Body Electric

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Der Debütfilm des brasilianischen Regisseurs Marcelo Caetano zeichnet mit beeindruckender Beiläufigkeit das Porträt des Mizwanzingers Elias, dem in einem Vorort von Sao Paolo nicht das eigene Schwulsein zu schaffen macht, sondern die universelle Frage, was wichtiger ist: die Karriere oder das übrige Leben. Gegenüber dem mühsamen Arbeitsalltag in einer Großschneiderei, der die Gefahr birgt, den eigenen Körper zu verdinglichen, entwirft „Body Electric“ die Utopie einer Gruppe junger Leute, die über die Grenzen des sozialen Standes und der sexueller Identität hinweg füreinander da sind. Rajko Burchardt hat sich mittreiben lassen.

Foto: Edition Salzgeber

Offen für alles

von Rajko Burchardt

Nach dem Sex erzählt Elias von einem Traum. Der 23-jährige Modedesigner aus Paraíba habe sich darin am menschenleeren Strand wieder gefunden und sei aufs Meer geschwommen, hinein in eine große Welle aus Seetang. Die Algen hätten seinen Körper umschlungen, das Wasser und die Dunkelheit ihn orientierungslos gemacht. „Aber es war gar nicht schlimm“, flüstert er lächelnd und zieht an einem Joint.

Elias will Nähe. In der Großschneiderei, wo er als Assistent arbeitet, knüpft er Kontakt mit Neuzugang Fernando. Die beiden verstehen sich gut, aber der Flirt bleibt einseitig. „Schon wieder Bier?“, fragt Fernando, als Elias einen Abend nach der Betriebsfeier vor seiner Haustür steht. Der von Westafrika nach São Paulo gekommene Mann möchte Geld für seine Familie verdienen und vielleicht die große Liebe finden. Elias schaut resigniert ins Leere, von eigenen Plänen erfahren wir nichts. Im Bett mit Ex-Freund Arthur spricht er stattdessen über abenteuerlichen Sex. Ob sich die Geschichte einer spontanen Eroberung im Kaufhaus tatsächlich zugetragen hat oder Arthur nur eifersüchtig machen soll, lässt der Film offen. Zu Beginn sah man Elias bei dem erfolglosen Versuch, einen Security-Mann aufzureißen. Mitunter wirkt das Bemühen um Intimität bei ihm trostlos.

Sucht Elias unerschütterlich nach Zweisamkeit, weil er sich selbst nicht zu fassen bekommt? Seinem Chef gefällt die Offenheit nicht. Elias vermische Arbeit und Persönliches, heißt es im mahnenden Einzelgespräch über seinen Umgang mit Kollegen wie Wellington. Dem jungen Textilverarbeiter kommt er nach einem Feierabendbier näher, zusammen verbringen sie ausgelassene Nächte und besuchen rauschende Drag-Shows von Wellingtons Freunden. Solche Momente des Verlangens währen nicht lang: Hemmungslos verschmilzt die sonst distanziert geführte Kamera mit den Körpern, um zügig in ihre Beobachterposition zurückzukehren. Als Wellington in der Schneiderei kündigt und die Stadt verlässt, schaut Elias abermals resigniert. „Irgendwann muss man seinen Weg gehen, oder?“, fragt ihn der Liebhaber noch zum Abschied.

Um seinen oder überhaupt einen Weg zu gehen, müsste Elias natürlich erst einmal wissen, wo er steht. Was er vom Leben möchte, außer zu feiern und zu ficken. In ihrer Unwägbarkeit liegt der spezielle Reiz dieser unentschlossenen, an der Schwelle stehenden Figur: Elias ist das spannungsgeladene körperliche, sonst aber seltsam leere Zentrum von „Body Electric“, dem Langfilmdebüt des brasilianischen Regisseurs Marcelo Caetano. Anders als Kollegen und wechselnde Partner scheint er sich weder beruflich noch privat positionieren zu wollen – und Lethargie ist bereits seiner Umgebung eingeschrieben: Am Arbeitsplatz sitzt Elias einsam rauchend in der Firmenküche, daheim erwartet ihn ein unpersönlich eingerichtetes und obendrein ramponiertes Ein-Zimmer-Apartment (Wellingtons treffender Kommentar: „In dieser Wohnung ist alles im Eimer.“).

Foto: Edition Salzgeber

Auf psychologische Zudringlichkeiten verzichtet „Body Electric“ dennoch. Seinem Protagonisten nähert sich der Film nicht über reaktive Drehbucheinfälle, sondern diffizile Beziehungen und lebendige Nebenfiguren. In einer Szene unterstreicht Caetano die Verbindungslinien besonders eindrucksvoll. Als Elias und Fernando nach der Arbeit umherstreifen, bezieht eine langsame Kamerafahrt die ebenfalls herumschlendernden Kollegen in den Bildausschnitt ein. Stück für Stück vermischen sich auf der Tonebene Gesprächsfetzen der Gruppe zu einem kommunikativen Durch- und Miteinander, das den tristen Alltag der Großschneiderei hinter sich lässt (wo Kommunikation schon durch die Hörschutz erforderlich machende Lautstärke der unaufhörlich rotierenden Näh- und Schneidemaschinen nicht möglich ist). Fast unmerklich gerät Elias während dieser Plansequenz ins Abseits. Seine zaghafte Kontaktaufnahme mit Fernando wird vom dynamischen Treiben des Ensembles überlagert.

Foto: Edition Salzgeber

Ganz sanft öffnet sich der Film somit für scheinbar abseitige Geschichten und bindet andere Lebens- und Liebesentwürfe als die seiner Hauptfigur in die Erzählung ein. Dem quirligen Wellington oder verschlossenen Fernando schenkt „Body Electric“ viel Aufmerksamkeit, wiederholt schneidet er aber auch zu längeren Unterhaltungen von Arbeitskollegen, die sich um Familie, Heirat und berufliche Neuorientierung drehen. Elias wirkt dazwischen wie ein Mann ohne Eigenschaften. Er muss sich verhalten zu den Aufbruchsplänen von Wellington oder offenkundigen Pflichten der Arbeitskollegen (die nicht lang auf Partys bleiben können, weil sie früh aufstehen müssen). Und er entscheidet sich, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Nach einer wilden Nacht schlägt Elias volltrunken bei Arthur auf, der ihn streicheln und zu Bett bringen darf.

Foto: Edition Salzgeber

Nicht allein in solchen Momenten besitzt Caetanos Film ein wunderbares Gespür für emphatische Figuren und die sie umgebenden Stimmungen. Seine Bilder sind grundsätzlich klar und unverstellt, reich an Nuancen und entscheidenden Details. So erzählt „Body Electric“ auch von sozialen Erfahrungswirklichkeiten: Taschenkontrollen in der Näherei verweisen auf prekäre Arbeitsverhältnisse, die unterschiedlichen Wohnungen von Elias und Arthur auf das Armutsgefälle in Brasilien. Wellingtons Anmerkung über eigene Wege, die man beschreiten müsse, hat vor diesem Hintergrund etwas Entrücktes. Seine bewundernswert selbstverständliche Eroberung öffentlicher Räume bildet einen Kontrast zum dauerhaft phlegmatischen Elias, ist aber ihrerseits Fluchtbewegung. Was immer es eigentlich heißt, sich im Leben zu finden – Elias ist sich dieser Herausforderung vielleicht bewusster, als es den Anschein hat.




Body Electric
von Marcelo Caetano
BR 2017, 93 Minuten,
portugiesische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Ab 9. November hier im Kino.

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