Andrej Seuss: Nur das Eine, furchtbare – Andreas ist tot!

Buch

Der junge Künstler Andreas Walser (1908-1930) zieht 1929 nach Paris, wo er von enormem Schaffensdrang getrieben wird, Drogen nimmt und ein maßloses Leben führt. Zudem trifft er auf den Schriftsteller Albert H. Rausch (1882-1949). „Nur das Eine, furchtbare – Andreas ist tot!“ von Andrej Seuss gibt Einblicke in die Freundschaft zwischen den beiden schwulen Männern, die der Hang zum Entrückten, zur völligen Hingabe, zum Genialischen und zur Romantik verband. Anhand ihres Briefwechsels erfahren wir auch, wie Rausch vergeblich versuchte, Walser vom Drogenkonsum abzubringen. Unser Autor Elmar Kraushaar schreibt über die erkenntnisreiche Nachzeichnung einer kurzen, aber intensiven Beziehung.

 

Eine Wahlverwandtschaft

von Elmar Kraushaar

Der Schweizer Maler Andreas Walser ist gerade einmal 20 Jahre alt, als der deutlich ältere Schriftsteller Albert H. Rausch ihn 1929 in Paris kennenlernt. Damit beginnt eine, wie im Vorwort formuliert, „emotionsgeladene Begegnung zweier homosexueller Männer (…), beide mit einem Hang zum Entrückten, zur totalen Hingabe, zum Genialischen und zur Romantik.“ Bei langen Spaziergängen durch die Straßen von Paris lernen beide einander kennen, tauschen sich aus, als sei der eine dem anderen sehr ähnlich in Geist und Gefühl. Der ehrgeizige Walser ist in die französische Metropole gekommen, um seinen Drang nach ganz oben schnell umzusetzen. Er sucht die Nähe von Pablo Picasso und Jean Cocteau, zeigt ihnen seine Bilder und hofft auf ihre Protektion. Rausch kann den jungen Mann kaum bremsen, muss mit ansehen, wie der sich viel zu viel zumutet und sich mit Drogen bei Kräften zu halten versucht.

Albert H. Rausch (1882-1949), der sich seit seinem 50. Geburtstag nach einer seiner Romanfiguren Henry Benrath nannte, gehört längst zu den vergessenen Autoren, die kaum noch einer liest heutzutage, über die man nicht spricht, deren Neuauflage noch von keinem Zeitgeist gefordert wird. Dabei war er ein produktiver Dichter und Autor, die Liste seiner Veröffentlichungen umfasst mehr als 60 Bände. Vor allem seine „Kaiserinnenromane“ erlebten während des Dritten Reichs große Verbreitung. In diesen historischen Porträts entwickelte er Deutschlands Führungsanspruch im Europa seiner Zeit, eine Idee, die besonders den Nationalsozialisten gefiel. Aus heutiger Perspektive gilt der in diesen Büchern gepflegte Geist als antidemokratisch, antimodernistisch und besonders konservativ. Christian Hartmeier, wohl bester Kenner von Rausch/Benrath, charakterisiert den höchst Widerspruchsvollen noch 2009 als „Humanist, Kulturkritiker, Sympathisant der Diktatur“. Als einen, dem es bei aller Sympathie für die NS-Ideologie im September 1944 gelingt, die Bevölkerung von vier italienischen Bergdörfern vor einer Vergeltungsaktion der deutschen Wehrmacht zu retten. Am Ende seines Lebens versuchte Rausch sich wiederholt von den Nazis zu distanzieren.

Auffällig war, und das ist das Besondere an diesem Autor, dass er, der dem Kreis um Stefan George nahestand, bereits in seinen frühen Werken seine Homosexualität nie verleugnete. Das wurde dann als „homoerotisch“ rezensiert, die Bücher seien von „seinen homoerotischen Neigungen durchdrungen“. Ein schwuler Autor also, einer der wenigen seiner Zeit, die damit nicht hinter dem Berg hielten. Klaus Mann, dem Rausch in seiner Zeit in Paris immer wieder über den Weg lief, bescheinigte dem Schriftstellerkollegen: „Feuriges Bekenntnis zur Homosexualität.“

