Ralf König: Stehaufmännchen

Buch

In einem Interview erzählt Ralf König, er habe als Kind die Comic-Helden Asterix und Obelix geliebt. Das erkläre, warum in seinen Geschichten so oft ein sehr kleiner kluger und ein sehr kräftiger dummer Mann vorkommen, die jedoch nicht an Wildschweine, sondern etwas ganz anderes denken: an Sex. In „Bullenklöten“ (1992) fing das an: der kleine Paul verliebt sich in einen spanischen Bauarbeiter namens Ramon. Viele weitere „Ramons“ folgten, und der allerneueste ist zugleich der allererste der Menschheitsgeschichte: ein strunzdummer homo robustus mit Namen Rob, in den sich der kleine homo sapiens Flop verliebt. Und das mit Grund: Rob hat als homo robustus einen in der Evolution später verschwundenen Penisknochen! Alles weitere über „Stehaufmännchen“ erzählt Christian Lütjens.

König der Affen

von Christian Lütjens

Das Erscheinen des neuen Ralf-König-Comics „Stehaufmännchen“ wurde von einem munteren Rauschen rund um Zensur, Diskriminierung und die Krise des alten weißen Cis-Mannes begleitet. Es begann mit einem Text in der Aprilausgabe des queeren Berliner Stadtmagazins Siegessäule, in dem Kolumnist König höchstselbst darüber philosophierte, „dass ich mit 58 wohl schon einer der viel verachteten ‚weißen alten Männer‘ bin“, und sich augenzwinkernd dafür rechtfertigte, dass er in seinen SchwulComix der 80er Jahre den Begriff „Quarktasche“ als Synonym für Frauen kultiviert hatte. Dann kam im Mai „Stehaufmännchen“ raus, woraufhin die BILD einen „Streit um Hänge-Hoden“ herbeiredete, den der Zeichner angeblich mit dem Rowohlt-Verlag über das Cover-Motiv des neuen Werks gehabt hatte. Diese Meldung entkräftete König wenige Tage später selbst, indem er bei Facebook klarstellte: „Kein Streit, nirgends.“ Man habe beim Verlag lediglich angemerkt, dass die dicken Eier des Cover-Affen „dem Inhalt nicht gerecht werden“ und „platt wirken“ könnten, woraufhin er „dem Erectus halt seufzend einen Ast vors Gemächt geklebt“ habe.

Und dann war da natürlich die Debatte um Transphobie, Rassismus und Dickenfeindlichkeit in einem Riesengemälde, das König vor vier Jahren für eine Mauer des Brüsseler LGBTQI-Zentrums Rainbow House angefertigt hatte. Das Mural vereint zehn der königlichen Szene-Stereotypen zu einer Art Familienschnappschuss. Seit der Enthüllung im Jahr 2015 galt es als Sinnbild der Diversität der Queer-Community, bis es im Juli 2018 mit „Transphobia“ und „Racism“-Schriftzügen beschmiert wurde. Die LeiterInnen des Hauses gingen daraufhin in intensive Klausur, deren Folge im Mai ein offener Brief war, in dem sie König dazu aufforderten, das Bild zu korrigieren. Konkret sollte er die dicken roten Lippen und den unintelligenten Blick einer Woman of Color ändern, weil sie kolonialen, rassistischen Vorurteilen entsprächen, während eine vermeintliche Transfrau glücklicher, würdevoller und weniger dickenfeindlich zu gestalten sei. Fänden die Korrekturen nicht statt, sähe man sich gezwungen, das Bild zu übermalen und die Wand einem anderen Künstler zur Verfügung zu stellen, hieß es.

Als das Schreiben veröffentlicht wurde, standen die Transphobie- und Rassismusvorwürfe schon einige Monate im Raum. König hatte seinem Befremden und Ärger über die Anschuldigungen längst Luft gemacht. Seine Antwort an die Rainbow-House-Crew fiel somit betont verständnisvoll aus. Neben dem Verweis auf seine 40-jährige Tätigkeit als schwuler Comic-Zeichner, der Einschätzung, dass „Rassismus und Transphobie ALLEM widersprechen, wofür ich stehe“, und der Info, dass die vermeintliche Transfrau in Wahrheit eine Trümmertunte (also eine Drag-Queen) darstellen sollte, erteilte König der Forderung nach Korrekturen eine galante Absage: „Ich finde es zwar schade, in dieser Form missverstanden zu werden, aber ich kann damit leben, wenn ihr es vorzieht, das Bild zu übermalen.“ Diese Reaktion führte Ende Juni dazu, dass beschlossen wurde, das Wandgemälde doch so zu lassen, wie es ist – inklusive „Transphobia“- und „Rassismus“-Schriftzügen – und um eine „pädagogische Infotafel“ zu ergänzen, auf der die Kontroverse im Dienst der Bewusstseinsbildung erläutert wird. „Jedes Kunstwerk tritt in Interaktion mit dem Zeitgeist und dem Publikum“, so der Rainbow-House-Vorstand. Im vorliegenden Fall habe diese Interaktion eine Kritik von Mitgliedern der LGBTQI-Community zutage gefördert, die deutlich mache, dass das Bild auch ohne die Absicht seines Schöpfers eine transphobe, rassistische und dickenfeindliche Botschaft vermittele. Das gelte es im Sinne des sensiblen Umgangs mit Minderheiten zu berücksichtigen. Schluss mit der Diskussion. Endlich.

