Fuchs im Bau

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Hannes Fuchs kommt als neuer Lehrer in eine Strafanstalt für Jugendliche. Dank der unkonventionellen Unterrichtsmethoden seiner Kollegin Elisabeth Berger wird Fuchs, der sich noch von einem schweren Schicksalsschlag erholt, wieder kreativer – und kann sogar der verschlossenen Gefängnisinsassin Samira helfen. Arman T. Riahis Drama „Fuchs im Bau“ wurde beim Filmfestival Max Ophüls Preis für die Regie und das Drehbuch ausgezeichnet. Alexandra Seitz über einen Film, der seine vielen Themen jederzeit im Griff behält und sie mit überraschend leichter Hand entwickelt.

Foto: Rendezvous Filmverleih

Im Eskalationsraum

von Alexandra Seitz

Nein, kein rotfelliges Raubtier im heimischen Erdloch ist gemeint. Vielmehr ein Lehrer selbigen Namens in einer Jugendstrafvollzugsanstalt. Die Idee zu „Fuchs im Bau“ kam dem iranischstämmigen, österreichischen Filmemacher Arman T. Riahi, als er im Zuge der Recherche zu seinem Wiener Migranten-Rapper-Dokumentarfilm „Schwarzkopf“ (2011) bei Wolfgang Riebniger, Sonderpädagoge der Justizanstalt Josefstadt, in der Klasse saß. Dessen Erfahrungen aus 25 Jahren Arbeit in der Gefängnisschule und mit jugendlichen Insass:innen lieferten die Inspiration für Riahis nächstes Projekt und die Vorlage für die beiden Lehrkräfte, die darin ihre Kräfte messen und gemeinsam gegen die anderen stark sind. Beim Filmfestival Max Ophüls Preis 2021 wurde „Fuchs im Bau“ für Beste Regie, Bestes Drehbuch sowie mit dem Preis der Jugendjury ausgezeichnet; für den Österreichischen Filmpreis, der im Juni verliehen wird, ist er in zehn von sechzehn Kategorien nominiert.

Hannes Fuchs soll Elisabeth Berger ablösen, die ihre eigenen, recht speziellen Methoden hat, wenn sie in der Gefängnisschule die jungen Delinquent:innen unterrichtet. Methoden, die dem Abteilungskommandanten Weber lange schon ein Dorn im Auge sind, denn der hätte es gerne regelkonform; Disziplin statt Toleranz, Curriculum statt Kunstunterricht, Ordnung statt Apfelstrudel. Und überhaupt: die Berger! Die jetzt endlich mal in Pension müsste, aber eigentlich gar nicht will. Also arbeitet sie eben zunächst ihren Nachfolger ein respektive lässt sie ihn auflaufen und gibt ihn der Lächerlichkeit preis, indem sie ihn Kaffeeholen schickt. Dies ist das erste Spannungsfeld und tut sich auf zwischen der abgeklärten Häfnlehrerin, die die Arbeit ihres Lebens in Gefahr sieht, und dem unerfahrenen Mittelschullehrer, der sich beweisen will.

Ein weiteres besteht zwischen dem Neuling und den einsitzenden Schüler:innen, die die Gelegenheit ergreifen, alte Grenzen neu zu testen, eine noch ungefestigte Autorität möglichst rasch ins Wanken zu bringen und im entstehenden „Freiraum“ Chaos zu stiften. Chaos wiederum ist genau das, was Weber um jeden Preis verhindern will; er versucht, Fuchs als Verbündeten zu gewinnen, was die Lage auch nicht eben entspannt. Zumal die Berger das natürlich durchschaut und zu hintertreiben sucht, indem sie „Fuchsl“, wie sie ihn bald schon nennt, widerstrebend zwar, aber eben doch unter ihre Fittiche nimmt. Weiterhin kompliziert wird es dadurch, dass auch in Fuchs selbst etwas im Argen liegt, er schleppt etwas herum, er wirft sich etwas vor, er sitzt tatsächlich in einem Bau, in sich gefangen und in Schach gehalten von der Schuld und dem schlechten Gewissen.

