Are We Lost Forever

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Hampus und Adrian trennen sich nach einer jahrelangen Beziehung. Hampus empfindet vor allem Erleichterung: Zu oft wurde er von seinem Ex verletzt und enttäuscht. Doch Adrian trauert tief und weiß nicht, wie er ohne Hampus weiterleben soll. Selbst als beide neue Partner finden, kann Adrian seine große Liebe nicht vergessen … In „Are We Lost Forever“ erzählt der schwedische Regisseur David Färdmar einfühlsam von den Scherben einer zerbrochenen Beziehung und der leisen Hoffnung auf einen Neuanfang. Unser Autor Philipp Stadelmaier über die Unentschiedenheiten und Phantasmen eines Ex-Paares – und das Bett als drittem Protagonisten.

Foto: Salzgeber

Eine Bettgeschichte

von Philipp Stadelmaier

Fast mehr noch als die Geschichte einer Trennung erzählt David Färdmar in „Are We  Lost Forever“ die Geschichte eines Bettes, dessen beide Hälften ebenso getrennte Wege gehen wie Adrian und Hampus, und die erst wieder zusammenfinden, als die Trennung zwischen den beiden jungen Männern endgültig vollzogen ist. Das Bett ist der Ort, in dem alles beginnt und vor dem alles endet, und diese minimale Verschiebung zwischen „in“ und „vor“ sagt viel über den lange Zeit ungewissen Stand der Dinge zwischen Adrian und Hampus: Werden sie es schaffen oder nicht, ihre Beziehung noch einmal zu retten?

Hier, im Bett, sitzen die beiden anfangs aufrecht nebeneinander, mit nackten Oberkörpern, gemeinsam in derselben Einstellung, und starren traurig vor sich hin. Die Krise hat längst begonnen, und so sprechen sie darüber, ob sie sich noch lieben oder nicht. Hampus ist sich nicht mehr sicher, Adrian schon, am Ende ist es Hampus dann auch wieder, doch etwas ist zerbrochen und einer von ihnen sagt, dass es ihr „Wir“ ab sofort nicht mehr gibt. Sah man die beiden in dieser ersten Einstellung des Films zusammen in einem Bild, sind sie fortan getrennt: Einer sitzt weinend in einer Zimmerecke, der andere steht, in einer anderen Einstellung, am Türrahmen. Die Trennung ist unausweichlich, und schließlich wird Hampus, der aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen wird, zum Schluss noch seine Hälfte des Bettes fordern, die ihm Adrian nach langer Diskussion überlässt.

Dennoch hören die alten Gefühle nicht einfach auf, und der Film handelt letztlich, was sehr schön ist, von der langen Zeit nach der Trennung, in der die Beziehung doch noch nicht ganz vorbei ist und das Vergangene nicht aufhört zu enden. Sie begegnen sich wieder, auf den Straßen, in einer Bar oder im Fitnessstudio in Göteborg, wo der Film spielt. Sie verbringen doch noch eine Nacht zusammen, und gehen dann doch wieder getrennte Wege. Schließlich lädt Adrian Hampus zum Essen ein, der ihm erzählt, er habe jemand neuen kennengelernt, was Adrian am Boden zerstört zurücklässt.

Ebenso wie diese nicht totzukriegende Idee des „Wir“ selbst kehrt auch die gemeinsame Einstellung vom Anfang wieder, in Form von Einstellungen, die beide zusammen zeigen, im Bett und außerhalb davon. Aber aus diesen gemeinsamen Einstellungen ist die Trennung fortan nicht mehr wegzudenken. Kurz vor Hampus’ Auszug sieht man sie ein letztes Mal im Bett: die Kamera schaut von oben auf sie herunter; jeder liegt auf seiner Seite, dem anderen den Rücken zugewandt, während die jump cuts das Nichtmehrzusammengehören innerhalb eines unveränderten Bildrahmens unterstreichen. Ein anderes Mal steht Adrian im Vordergrund und Hampus unscharf weiter hinten. Oder sie sitzen sich an einem Tisch gegenüber, während die halbaufgegessene Pizza im Lieferkarton und zwei Cola-Dosen auf dem Tisch ebenso vom traurigen Ende ihres Zusammenwohnens erzählen, wie später das exzellente Essen und der Rotwein in einem guten Restaurant es nicht schaffen werden, sie wieder dorthin zurückzuführen.

Foto: Salzgeber

Versammeln sich nun in den Bildern die Unentschiedenheiten der Ex-Partner und ihre Phantasmen, die nach ihrer Trennung anfallen (Sollen wir es nicht doch noch mal versuchen? War er etwa doch der Richtige?), so gewinnt diese erst zwischen den Bildern an Realität. Die Stärke des Films liegt darin, dass mit einem einzigen, unscheinbaren Schnitt zwischen zwei Szenen unangekündigt Wochen oder Monate vergehen können. Diese Schnitte sind das einzige, was keinen Zweifel daran lässt, dass hier wirklich etwas vorbei ist; sie lassen implosionsartig die leere, nicht mehr zusammen verbrachte Zeit real werden, da sich der Film ansonsten an den (Wieder)Begegungen zwischen Adrian und Hampus orientiert. Letztlich wird die vergangene Beziehung selbst zu einem Schnitt, einem Moment, der irgendwie entfernt, herausgeschnitten wurde aus dem Film.

