaben unterstützen und mit ihm das Lesen üben, ist für Grahams traurige Vorgeschichte ein so unwirklich schönes Happy End, dass sich damit selbst emotionale Kühlschränke abtauen ließen.

Man schaut und hört ihnen wahnsinnig gern zu, diesen so unterschiedlichen und dabei allesamt so bezaubernden, berührenden, klugen Heranwachsenden. So sehr die Auswahl ihrer ProtagonistInnen und deren Familien Newells Bestreben widerspiegelt, ein möglichst facettenreiches und ausbalanciertes Gesamtbild zu schaffen, so sehr zeugt dieses hübsche Kaleidoskop zugleich davon, wie ernst sie die Perspektiven der Kinder nimmt: Kaum eine Szene zeigt Erwachsene, die über sie reden; fast immer sind es die Kinder selbst, die das Wort haben oder auf Augenhöhe mit den Erwachsenen diskutieren. Es sind ihre Gefühls- und Gedankenwelten, die die Erzählung bestimmen und selbst noch im Montageprozess berücksichtigt wurden, in den Newell die Kinder miteinbezog. Ob eins der Kinder wohl diesen einen genialen Schnitt am Ende angeregt hat: von einer Wrestling-Show zur Sidney Gay and Lesbian Mardi Gras Parade, der herrlich beiläufig daran erinnert, dass Wrestling im übertragenen wie wörtlichen Sinne Männlichkeit als Maskerade ausstellt.

Inmitten der Parade lässt sich auf Transparenten und T-Shirts ein wunderbares Schlusswort entdecken, das zuckrig und catchy klingt wie ein Beatles-Hit: „Love makes a family“. Vielleicht hätte man sich am Ende doch noch ein bisschen mehr von Newells Film gewünscht als nur die Bestätigung dessen, dass wir nunmal alle „same and different“ zugleich sind. Und vielleicht bedauert man, dass sich die Exzerpte aus diesen vier Leben ein bisschen zu sehr einer einfachen Dramaturgie unterordnen, die jede der Geschichten mit einem besonderen Moment im Leben der Kinder enden lässt, mit dem Meistern einer Herausforderung oder der Erfüllung eines Wunsches. Aber guter Pop ist genau das: simpel und das, was man in dem Moment einfach hören muss.

 



Gayby Baby
von Maya Newell
AUS 2015, 94 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT

Rise and Shine Cinema
www.gaybybaby-film.de

 

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