Adam Silvera: Was mir von dir bleibt

Buch

Autor*innen lieben genau wie Leser*innen die Zeit des Erwachsenwerdens, das Coming-of-Age, denn die Protagonist*innen befinden sich dabei in einem Moment des Übergangs, das Leben hat sie noch nicht abgebrüht. Ihre Empfindlichkeit macht sie so besonders, doch zugleich ist es diese Empfindlichkeit, unter der sie so schrecklich zu leiden haben. Adam Silvera mutet seinem Helden Griffin eine der schlimmsten überhaupt denkbaren Prüfungen zu: Sein Freund Theo stirbt. Fabian Hischmann, der selbst Schriftsteller ist – 2017 erschien sein zweiter Roman „Das Umgehen der Orte“ bei Piper, im Sommer folgt der Erzählunsgband „Alle wollen was erleben“ –  hat Silveras „Was mir von Dir bleibt“ für uns gelesen und bespricht das Buch explizit persönlich.

Das Puzzle meines Freundes

von Fabian Hischmann

Bis zur Vollendung des fünfunddreißigsten Lebensjahrs gelten Menschen vielerorts als junge Erwachsene. Demnach bleiben mir noch ziemlich genau sechs Monate.

Aber Kategorien und Statistiken sind ja ohnehin eher langweilig. Findet übrigens auch einer der Helden im Roman:

„Also.“ Ich setze mich auf den Stuhl und drehe ein paar Runden. „Warum hast du uns nie gesagt, dass du schwul bist?“
„Kategorien sind mir gerade egal.“

Deshalb habe ich beschlossen einfach nie damit aufzuhören, sogenannte „Bücher für junge Erwachsene“ zu lesen. Auch nicht ab sechsunddreißig.

Gerade habe ich „Was mir von Dir bleibt“ ausgelesen. Geschrieben hat es der achtundzwanzigjährige US-Autor Adam Silvera. Bevor ich erzähle, wie das war, möchte ich kurz erklären, warum diese Rezension aus der Ich-Perspektive verfasst wird. Ich schreibe ich, weil ich eigentlich gar keine Rezensionen schreibe. Es kommt mir einfach seltsam vor, als jemand, der selbst Autor ist, über die Arbeit von Kolleg*innen zu urteilen. Der Literaturbetrieb ist ja auch so schon verkorkst genug. Wenn ich es, wie hier, dann ausnahmsweise doch mal mache, kann und will ich zumindest nicht so tun, als wäre meine Leseerfahrung allgemeingültig. Nur ich habe das Buch, um das es hier gleich gehen soll, ja gelesen, nicht man. Und auch nicht man hat dabei öfter Tränen in den Augen gehabt, sondern ich.

Und jetzt los:

Theo McIntyre stirbt.

Kein fieser Spoiler, sondern der Ausgangspunkt der Geschichte. Einer Geschichte über die erste Liebe und deren Verlust. Klassisches Coming-of-Age-Update also? Nicht ganz. Denn in Adam Silveras Roman – der in den USA 2017 unter dem Titel „History Is All You Left Me“ erschienen ist und nun in deutscher Übersetzung von Hanna Christine Fliedner und Christel Kröning bei Arctis vorliegt – geht es um die Liebe zwischen zwei beziehungsweise drei Teenagerjungs: Griffin, Jackson und eben Theo, den „Alleswisser, Hobby-Kartografen, Puzzle-Champion, Animationskünstler und passionierten Leutegucker“.

Das ist, obwohl Adam Silvera mit berührender Selbstverständlichkeit darüber schreibt, nach wie vor überhaupt nicht selbstverständlich in der Gegenwartsliteratur. Und leider auch in der realen Welt. Sogenannte Konversionstherapien für Homosexuelle beispielsweise sind auch hierzulande immer noch nicht offiziell verboten und Politiker*innen wie Annegret Kramp-Karrenbauer, Personen mit angeblicher Vorbildfunktion also, diskriminieren intersexuelle Menschen, weil Karneval war und man ja wohl noch Witze machen dürfe.

