Faustrecht der Freiheit (1975)
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Mit dem wahrgewordenen Traum eines Lottogewinns beginnt der Niedergang des abgebrannten Schaustellers Fox – ohne Aussicht auf Glück oder gar Hoffnung. Die Liebe stürzt ihn nur noch tiefer ins Verderben. „Faustrecht der Freiheit“ aus dem Jahr 1975 ist Rainer Werner Fassbinders illusionsloser Blick auf die schwule Welt als ein Zweiklassensystem: die Ungebildeten am Stammtisch und die Snobs in ihren teuren Geschäften. Peter Rehberg über einen ganz und gar unversöhnlichen Klassiker des schwulen Kinos.

Bild: Arthaus
Ausbeutung über den Tod hinaus
von Peter Rehberg
Rainer Werner Fassbinders Filme zeigen Intersektionalität – also die Art und Weise, in der unterschiedliche Faktoren wie Rasse, Geschlecht, Sexualität und Klasse die Position eines Individuums in der Gesellschaft bestimmen – bevor die Kategorie 1989 von Kimberlé Crinshaw entwickelt und im 21. Jahrhundert zur wichtigsten Vokabel des queeren und postkolonialen Diskurses geworden ist. Fassbinder, der zwischenmenschliche Beziehungen nicht jenseits von Macht sah, hatte immer im Blick, wie seine Figuren von mehr als einer Kraft geprägt und getrieben wurden.
Am herzzerreißendsten erzählt er diese Geschichte in „Angst essen Seele auf“ (1974), der unwahrscheinlichen Lovestory zwischen Ali (El Hedi ben Salem, Fassbinders Lover), einem marokkanischen „Gastarbeiter“ und Emmi (Brigitte Mira), einer nicht mehr jungen „Putzfrau“ aus München. Alter, Rasse, Geschlecht und sozialer Status trennen die beiden. Emmis Einkünfte erlauben ihr zwar nur einen bescheidenen Komfort (Bohnenkaffee!), der aber immer noch über dem von Ali liegt. Ali arbeitet auf dem Bau und teilt sich die Unterkunft mit seinen Kollegen aus Marokko. Allen Widerständen zum Trotz halten sich die ungleichen Liebenden Ali und Emmi die Treue.
Macht und Hass haben sich auch hier in die sozialen Beziehungen hineingefressen – Hitlers Deutschland ist für Fassbinders Filme der 1970er noch nicht weit weg – haben sie aber noch nicht kaputt gemacht. „Angst essen Seele auf“ ist ein warmherziger, fast hoffnungsvoller Film, auch wenn seine Figuren am Ende Beschädigungen davontragen. Ganz anders sieht es aus in dem ein Jahr später entstandenen „Faustrecht der Freiheit“ von 1975. Mitgefühl gibt es hier nur noch am Rande, zwischen Franz, genannt „Fox“ und von Fassbinder selbst gespielt, und seiner Schwester (Barbara Valentin), auch wenn deren Alkoholismus noch kurze Augenblicke von Empathie zulässt.
Im Zentrum steht die ausbeuterische Beziehung zwischen Fox und seinem Lover Eugen (Peter Chatel). Klassenunterschiede prägen hier die Begegnungen unter Schwulen. Fox, der sich am Anfang mit Jobs auf dem Jahrmarkt durchschlägt (als „sprechender Kopf“), glaubt an das große Glück in Form eines Lottogewinns. Angesichts der Verzweiflung, mit der er alles daransetzt, um seinen letzten Lottoschein noch vor Geschäftsschluss bei der Annahmestelle abzugeben (Brigitte Mira kehrt hier in der Rolle der Kioskbetreiberin zurück), ahnt man schon, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen wird. Fox gewinnt tatsächlich, doch das Glück im Lotto ist der Anfang seines Niedergangs.

