Didn’t Do It For Love

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Zu Monika Treuts 40. Arbeitsjubiläum ist im Salzgeber Club jetzt eine umfangreiche Retrospektive mit 12 Filmen der Regisseurin zu sehen, inklusive zahlreicher VoD-Premieren, etwa des Kurzfilmprogramms „Female Misbehavior“ und der Taiwan-Filme „Den Tigerfrauen wachsen Flügel“, „Made in Taiwan“ und „Das Rohe und das Gekochte“. Monikas bahnbrechender Debütfilm „Verführung: Die grausame Frau“ (Co-Regie: Elfi Mikesch), der aktuell auch in der Queerfilmnacht läuft, sowie Klassiker wie „Die Jungfrauenmaschine“ oder „Gendernauts“ fehlen ebenso wenig wie ihr bislang jüngster Film „Genderation“. Ein besonderes Juwel ist der selten gezeigte Dokumentarfilm „Didn’t Do It for Love“ über die New Yorker Domina und S/M-Pädagogin Eva Norvind. Theresa Rodewald über ein Porträt, das seiner faszinierenden Protagonistin unglaublich nah kommt, gerade weil es Widersprüche zulässt.

Foto: Salzgeber

Wer bist du?

von Theresa Rodewald

„Manchmal frage ich mich, ob ich wirklich in diesem Film bin“, sagt Eva Johanne Chegodayeva Sakonsky aka Eva Norvind aka Ava Taurel. „Ich weiß nicht, ob der Mensch, für den ich mich halte, wirklich präsent ist.“ In ihrem Fall scheint sich die Frage nach der eigenen Identität besonders akut zu stellen, denn – so übertrieben es klingt – es gibt kaum etwas, das Eva nicht gemacht hat. Ihre Mutter, Johanna Kajanus, ist Bildhauerin und ihr Vater, Paul Vernstad, ein russischer Prinz (!). Eva selbst arbeitet schon mit 16 Jahren als Erotik-Tänzerin in Frankreich. Über Toronto und New York landet sie schließlich in Mexiko-Stadt und wird dort über Nacht zur Sensation. Sie ist Schauspielerin, Tänzerin, Sängerin, Model und bald als die „mexikanische Marilyn Monroe“ bekannt. Sie arbeitet als Fotografin und zieht nach der Geburt ihrer Tochter Nailea zurück nach New York, um Film zu studieren. Später arbeitet Eva als Domina Ava Taurel. Sie gründet ihre eigene, ausgesprochen erfolgreiche Firma, ist mit ihren SM-Kursen in Funk und Fernsehen unterwegs und erlangt dadurch ein zweites Mal Star-Status. Danach zieht es sie wieder an die Universität: Eva studiert Kriminalpsychologie und arbeitet mit Sexualstraftätern. Und auch wenn Monika Treuts Dokumentarfilm über sie an einem Punkt enden muss, ist klar: Ein gediegenes Sich-zur-Ruhe-Setzen gibt es für Eva Norvind nicht. 2006, knappe zehn Jahre nach Treuts Film, kommt sie beim Schwimmen im mexikanischen Zipolite ums Leben – zu diesem Zeitpunkt arbeitet sie selbst an einem Film.

Was macht einen Menschen aus? Die Herkunft, Kindheit, Jugend? Beruf und Karriere? Interessen? Sexualität? Alberne Frage eigentlich – schließlich bilden all diese Teile das große Ganze der Identität. Und doch beschäftigen sich biografische Dokumentarfilme oft obsessiv einzig mit dem Schaffen ihres Subjekts, fragen „Was hast du erreicht?“ statt „Wer bist du?“ Monika Treut hingegen beleuchtet das Leben von Eva Norvind nicht nur von einer Seite, reduziert es nicht auf einen einzelnen Aspekt. Sie gibt Eva und Ava, dem Kind, dem Star, der Geschäftsfrau, der Domina, der Forscherin Raum. Sichtbar wird ein Tatendrang, der aufregend und qualvoll zugleich ist. Großzügigkeit, Rastlosigkeit, Unnachgiebigkeit, Machtanspruch – Fragmente, die nicht immer zusammenpassen. Facetten, die anzusehen auch unbequem sein kann. Damit entfaltet sich Minute um Minute, Interview um Interview, Beobachtung um Beobachtung ein Porträt, das in seiner Unvollkommenheit kompletter ist als jeder klassische Dokumentarfilm. Ein Porträt, das Eva Norvind unglaublich nah kommt, gerade weil es Widersprüche zulässt.


Immer wieder kehren der Film und Eva selbst zur Frage nach Subjekt und Objekt zurück. Mal scheint es, als würde die Transformation vom (Sex-)Objekt zum selbstbestimmten Subjekt Evas Leben definieren: vom 16-jährigen Mädchen, das von seiner Mutter dazu gedrängt wird, sich vor Filmproduzenten nackt auszuziehen und als Erotik-Tänzerin zu arbeiten, hin zur Geschäftsfrau und Domina, die ihre Sexualität jenseits von männlicher Fantasie und dem männlichen Blick auslebt.

