Caracas, eine Liebe

Trailer • Interview

Ein gut situierter älterer Herr stellt zwielichtigen Jungs nach, die er nach Belieben kaufen kann. Von Caracas, der angeblich gefährlichsten Stadt der Welt, sieht man in diesem nach ihr benannten Spielfilm allerhöchstens ein paar Straßenecken. Und von Liebe gar nichts. „Caracas, eine Liebe“ von Lorenzo Vigas Castes erhielt 2015 den Goldenen Löwen auf dem Filmfestival von Venedig. Eine bedeutende Auszeichnung für ein so hartes wie konsequentes Vabanquespiel, das keine Sieger kennt.

Foto: Weltkino

Drei Patronenhülsen später

von Michael Eckhardt

Der deutsche Filmtitel ist schön, aber doch blanker Euphemismus. In einer Stadt wie Caracas scheint die Liebe fremd, unmöglich, fern, desde allá eben, wie das Original weiß. Liebe? Allenfalls als kalkulierte Möglichkeit, als Mittel zum Zweck, als Zahlungsmittel, als Waffe.

Womit wir bei Armando wären. Im besten Alter, sagt man wohl, recht gut situiert, Zahnprothesen für die oberen Zehntausend verkaufen sich auch und gerade in einem verkommenden Land wie Venezuela bestens, es geht ihm gut. Er hat die Mittel, sich jungen Männern zu nähern, wobei Nähe eben relativ ist. Er drückt sich an Bushaltestellen herum, setzt sich zufällig neben sein Objekt der Begierde, zückt das Geld, es folgt ihm. Und in seiner Wohnung wichst er in sicherem Abstand, während sich der mit dem Rücken Zugewandte das T-Shirt aus- und die Hose bis grade über den Hintern zieht. Der Nächste, bitte!

In dieser ritualisierten, kaum sinnlichen Getriebenheit gerät er an Elder, an sich auch kein klassischer Schönling, vorerst nicht, eher ein Rotzer, ein Rumtreiber, einer von den unzähligen sich Durchgaunernden, die Caracas zu einem der gefährlichsten Orte der Welt werden ließen. Dass Armando hier weniger leichtes Spiel haben wird, zeigt sich in Elders Körperhaltung, diesem lauernden Blick, dieser Ungehobeltheit. Und dass seinem „Was willst Du, Schwuchtel?“, dem Einstreichen des Geldes und blutigen Angriff auf Armando kein Widerspruch zu einem handfesten Flirt anhaftet, ist eben das Besondere an diesem herausragenden Werk.

Wenn Armando trotz der Attacke wieder die Nähe zu diesem Halbstarken suchen wird, ihn aus brenzliger Situation rettet, bei sich aufnimmt, gesund pflegt und dann verstößt, hingegen Elder sich in ihn verliebt, dann wird „Caracas, eine Liebe“ zu einem rätselhaften, den Betrachter sogartig fesselnden Vabanquespiel, welches denkbar weit entfernt ist von jedem voreilig und reflexartig ausgemachten Visconti-Schema.

Es sind Fallstricke, wenn Lorenzo Vigas von einer Annäherung erzählt, Gespräche über tote und schlagende Eltern zulässt, wenn er gänzlich ohne verschwenderische Ornamentierung Fürsorge und wachsendes Vertrauen antäuscht. Denn: Während Elders Züge weicher werden, wenn er fast schön wird in seinen Bekenntnissen, die noch mehrheitlich Überrumpelungscharakter haben, wird Armando immer vager. Von einem wiederkehrenden Vater ist die Rede, der Übles im Gepäck haben muss, weshalb Armando wohl so ist, wie er ist. Drei Patronenhülsen später, die Elder nicht ohne Stolz auf den Tisch rollen lässt, ist Armando in aller Konturlosigkeit kaum noch zu erkennen. Er ist einer, der nie geliebt wurde und schon daher nie lieben konnte.

Es ist geradezu berauschend, wie sich die Geschichte über Annäherung aus reinem Kalkül ganz kurz zu einer von Begierde, Sehnsucht, Geborgenheit und Macht dreht, um zum Kalkül zurückzukehren – in verheerender Konsequenz. Vigas lädt ein zu einem implodierenden Strategiespiel, das keine Sieger kennt. So sehen Beziehungsfilme aus, wenn Würde und Moral sich in Pfützen balgen, zum Ersaufen sind beide bestimmt. Kühner und reflektierter kann das Kino davon nicht erzählen.

Und so ist „Caracas, eine Liebe“ ein durch und durch hoffnungsloser Film, aber eben derart raffiniert erzählt, dass die größte Hoffnungslosigkeit zum Erlebnis wird. Stark, wie sich dieses Knistern, dieses Lauern, diese Lust in einen verzweifelten Liebesbeweis auf der einen und eine Eiseskälte auf der anderen Seite verwandeln! Das muss man wirken lassen, man möchte eigentlich doch noch einmal durch die lärmenden Straßen von Caracas ziehen und kommt dabei zu eigenwilligen Gedanken wie dem, dass so etwas Gewöhnliches wie Zufall Elder zu Armando und somit zu kurzem Glück und schnellem Verderben geführt hat. Hätte er nicht zugeschlagen, wäre es irgendwann ein anderer gewesen …

Deswegen: Der starre Blick der Kamera, die auf Unschärfen in Bewegung nicht reagieren will, die an Hinterköpfen klebt, in denen etwas vorzugehen scheint, was wir ohnehin nicht einschätzen können, die gewissermaßen erloschenen Augen Armandos – es gibt ganz sicher keine Liebe in Caracas.

 


SISSY-Interview mit Lorenzo Vigas: „Was es heißt, ein Vater zu sein“ von Thomas Abeltshauser



Caracas, eine Liebe
von Lorenzo Vigas
VE 2015, 93 Minuten, FSK 16,
spanische OF mit deutschen UT
Weltkino

www.caracaseineliebe.weltkino.de

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