Der Honiggarten – Das Geheimnis der Bienen

Trailer Kino

Schottland in den 50er Jahren: Als die junge Ärztin und Bienenzüchterin Jean in den Ort ihrer Kindheit zurückkehrt, lernt sie die alleinerziehende Mutter und Fabrikarbeiterin Lydia kennen. Weil Lydia die Miete für sich und ihren kleinen Sohn Charlie nicht mehr bezahlen kann, nimmt Jean die beiden bei sich auf. Die Frauen kommen sich näher – und aus Freundschaft wird Liebe. In Annabel Jankels Verfilmung des Weltbestsellers von Fiona Shaw brillieren Oscar-Preisträgerin Anna Paquin und Holliday Grainger als Paar, das sich gegen die Moralvorstellungen der konservativen Gesellschaft behaupten muss. Barbara Schweizerhof hat sich das romantische Sittengemälde angesehen.

Foto: Capelight Pictures

A Taste of Honey

von Barbara Schweizerhof

Die wahre Herausforderung für einen Film über die Liebe zwischen Frauen ist – paradoxerweise –, sie  nicht zu schön zu machen. Es ist eine Binsenweisheit, dass zwei schöne Frauen, die sich küssen, auch beim ganz auf Heteronormativität eingestellten Publikum nicht jenes Unbehagen erzeugen, das zwei sich küssende Männer auf der Leinwand oft noch auslösen. Über dem Oberflächenreiz des ästhetisch Genehmen und Angenehmen gerät deshalb in der Behandlung von lesbischen Themen oft in Vergessenheit, von wieviel Zwang, Gewalt und Unterdrückung auch die weiblichen Coming-out-Geschichten geprägt sind. Zumal wenn sie, wie Annabel Jankels „Der Honiggarten“, irgendwo in der schottischen Provinz im Großbritannien der 50er Jahre statt finden.

Jankels unmittelbare Antwort darauf ist denn auch, ihren Film mehr wie eines der englischen „Kitchen Sink“-Dramen jener Zeit anzulegen, statt die Folie des Melodrams zu nutzen, wie es etwa Todd Haynes mit „Carol“ (2015) getan hat.

In der Gegend, in der „Der Honiggarten“ spielt, regiert in den 50er Jahren noch die Nachkriegsknappheit gepaart mit einer misstrauischen sozialen Strenge, die die Armut gleichsam als schicksalshaft festschreibt. Die junge Mutter Lydia (Holliday Grainger) kommt schon mal weinend von der Arbeit nach Hause; ihr Sohn Charlie (Gregor Selkirk) will sie trösten und weiß nicht wie, wird er doch selbst in der Schule gehänselt. Lydia, das zeigt Jankels Film zu Beginn mehr als Stimmung denn als Fakt, ist eine Fremde in dieser Kleinstadt und dementsprechend isoliert. Die Mutter ihres Mannes beäugt sie auch noch nach Jahren mit Misstrauen, weil sie schon bei der Hochzeit schwanger war. Dass Lydias Mann Robert (Emun Elliot) sich nun trennen will, weil er eine andere gefunden hat, löst bei ihr kein Mitleid aus. Und das obwohl für Lydia die Trennung nicht nur einen Vertrauens- oder Herzensbruch darstellt, sondern gleichbedeutend ist mit dem finanziellen und damit sozialen Ruin. Lydias Job in der Textilfabrik, auch das macht der Film in knappen Szenen klar, ist zwar anstrengend, aber als klassische Frauenarbeit so schlecht bezahlt, dass sie die Wohnung, die sie mietet, nicht mehr länger wird bezahlen können.

Foto: Capelight Pictures

Jean (Anna Paquin) dagegen ist nicht nur aus ganz anderem Holz geschnitzt, sie kommt auch aus einer anderen Schicht. Ihr Vater war der angesehene Arzt des Städtchens, auch sie selbst hat Medizin studiert und kommt nun, nach dem Tod des Vaters, zurück, um dessen Praxis zu übernehmen. Charlie landet nach einer Prügelei mit Mitschülern bei ihr in der Praxis, und aus irgendeinem Grund können die Ärztin und der kleine Junge auf Anhieb etwas miteinander anfangen. Jean zeigt Charlie die Bienen, die ihr Vater im Garten hielt und Charlie fühlt sich sofort wie magisch zu ihnen hingezogen. Ist es ihre hohe Form von sozialer Organisation, die ihn fasziniert, oder die Tatsache, dass sie in Tänzen sprechen? Man könne ihnen auch gut Geheimnisse erzählen, sie würden sie verstehen, meint Jean. Und Charlie, der unter den Geheimnisse um sich herum leidet, weil er sie meist noch nicht versteht, spürt Erleichterung.