Ralf König – Foto: Wolf-Dieter Tabbert

Tja, und nun steht es da, das „Stehaufmännchen“ mit den dicken Eiern und dem Ast vorm Gemächt, und guckt in etwa so verwirrt, wie sich vielleicht manche Leser dieses Textes fühlen, die seit drei langen Absätzen auf den Beginn einer Rezension warten, stattdessen aber mit Abhandlungen über die jüngere Rezeptionsgeschichte des zu besprechenden Autors behelligt werden. Zur Erklärung: Bei Ralf König, dessen angstfreie Verquickung politischer und feuilletonistischer E-Themen mit Umgangssprache und sexuellen Eindeutigkeiten seit jeher sowohl an Heteros als auch an Queers hohe Anforderungen stellt, fällt es schwer, eine neue Veröffentlichung ohne gleichzeitige Spiegelung ihres Kontexts zu besprechen. Außerdem sind die jüngsten Debatten ein hervorragender Ausgangspunkt, um einige Qualitäten von „Stehaufmännchen“ und seinem Schöpfer zu unterstreichen. Am Ende herrscht auch hier jene Grundhaltung vor, die schon immer Königs Arbeiten prägte: Karikaturen und politische Unkorrektheiten dienen dazu, die Gesetze des Mainstreams und den Hochmut der Mächtigen zu entlarven und dadurch die Unerschütterlichkeit des gesellschaftlichen Status Quo im Interesse unterrepräsentierter Minderheiten infrage zu stellen. Allein diese Herangehensweise spricht König vom Vorwurf frei, ob seiner Cis-Männlichkeit oder seiner Generation zur Kaste derer zu gehören, die gemeinhin als „alte, weiße Männer“ gescholten werden. Dass er bei alledem einen zutiefst menschlichen Blick auf die Welt und ihre Bewohner pflegt, ist in diesem Zusammenhang Fluch und Segen zugleich. Wer Menschen realistisch darstellt, kommt nicht um die Tatsache herum, dass sie sich oft ziemlich dämlich benehmen. Um nichts anderes geht es in „Stehaufmännchen“. Oder wie es im Intro heißt: „Was ist der Mensch? Woher kommen wir? Wie lange gibt es uns schon und wie konnten wir uns über alle anderen Kreaturen erheben? Und warum sind wir nach Millionen Jahren Entwicklungsgeschichte immer noch so blöd?“

Generell hat sich König hier fünf Jahre nach dem Science-Fiction-Epos „Barry Hoden – Im Welltall hört dich keiner grunzen“ wieder ein echtes Großprojekt vorgenommen. Ging es in „Barry Hoden“ um eine libidinös schwule Kamikaze-Version der Weltraumabenteuer des Groschenromanhelden Perry Rhodan, so geht es diesmal um nicht weniger als die Auserzählung der Hominisation, also der Evolution der Gattung „Homo“. Millionen von Jahren der Menschwerdung werden auf 190 Seiten eingedampft, die Entwicklung vom aufrechten Gang bis zu den ersten Lendenschurzen innerhalb einer Generation vollzogen. Ein Ding der Unmöglichkeit, sollte man meinen, doch König meistert den Kraftakt mit der gleichen Nonchalance, die schon seine Bibeltrilogie auszeichnete, in der er den christlichen Mythen der Schöpfungsgeschichte, der Arche Noah und des Heiligen Paulus ihren ehrwürdigen Pathos austrieb und sie auf handliches Comedy-Format mit zeitgenössischer Relevanz stutzte.