Und dann ist da natürlich noch die Schüler:innenschaft; ein wild zusammengewürfelter Haufen, aus aller Herren und Damen Länder abstammend und unterschiedlicher Religons- wie ethnischer Zugehörigkeit. Der Umgangston ist rau, die Aggressionsschwelle niedrig, Respekt wird oft gefordert, aber selten gezollt. Ein Pulverfass. In dem in der letzten Bank Samira Spahić hockt, die nicht spricht, und die das Unglück des Nirgendwo-Hineinpassens und Nicht-Dazugehörens ausdünstet wie giftigen Schwefel – an dem allerdings sie als Allererste zu ersticken droht. Samira sitzt wegen eines tätlichen Angriffs auf ihren Vater ein, dessen Vorgeschichte respektive Auslöser einen weiteren Strang im dichten Geflecht der dramatischen Narrative bildet. Der Satz, der das Mysterium um das diffuse Mädchen schließlich aufklärt, fällt derart nebenbei, dass, wer nicht aufpasst, ihn glatt überhören könnte; seinen Widerhall findet er kurz darauf in einer Äußerung der Mutter, die meint, Samira habe halt „nur normal“ sein sollen.

„Fuchs im Bau“ hat eine Menge auf dem Zettel stehen: Trauma, Verlust, Trauer; autoritäre Strukturen auf dem Prüfstand und Strategien der Resozialisierung; sexuelle Orientierung und (noch) unscharfe Geschlechtsidentität, Selbsthass, Vorurteile, körperliche (Un)Versehrtheit; Aggression und Gewalt und der Umgang damit. Ein Haufen schwieriger Sachverhalte und krisenhafter Ereignisse, die Riahi, der hier ein eigenes Drehbuch verfilmt, dennoch jederzeit in sicherem Griff behält, um sie sodann mit überraschend leichter Hand zu ent-wickeln und zu lösen. Nicht zuletzt, indem er sich ein paar großzügig bemessene Ellipsen und Leerstellen erlaubt sowie fragmentarisch verebbende Handlungsstränge. Im wirklichen Leben geht es schließlich auch nicht geordnet zu wie in einer mathematischen Gleichung und nichts ist nur weiß oder schwarz. Und normal schon gleich gar nicht.

Foto: Rendezvous Filmverleih

Gedreht wurde „Fuchs im Bau“ in der seinerzeit leerstehenden, da renovationsbedürftigen Außenstelle Stockerau des Korneuburger Gefängnisses. Die Räume in einer Haftanstalt sind naturgemäß eher klein und beengt, was die von Mario Minichmayr geführte Kamera mit Beweglichkeit in jede Richtung ausgleicht. So wie der Lehrer im Klassenzimmer seine Aufmerksamkeit streuen muss, so flink flitzt der Blick durch die Reihen, schaut den Schüler:innen mal ins Gesicht, dann über die Schulter, wirft sich ins Gedränge vor dem Schrank mit den Malsachen, lässt sich tragen von Wogen der Bewegung, wenn die Emotionen hochschlagen und es hin und her geht zwischen dem „Tschuschen“ und dem „Kameltreiber“ und dem „Wappler“. „Fuchs im Bau“ ist allerdings kein reines Kammerspiel; immer wieder verlässt die Inszenierung die Anstalt und sucht. Mal die Übersicht, dann richtet sich der Blick von sehr weit oben auf den winzigen Hof, in dem die Insass*innen im Kreis gehen. Mal die Aufklärung, dann begibt sie sich mit den Figuren Nachhause, ins Beisl, aufs Konzert, schafft Vorgeschichten und Hintergründe herbei.

Die Souveränität des erzählerischen Gestus spiegelt sich auch darin wider, dass Riahi die Begriffe „Gefangenschaft“ und „Freisein“ auf vielerlei Ebenen ineinander blendet und solcherart sowohl als Metapher wie als Fakt sichtbar macht. Der Unterricht im Gefängnis bietet den Schüler:innen Freiraum; der Lehrer, der kommen und gehen kann, ist dennoch gefangen; äußere Freiheit ist nichts ohne innere Befreiung – die nicht zu haben ist ohne die Akzeptanz der Grauzonen, des Ungefügten und Widerspenstigen, des eigenen Selbst.




Fuchs im Bau
von Arman T. Riahi
AT 2020, 100 Minuten, FSK 12,
deutsch-bosnische OF mit deutschen UT,
Rendezvous Filmverleih

Ab 19. März im Kino.

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