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Fortan sind hier die Rollen vertauscht: der ungebildete Gelegenheitsjobber Fox, der zu Geld gekommen ist, trifft auf den Unternehmersohn Eugen, dessen Firma gerade Bankrott geht. Fox wird zum Sugardaddy, saniert mit seinem Geld das Familienunternehmen des neuen Boyfriends aus bürgerlichem Hause, kauft eine Eigentumswohnung für die beiden (und überschreibt sie gleich seinem Freund) und bezahlt den gemeinsamen Urlaub nach Marokko (El Hedi ben Salem hat hier einen kurzen Auftritt). Es ist fast schwer mit anzusehen, wie offensichtlich der naive und liebenswerte Fox ins Verderben rennt.
Interessant ist Fassbinders absolut illusionsloser Blick auf Schwule. Die schwule Welt ist bei Fassbinder ein Zweiklassensystem. Auf der einen Seite die weniger gebildeten Männer am Tresen in der Stammkneipe, auf der anderen eine snobistische Geschmacksaristokratie, die immer noch vornehm tut, auch wenn das Geld schon längst verbrannt ist. Eine Community gibt es weder hier noch dort. Keine Spur von Sozialromantik. Wenn mehr Geld die Menschen verdirbt, macht weniger Geld sie umgekehrt auch nicht besser.

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War der Lottogewinn das Ticket für Fox‘ Zugehörigkeit zur Münchner Schwulenschickeria, ist gleich wieder Schluss damit, als das Geld verprasst ist. Aber auch die Männer in der schwulen Eckkneipe zeigen sich unberührt von seinem Schicksal. Fox lässt sich von Eugen ausnehmen, bevor sich die beiden trennen, nicht ohne dass Eugen vorher seine Freunde durch teure Einkäufe in deren Geschäften finanziell mit sanieren ließ. Fox landet wieder da, wo er hergekommen ist – auf der Straße. Als er schließlich in einer U-Bahnunterführung zusammenbricht, klauen ihm zwei Jungs noch das letzte Geld aus der Brieftasche. Bei Fassbinder geht die Ausbeutung über den Tod hinaus.
Die Hauptfigur von „Faustrecht der Freiheit“ ist nach dem Helden aus Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ benannt: Franz Biberkopf. Hier wie dort, will es dem Protagonisten einfach nicht gelingen, sein Glück zu finden – zu feindselig zeigt sich die Welt, zu selbstsüchtig und boshaft die Menschen. Der Unterschied ist natürlich, dass es sich bei „Faustrecht der Freiheit“ um eine beinahe ausschließlich schwule Welt handelt. Neben „Querelle“ ist „Faustrecht der Freiheit“ Fassbinders schwulster Film. Die Schilderungen der Münchner Homos sind bei Fassbinder dabei manchmal nicht weit entfernt von Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von 1971.

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Der Blick der schwulen Regisseure Praunheim und Fassbinder auf die westdeutsche Schwulenszene ist in beiden Fällen schonungslos. Mit dem Unterschied, dass in Praunheims Film der aus dem Off gesprochene Text von Martin Dannecker das Bewusstsein der Schwulen als einer eigenen sozialen Klasse wecken soll. Der Film von Praunheim und Dannecker ist als provozierende Lektion gedacht: Angesichts der hier geschilderten repressiven und entfremdeten Lebensumstände müssen sich die Schwulen politisieren. Eine solche Versöhnlichkeit durch politische Befreiung bietet Fassbinders Film nicht an.
Bei Fassbinder lässt sich der westdeutsche Alltagsfaschismus durch keine am Marxismus orientierte Erzählung aufheben. Ein neues revolutionäres Subjekt – den Schwulen – gibt es nicht, nur Intrigen und Macht, auch unter Schwulen. Fassbinder, der mit der westdeutschen Schwulenbewegung fremdelte, ist das als mangelndes politisches Bewusstsein vorgeworfen worden. Man könnte aber auch sagen, Fassbinder hat damals schon die Lektion der Intersektionalität besser verstanden: Macht und Gewalt hat man noch lange nicht hinter sich gelassen, nur weil jetzt Schwule ihre Befreiung feiern können.

Faustrecht der Freiheit
von Rainer Werner Fassbinder
D 1975, 123 Minuten, FSK 16,
deutsche OF
Erhältlich als DVD und VoD