Kurz nach ihrer Trennung lenkt sich Adrian bei einem Typen ab, der komplett in ihn verschossen ist und ihn beim Sex fragt, warum er so lange nichts habe von sich hören lassen. Adrians knappe, trockene Antwort: „Beziehung“, als hätte er sich halt ein paar Tage nicht bei ihm gemeldet wegen einer lästigen Sache, die ihm dazwischenkam. Das ist umso ironischer, als dass diese Cuts eben nicht nur einen Bruch, sondern ebenso eine Kontinuität zeigen: ein Weitergehen der alten Gefühle über Zeitsprünge hinweg, gerade für Adrian, aus dessen Perspektive wir diese Trennungsgeschichte verfolgen, und der es lange nicht schafft, die leer gewordene Zeit mit einer echten neuen Beziehung zu füllen.

Färdmar legt den Finger darauf, was Trennungen, in allerletzter Instanz, so verdammt real macht: Die Horrorvorstellung eines allerletzten Mals. Keine gemeinsame Zeit mehr zu haben, keine gemeinsame Zukunft, keine gemeinsamen Kinder. Denn über Kinder haben Adrian und Hampus nachgedacht, ebenso wie sie später mit ihren beiden neuen Partnern darüber nachdenken. Bei einem Abendessen zu viert diskutieren sie, wie komplex und teuer der Vorgang für homosexuelle Paare noch immer ist. Man braucht „Geld und Frauen“ für eine Leihmutterschaft, so man nicht adoptieren will, und viel mehr Planung als Heteropaare. Man kann nicht einfach mal so jemanden schwängern. Man braucht einen Partner, mit dem man das durchziehen kann. Man braucht Zeit, und genau die haben Adrian und Hampus eben nicht mehr.

Foto: Salzgeber

Dass gerade der Schnitt dieser Beziehung die Dauer entzieht, darin liegt das formale Gelingen des Films. Dennoch stößt er dabei an seine Grenzen, denn letztlich bleiben die Einstellungen selbst rein dekorative Hintergründe für die Hauptfiguren. Adrian ist Fotograf, der Models ablichtet, und es scheint, als habe sich auch Färdmer dafür entschieden, für jedes Bild einen möglichst fotogenen Hintergrund zu suchen. Die Zimmer haben makellose weiße und grüne Tapeten, reine Oberflächen, vor denen man stumm nebeneinander sitzen, weinen, ficken, Gitarre spielen oder auf einen Anruf warten kann.

Der Hintergrund in einem Café: Platten an den Wänden und alte Holzstühle im Vordergrund. Der Hintergrund im Restaurant: eine satinblaue Tapete mit einem schwarz-weißen Korallenmuster. Der Hintergrund im Fitnessstudio: eine überdimensionierte Schwarzweißfotografie mit rennenden Menschen, wie in einer Werbung von Nike. Die Welt des Films ist ein mit viel Stilbewusstsein eingerichtetes Studio, in dem vor schönen Tapeten und sparsam platzierten Accessoires schwedische Millennial-Hipster abgelichtet werden: junge, attraktive und wohlhabende Künstler, Fotografen, Choreografen, Musiker und Restaurantbesitzer, die jenseits materieller Sorgen durch ihr Leben schweben. Alles wirkt artifiziell, steril und leer, befreit von allem, was an eine äußere Realität erinnert und woran das Auge dauerhaft hängen bleiben könnte, was man nicht schnell beiseite wischen und durch anderes ersetzen kann, wie in einer Insta-Story.

Mit Hinblick auf die erste Einstellung könnte man sagen: Die Figuren legen sich ins Bild wie in ein gemachtes Bett, verschmelzen zu sehr mit ihrer äußeren Erscheinung, ihrer Attraktivität, ihrer kurzweiligen Wirkung nach außen und auf andere. Und letztlich ist wohl umgekehrt das Bild aller Bilder das Bett selbst, dieser Ort, an dem man immer wieder zusammenkommt und sich wieder trennt, der Ort des Wir und Nicht-mehr-Wir. Das Bett ist ein Bild von einem Bett, teuer und schick mit seiner grauen Rücklehne, in dem oder vor dem die Figuren gefilmt werden, und das es verhindert, dass man von der Welt mehr sieht als ein Spanntuch.

Foto: Salzgeber

Doch das Bett erinnert auch daran, dass alles, die Bilder und die Figuren, „falsch“ wirken und die Gefühle dennoch echt sein können. Vermutlich handelt es sich um das Paradox einer Welt, in der wir, in der Pandemie mehr denn je, mit austauschbaren Bildern auf Sozialen Medien posieren, ohne aufzuhören, in unserem Empfinden authentisch zu sein. Außerdem bleibt das Bett ein Ort, an dem man, wie mit dem Film und seinen Bildern, seinen Spaß haben kann. Es gibt schöne Momente darin, wie jene tolle, freudvolle Sexszene, in der Adrian auf Hampus abspritzt, der vor ihm liegt, auf dem Rücken und mit ausgebreiteten Armen, und von denen man kurz denkt, dass Adrian jetzt in sie hineinfallen könnte.




Are We Lost Forever
von David Färdmar
SE 2020, 103 Minuten, FSK 16,
schwedische OF mit deutschen UT,

Salzgeber

Hier auf DVD.

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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