Dream Boy

TrailerDVD/VoD

Jetzt als DVD und VoD: Nathan ist 15 und mit seinen Eltern gerade nach St. Francisville, Louisiana, gezogen. In der High School fühlt er sich genauso als Außenseiter wie beim obligatorischen Gottesdienst. Einziger Lichtblick ist der attraktive Nachbarsjunge Roy, der mit 17 schon den Schulbus fährt. „Dream Boy“ (2008) von James Bolton erzählt von der Liebe zweier Teenager im tiefreligiösen Süden der USA – und gilt längst als Klassiker des queeren Kinos der 2000er Jahre. Andreas Köhnemann über ein einfühlsames Coming-of-Age-Drama, das einen märchenhaften Safe Space für sein jugendliches Liebespaar schafft.

Foto: Salzgeber

Der Träumende und der Traumjunge

von Andreas Köhnemann

Boy meets Boy. Das ist, in Relation zur Hetero-Variante, noch immer eher eine Ausnahme im Kino. Dennoch muss uns auch ein schwuler Coming-of-Age- und Liebesfilm etwas Besonderes in der Ausgestaltung seiner Kennlernsituation bieten, um in Erinnerung zu bleiben und um die Einzigartigkeit einer Begegnung, die emotionale Intensität im Aufeinandertreffen seiner zwei Hauptfiguren zu vermitteln.

In James Boltons Verfilmung von Jim Grimsleys Roman „Dream Boy“ ist es ein alter, gelber Schulbus, der für diese Besonderheit sorgt. Die Geschichte ist in den späten 1970er Jahren angesiedelt; die Inszenierung des 2008 entstandenen Films mutet in der Darstellung des ländlichen Lebens in St. Francisville, Louisiana jedoch so zeitlos an, dass der schüchterne Schüler Nathan Davies ebenso gut ein heutiger Teenager sein könnte. Zusammen mit seinen Eltern Harland und Vivian ist er wieder einmal umgezogen. Mit unsicherer Miene blickt der 15-Jährige auf die Feldwege und Wälder, die zu seiner neuesten Heimat führen, einem abgelegenen Farmhaus in einem provinziellen, von braunem Laub bedeckten Kosmos. Regelmäßige Gottesdienste, Bibelkreise und Tischgebete bestimmen hier den Alltag. An den Wänden hängen riesige Kruzifixe.

Mit gesenktem Kopf und leicht gekrümmter Haltung bewegt sich Nathan durch diese Welt. Nur der zwei Jahre ältere Nachbarsjunge Roy, mit langer, blonder Mähne und trotzig-verschlafenem James-Dean-Blick, vermag ihn aus der permanent empfundenen Beklemmung herauszureißen.

Und hier kommt nun besagter Schulbus ins Spiel, den Roy als Nebentätigkeit steuert. Tagtäglich ist Nathan sowohl dessen erster Fahrgast auf der Hinfahrt als auch der letzte auf dem Heimweg. „Rück ruhig näher“, ermutigt ihn Roy nach einer Phase des vorsichtigen Taxierens und der heimlichen Blicke, die Bolton in einer Montagesequenz in verträumt wirkenden Bildern, beinahe im Stil eines sanft-kontemplativen Musikvideos einfängt. So arbeitet sich Nathan allmählich von Sitz zu Sitz näher an Roy heran. Dieser hat wiederum das Steuer fest in der Hand – und wird es im Laufe der entstehenden Beziehung auch nur selten und mit erkennbarem Widerwillen abgeben.

Nathan ist gut in Englisch, Roy gut in Mathe – bei der gegenseitigen Hausaufgabenhilfe in Nathans Zimmer kommt es zu einer ersten Berührung zwischen den beiden Jungs. Doch zu Refugien für die zwei Verliebten müssen letztlich Orte außerhalb des elterlichen Einflusses werden. Abgesehen vom Schulbus ist das vor allem die freie Natur, insbesondere der nächtliche Wald, dessen Atmosphäre, gerade auch auf der Tonspur, ins Düster-Märchenhafte geht. Neben Campingplätzen und Grabhügeln befindet sich dort ein Geisterhaus, um das sich allerhand Gruselgeschichten und Legenden ranken.

Foto: Salzgeber

Bolton spielt, ebenso wie der Autor Grimsley in der literarischen Vorlage, in der Aufdeckung der Schattenseiten des US-amerikanischen Südens immer wieder mit Genre-Elementen. Wenn sich Nathan und Roy gemeinsam mit zwei Kumpels von Roy in das angebliche Geisterhaus begeben, spuken diverse übernatürliche Southern-Gothic-Motive durch die audiovisuelle Gestaltung. An anderer Stelle lässt der Regisseur das klassische Melodram in all seiner Exzentrik auflodern: Wenn Diana Scarwid, Genre-erprobt durch den Camp-Klassiker „Meine liebe Rabenmutter“ (1981), als Vivian im hellen Nachtgewand und in leidender Pose am Treppengeländer lehnt und der Theater- und Indiekino-Veteran Thomas Jay Ryan als Harland im weißen Unterhemd zur gewaltbereiten Bedrohung für die restliche Familie wird, wirken die beiden wie Figuren aus Tennessee Williams’ Stück „Endstation Sehnsucht“ (1947), wodurch der (Alb-)Traumcharakter des Films noch mehr betont wird.

„Dream Boy“ stammt aus einer Zeit des queeren Kinos, in der schwulen Liebesgeschichten nur selten ein glücklicher Schluss vergönnt war. Zwischen dem Kampf gegen Ablehnung, Hass und Gewalt und der Suche nach Schutz und Geborgenheit bilden die Gefühle zwischen Nathan und Roy das Herzstück des Films. Stephan Bender und Max Roeg (Sohn des Regisseurs Nicolas Roeg und der Schauspielerin Theresa Russell) transportieren in ihren Blickwechseln und in ihren gegenseitigen Berührungen die zunehmende Anziehung zwischen den beiden Jugendlichen, zwischen dem Träumenden und dem Traumjungen.

Foto: Salzgeber

„Es ist okay, wenn es nur zwischen uns ist“, meint Roy an einer Stelle zu Nathan. Für Empowerment in Form von Sichtbarkeit scheinen Nathan und Roy am falschen Ort zu sein; die Scham wurde ihnen in der Kirche, in der High School und vor allem im Elternhaus zu sehr eingeschärft, um sich davon in diesem Leben lösen zu können.

Und doch findet „Dream Boy“ für seine zwei Protagonisten bei aller Dramatik am Ende so etwas wie ein Wunder, für das wiederum kein Gott, kein Prediger und keine Kleinstadtgemeinde vonnöten sind. In der Sphäre, in der Nathan und Roy (vielleicht) ihr Glück ausagieren können, haben die beiden brutale bzw. schwache Eltern ebenso hinter sich gelassen wie aggressive Schul-Bullys und eine Ausgrenzung im Namen des Glaubens. Das, was jetzt nur zwischen ihnen ist, ist kein schmutziges Geheimnis – es ist das einzig Schöne, was je aus diesem Umfeld hervorgegangen ist. „Es ist eine Erleichterung, dass sie einander fühlen können, dass ihre Hände warm sind. Eine Erleichterung, dass sie in derselben Welt sind“, heißt es bei Grimsley. Der Roman und der Film machen deutlich: Die Liebe kann einen Safe Space schaffen, selbst an den finstersten Orten.




Dream Boy
von James Bolton
US 2008, 90 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT

Zur DVD im Salzgeber.Shop

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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