Dann reflektiert der Film wieder über die Subjektivität und Objektivität weiblicher Sexualität. Lust und Begierde äußert Eva schon früh und wird dafür von ihrer Mutter bestraft. Ihr Körper, so wird es ihr vermittelt, ist eine Geldanlage, Erotik eine Ware. Ist es möglich, sich von diesem absurden Doppelstandard zu befreien? Jenseits heterosexueller Normen – vielleicht. In der Beziehung zu einer Frau, erzählt Eva, habe sie sich zum ersten Mal selbst entdeckt. Die Zwänge des Patriarchats sind hier scheinbar weniger stark zu spüren, die Rollen sind weniger starr verteilt. Ihren Status als Lustobjekt nutzt Eva, um im erzkatholischen Mexiko Mitte der 60er-Jahre über Verhütung zu sprechen. Es ist nicht klar, wann Eva aufhört, Objekt und Sexsymbol zu sein, und wo ihr eigenständiges Spiel mit dieser Symbolkraft beginnt. Gibt es da überhaupt eine Grenze? Monika Treut ist weniger daran interessiert, Eva Norvind als Opfer des Patriarchats darzustellen, als auszuloten, welche Wege weibliche Lust in diesem Geflecht aus Normen und Zuschreibungen nehmen kann.

Besonders deutlich wird Evas Ringen mit Hingabe und Dominanz, mit Objekt- und Subjektpositionen in ihrer Arbeit als Domina und erfolgreiche Geschäftsfrau. Auch hier sind Lust, Sex und Geld scheinbar untrennbar miteinander verwoben. Ava Taurel ist unheimlich erfolgreich, aber, so erzählt Eva der Kamera, im Begriff, sich selbst zu verlieren. SM ist für sie irgendwann nicht mehr Begegnung und Austausch, sondern eine unliebsame Aufgabe. Auch hier gibt es wieder eine fließende Grenze zwischen der scharfsinnigen Entscheidung, Kapital aus der eigenen Lust zu schlagen, und der Selbstentfremdung, die Lohnarbeit mit sich bringt.

Foto: Salzgeber

Immer wieder offenbart sich in Interviews, in den Interaktionen, die Monika Treut festhält, außerdem Evas Drang, Grenzen auszuloten und zu überschreiten – eigene und die von anderen. Eva spricht Themen an, über die andere gern taktvoll hinwegsehen, ist furchtlos, witzig und unverschämt. Sie verletzt aber auch ihr Gegenüber, nimmt in Beziehungen eine dominante Rolle ein und nutzt ihre Überlegenheit aus. Eva erzählt, wie sie das Einverständnis einer jungen Frau einmal ignoriert und ausgenutzt hat: „Sie hat sich mir freiwillig hingegeben, aber nicht dem, was ich dann wirklich mit ihr gemacht habe.“ In den Sexualstraftätern, mit denen sie arbeitet, meint Eva, erkennt sie sich selbst wieder. Sie habe lediglich die Grenze des Legalen nicht überschritten. Obwohl sie es eigentlich besser weiß, will sie Safewords beim SM nicht wirklich verwenden: „Ich möchte, dass mir mein Gegenüber vertraut, die Grenzen richtig zu setzen.“ Und das, obwohl (oder gerade weil?) sie oftmals nicht zu wissen scheint, wann Schluss ist.

Was bedeutet es, Objekt zu sein, sich jemandem hinzugeben? Was bedeutet es, Macht zu haben? Und wo verlaufen die Grenzen zwischen Einvernehmlichkeit und Machtmissbrauch? Ist es vielleicht die strenge Aufteilung in Subjekt und Objekt, die es so schwer machen kann, diese Grenzen zu erkennen? „Ich mache die Menschen in meinem Leben zu Sexobjekten“, sagt Eva einmal. „Aber ich will Verbindungen jenseits des Sexuellen.“

Eva war, so erinnert sich ihre Mutter Johanna, schon als Kind manchmal jähzornig. Ihrem wütenden Ich gab sie damals einen eigenen Namen: Greva. Diese Anekdote zeigt in ihrer Alltäglichkeit sehr deutlich, wie wenig weibliche Wut existieren durfte. Es gibt eine Szene zum Ende des Films, in der Eva unter Tränen von den perfekt-reservierten Manieren ihrer Mutter und ihres Bruder erzählt. Sie selbst konnte dem nie entsprechen und war stets zu laut, zu stürmisch, zu ehrgeizig. Gegen gute Manieren habe sie deshalb immer rebelliert. Auch hier offenbart sich ein sehr menschlicher und wenig ausgesprochener Widerspruch: sich nicht anpassen zu können und zu wollen ist legitim, ist wichtig und gleichzeitig schmerzhaft.

Monika Treut macht Filme abseits patriarchaler Normen. Statt bei der Kritik des Patriarchats stehen zu bleiben, erhebt sie sich über dessen Regeln. In ihren Dokumentarfilmen porträtiert sie Menschen, die die Heteronormativität hinter sich gelassen haben und abseits davon leben. „Didn’t Do It for Love“ hat auch nach mehr als 25 Jahren nichts von seiner Faszination verloren.




Didn’t Do It for Love
von Monika Treut
DE 1997, 80 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT

Im Salzgeber Club