Besondere Verdienste, dass der Schriftsteller nicht ganz vergessen wurde, kommen seiner Heimatstadt Friedberg zu. Nicht nur, dass es hier eine Henry-Benrath-Schule gibt, auch existiert im Stadtarchiv ein gesondertes Henry-Benrath-Archiv. Von hier aus werden immer wieder Veranstaltungen zum Thema organisiert, Wissenschaftler bei ihrer Arbeit über Rausch/ Benrath unterstützt und Publikationen begleitet. In diese Reihe fällt auch die jüngste Veröffentlichung des hessischen Lehrers Andrej Seuss mit dem Titel: „Nur das Eine, furchtbare – Andreas ist tot!“ Der Untertitel klärt auf, worum es geht: „Die kurze Freundschaft zwischen Albert H. Rausch und Andreas Walser.“

Viele Briefe von Andreas Walser hat Andrej Seuss ausgewertet, und er versteht es, mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen die Beziehung der beiden gleichen und doch so verschiedenen Männer nachzuzeichnen. Was Rausch zu Walser zu sagen hat, steht in dem einen oder anderen seiner Bücher. 1941 erinnert er sich, jetzt als Henry Benrath, in „Requiem – in Memoriam Andreas Walser“ an ihre erste Begegnung am 29. Januar 1929 im Café du Dome: „Hunderte von Gesichtern, zermürbte, fanatische, hungernde, graugelbe oder verschminkte, im Kokain verquollene oder entrückte – und über ihnen allen ein einziges Antlitz, fern und unbeteiligt, ohne es zu wissen: das deine.“

In den wenigen Monaten, die ihnen bis zum frühen Tod Andreas Walsers bleiben – er stirbt am 19. März 1930 an einer Drogen-Überdosis – begegnen sie sich immer wieder, ihre Beziehung ist geprägt von tiefem Respekt und intensiven Gefühlen füreinander. Walsers Briefe bezeugen vor allem seinen besonderen Höhenflug in Paris, seinen ungestümen Drang, zur Bohème der Hauptstadt der Künste zu gehören. Und Rausch/Benrath wiederum will ihm ein väterlicher Freund sein, der den jungen Wilden immer wieder auf den richtigen Weg führt. In seiner schwärmerischen Liebe glaubt der Ältere an eine Seelenverwandtschaft, und irrt sich doch. Er versucht, Walser den Kontakt zu Cocteau zu untersagen und verbietet ihm – ohne Erfolg – jeglichen Drogenkonsum. Gleichzeitig versucht der ältere, selbstbewusste Homosexuelle, den noch unsicheren Jüngeren von der Richtigkeit seiner homosexuellen Gefühle zu überzeugen.

Dass die beiden dennoch nicht wirklich zueinanderkommen können, hat unterschiedliche Gründe. Andrej Seuss kommt zu folgendem Schluss: „Dass Rausch (…) Walser zum Teil falsch beurteilt und ihn in seinen eigenen kulturphilosophischen Kosmos zwängt, hängt mit Rauschs künstlerischem Narzissmus zusammen und mit einem gewissen Konservatismus, der Walsers Modernität und Unangepasstheit nicht zulassen konnte.“

Eine Beziehung also zwischen einem älteren und einem jüngeren homosexuellen Mann wird in diesem Buch nachgezeichnet, eine Beziehung, die offensichtlich auskommt ohne jegliche Sexualität. Die dennoch intensiv ist und nur stattfinden kann in der ganz besonderen Atmosphäre einer ganz besonderen Stadt in dieser Zeit. Eine Affäre also? Eine Liaison? Eine Romanze? Nichts von alledem, vielmehr eine Wahlverwandtschaft, gelenkt von der Homosexualität der beiden, die so nur möglich ist jenseits von gesellschaftlicher Repression oder juristischer Verfolgung in diesem Milieu künstlerischer Existenzen. Hiervon zu erfahren, aus direkter Quelle und ganz ohne moralische Zensur, macht den besonderen Wert dieses Buches aus. Am historischen Beispiel werden die Grenzen und Möglichkeiten einer Beziehung zwischen einem Älteren und einem deutlich Jüngeren aufgezeigt, die ohne Abstriche in unser Heute übertragen werden können.




Nur das Eine, furchtbare – Andreas ist tot!
Die kurze Freundschaft zwischen Albert H. Rausch und Andreas Walser
von Andrej Seuss
Gebunden, 132 Seiten, 29 €,
edition clandestin

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