Als dramaturgischer Rahmen dient in „Stehaufmännchen“ die gegenwärtige Handlungsebene eines prolligen Heteropaares, das sich – stilecht mit geblümter Bademode und Schlappen –  in der vermüllten Savanne Südafrikas verlaufen hat und auf eine Gruppe sprechender Primaten trifft, die zusammengekommen ist, um sich im „Affentheater“ die „humanoide Tragödie ‚Stehaufmännchen‘“ anzugucken. Aus Mangel an Alternativen guckt das Ehepaar mit – um am Ende genauso zu enden wie die tierischen Helden der Tragödie. Auf dem Ast eines Baums. Ohne Plan. Zum Aussterben verdammt.

Herzstück des Comics ist aber das Affentheaterstück selbst, in dem ohne Hemmungen anthropologische Theorien zu Initiationslegenden verschwurbelt und wissenschaftliche Erkenntnisse mit Fiktion verquickt werden. Da resultiert der aufrechte Gang aus der Impotenz des letzten echten Alphamännchens, Heterosexualität als Norm ist die fixe Idee des despotischen Cover-Helden mit den dicken Hoden, der versteckte Eisprung wird zum Ausdruck der ersten weiblichen Emanzipationsbewegung der Affenmenschheit, und so weiter. Als Hauptfigur krabbelt, beziehungsweise geht, Königs Alter Ego, Kulturpessimist Flop, durch die Handlung, der sich – stockschwul und jeder Modernisierung abhold – in die Zeit zurücksehnt, in der die Primaten noch ein gemütliches pansexuelles Dasein auf Bäumen fristeten. Dass seine Liebesgeschichte mit dem kräftigen aber friedvollen Homo Robustus Rob (König-Kenner werden in der Figur das urzeitliche Äquivalent zu den Weltraum-Machos aus „Barry Hoden“ wiedererkennen) zu einem mehr oder weniger selbst gewählten Ausschluss aus der Affengemeinschaft führt, ist nur eine von zahlreichen Wendungen, die die vordergründig chaotische Evolutionsfabel zum dialektischen Kommentar auf die menschliche Gegenwart machen. Ausgrenzung, Klimakatastrophen, Flüchtlingskrise, Gender-Debatten, Kriegstreiberei, Genozide – all diese Verbrechen der menschlichen Kultur werden in „Stehaufmännchen“ mit anarchischer Lust am Bruch mit der wissenschaftlichen Korrektheit zu ihren Ursprüngen zurückverfolgt. Der Abgleich von Fakten und Fiktion macht dabei ebenso den Spaß beim Lesen aus wie das Wiedererkennen klassischer König-Figuren/Szenarien in den Affen-Charakteren/Dialogen. Dass das Ganze ein bisschen überfrachtet ist und zwischenzeitlich eher nummernrevueartig von Evolutionsschritt zu Evolutionsschritt hopst, möge als Erklärung reichen, dass „Stehaufmännchen“ nicht der ausgereifteste aller König-Comics ist. Einer der ambitioniertesten ist er trotzdem. Außerdem erschließen sich viele kluge Querverweise und hintergründige Witze, die bei der Erstlektüre in Situationskomik untergehen, erst beim zweiten Durchgang. Mehrmaliges Lesen sei also ausdrücklich empfohlen.

Optisch setzt der Band mit traumhaft grünen Urwald-Szenarien, in tiefes Blau getränkten Nacht-Sequenzen, unwirklichen rosa Sonnenuntergängen sowie einem Pilz-Trip Akzente, in dem die Tiere der Savanne in psychedelischen Regenbogenmustern erstrahlen. Am Ende gibt’s ein vierseitiges „Making-of“ mit Out-Takes und ein paar launigen Erläuterungen des Meisters über die Tücken und Freuden bei der Entwicklung des Evolutionsepos.

Fazit: Ein queeres, komisches und intelligentes Savannenspektakel, das von Sex bis Drugs keine Wünsche offenlässt. Ein anarchisches Gegenprogramm zum zu Tode polierten neuen „König der Löwen“ quasi. Mit dem lesbischen Äffinnenpärchen Effi und Peffi, denen die klügsten Sprechblaseninhalte vorbehalten sind, hat „Stehaufmännchen“ außerdem ein queerfeministisches As im Ärmel. Ein Erfolg ist der Comic auch. Bereits zwei Wochen nach Erscheinen war die erste Auflage vergriffen und es musste nachgedruckt werden. Die Krise des alten, weißen Mannes sieht anders aus.




Stehaufmännchen
von Ralf König
Gebunden
, 192 Seiten, 24 €,
Rowohlt Verlag

 

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