Irgendwann lernen sich dann auch die beiden Frauen kennen, die verzweifelte, verlassene Arbeiter-Ehefrau Lydia und die taffe Ärztin Jean mit eigenem Auto und eigener Villa. Lydia erzählt sofort zu viel von sich, Jean dagegen fast nichts. Die unterschiedlichen Redeanteile stehen im umgekehrten Verhältnis dazu, wie gut die Frauen sich jeweils selbst kennen. Wo die vertrauensselige Lydia impulsiv einem Gefühl folgt, weiß die erfahrenere Jean schon, wozu das führen könnte. Erst später wird sie Lydia erzählen, welch bittere Konsequenzen es hatte, als auch sie zum ersten Mal ihrem Gefühl folgte.

Foto: Capelight Pictures

Der Film schildert die Geschichte nur vorgeblich aus der Perspektive des erwachsenen Charlie, der hier per Stimme aus dem Off auf sein kindliches Ich und seinen kindlichen Unverstand zurückblickt. Dass er und Lydia bei Jean einziehen können, als seine Mutter zuerst ihren Job und dann die Wohnung verliert, erscheint ihm zunächst als glückliche Wendung – wäre da nicht das Gerede von Nachbarn und Mitschülern, die Böses über seine Mutter und die neue Ärztin behaupten. Mit seiner Mutter hat er doch einen Pakt geschlossen, keine Geheimnisse voreinander zu haben. Als er sehen muss, dass sie ihn bricht, fühlt er sich sowohl von ihr als auch von Jean, die er doch als Vertraute und Freundin betrachtete, betrogen. Mit schlimmen Konsequenzen für alle.

Jankel beschränkt sich in der Verfilmung des Romans von Fiona Shaw aus dem Jahr 2009 aber nicht auf die Erinnerungen des Sohns, der als Erwachsener toleranter ist, als er es damals als zwischen den Dogmen des Vaters und der Loyalität zur Mutter zerrissenes Kind war. Sie inszeniert auch, wie Jean und Lydia sich gegenseitig sehen: wie Lydia der introvertierten Jean zunächst als die eigentlich wagemutigere erscheinen muss, die vor der Missbilligung der eigenen Eltern ihrem Mann hier in die schottische Provinz gefolgt ist. Und wie Jean wiederum in Lydias Augen eine Selbstständigkeit und Unabhängigkeit verkörpert, von der sie nur träumen kann. Die Liebesszenen sind dabei samt dem Glück, das sie auslösen, so klassisch gehalten, wie man es von einem „period picture“ über die 50er erwartet.

Foto: Capelight Pictures

Die soziale Marginalisierung von Frauen führt oft zu deren relativen Unsichtbarkeit. Was im Bezug auf Macht ein Nachteil ist, versuchen Jean und Lydia im „Honiggarten“ zunächst für sich zu nutzen: Sie glauben, ihre Liebe sozusagen in der Unsichtbarkeit ungestört leben zu können. Doch das erweist sich als Illusion. Die Umgebung reagiert nicht nur reflexhaft auf Abweichungen von der Norm, sondern auch schon auf den Verdacht eines Geheimnisses. Außenseiter, alles Nichtkonforme, werden schnellstens abgestraft. Wie nahtlos die Ausübung von sozialem Druck in übelste körperliche Gewalt übergeht, besonders für Frauen, demonstriert der Film nicht nur an den Vergewaltigungsdrohungen, denen Lydia sich ausgesetzt sieht, sondern auch am Beispiel ihrer Schwägerin, die eine Liebschaft mit einem Farbigen eingeht und von der eigenen Mutter zur Abtreibung gezwungen wird.

Das Beeindruckende an Jankels Film ist nicht nur diese soziale Genauigkeit, sondern auch, dass der Ehrgeiz der beiden Heldinnen hier durchaus über die Erfüllung in der Liebe hinausgehen darf: Lydia will ein unabhängigeres Leben, Jean will sich an Vaters Statt als Doktorin bewähren. Die Liebe, so resümiert auch der erwachsene Charlie schließlich aus dem Off, egal wie es mit ihr ausging, hat ihnen beim Erreichen ihrer Ziele eine große Hilfe geleistet.




Der Honiggarten Das Geheimnis der Bienen
von Annabel Jankel
UK 2018, 108 Minuten, FSK 6,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,

Capelight Pictures

Ab 5. September hier im Kino.

 

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