Adam Silvera – Foto: Margot Woods

In Anbetracht solcher Tatsachen ist man, ich meine natürlich ich, gleichermaßen ergriffen wie skeptisch, wenn Adam Silvera im ersten Drittel seines Buchs eine derart positive Reaktion auf ein Coming-out schildert:

Meine Mom wackelt mit den Schultern, als würde sie tanzen, eine Bewegung, die ich bei ihr noch nie gesehen habe. Vermutlich verleiht sie so einfach ihrer Freude darüber Ausdruck, dass ihr Sohn jemanden gefunden hat, aber ich find´s eher peinlich. „Lasst euch umarmen!“, sagt sie und schließt mich und Theo gleichzeitig in die Arme. „Ich hätte noch gar nicht mit so was gerechnet, wie aufregend!“
Sobald meine Mom sich umdreht, um Theos Eltern zu drücken, nimmt mein Dad Theo in den Arm.

Überhaupt strotzen die Elternfiguren in allen Lebenslagen nur so vor Empathie und Weltoffenheit, sind die Familien trotz vereinzelter Arschloch-Cousins, Workaholic-Dads, Scheidungen und angedeuteter Alkoholprobleme nicht ansatzweise so kaputt und kompliziert wie etwa in den autobiographischen Texten von Édouard Louis oder Garrard Conley. Homosexualität beziehungsweise Sexualität in ihren diversen Ausprägungen ist in diesem Buch für niemanden ein Problem. Und ich glaube, dass es dem Autor genau um diese Sache ging, dass er seinen (jugendlichen) Leser*innen Mut machen möchte und das oft trübe Bild der Welt in einigen Passagen ganz bewusst aufhellt. Denn neben all der Tragik, die Themen wie Tod und Verlust natürlicherweise mit sich bringen, geht es in „Was mir von Dir bleibt“ vor allem um Hoffnung. Und Hoffnung darf dem Realismus zwischendurch ruhig mal die Stirn bieten, ist sie doch stets eng mit der Utopie verknüpft.

Der Roman hat mir durch seine Helden und deren Sprache einen astreinen Flashback in die Neunziger beschert. Damals, mit fünfzehn, sechzehn, bin ich in Serien wie „Dawson’s Creek“ (1997-2003) und Büchern wie „Vielleicht lieber morgen“ (1999) ganz ähnlichen Jugendlichen begegnet. Pubertierende, die nicht bloß soffen, kifften und masturbierten, sondern sich wie Mini-Soziolog*innen in rhetorischer Versiertheit, was natürlich schon mal aufgesetzt und unrealistisch wirkte, über alle Facetten ihrer Teenage Angst austauschten. Mit dem Unterschied, dass die schwulen Figuren sich und ihre Sexualität ständig erklären mussten oder aus Angst oder Scham vor den Konsequenzen verlassen oder verprügelt wurden. Greg Berlanti, Drehbuchautor und Showrunner von „Dawson’s Creek“, musste damals noch mit Kündigung drohen, um den ersten echten Kuss zwischen zwei Männern im US-Fernsehen zeigen zu dürfen. Wenigstens diese Zeiten sind vorbei.

Die Handlung des Romans spielt auf zwei Ebenen, in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Schauplätze sind dabei New York City (Silvera selbst ist in der Bronx aufgewachsen), dort immer wieder die High Line und der Central Park, wo schon Salingers ewiger Holden Caulfield in „Der Fänger im Roggen“ (1951) über das eigene Dasein und den Verbleib der Enten im Winter sinnierte, sowie Los Angeles, die wohl ikonischste Stadt der Westküste, in welcher Theo am College auf Jackson trifft und damit Ich-Erzähler und Hauptfigur Griffin das Herz bricht. Dass der Junge, mit dem Griffin gemeinsam gegen die Zombiepiraten-Apokalypse angepuzzelt und sein erstes Mal erlebt hat, ihn gegen jemanden eintauscht, der aussieht wie er, wie ein „Griffin-Klon“, will er nicht akzeptieren. Ein Drama im Dreieck ist die Konsequenz.

Und Griffin hat es so schon nicht leicht. Hypersensibel und überdies von Zwängen und einer wahnhaften Störung geplagt, ist seine Fähigkeit, über sich selbst und die Welt zu reflektieren, beindruckend ausgeprägt für einen Sechzehnjährigen. Oder vielmehr ungesund ausgeprägt. Nach Theos Tod droht Griffin von tonnenschweren Schuldgefühlen erdrückt zu werden. Glaubt er doch fest daran, dass Theo aufgrund seiner Fehlentscheidungen ums Leben kam. Er verzweifelt zusehends, verliert sich in metaphorischem Selbsthass:

Ich bin scharfkantig. Ich bin Gift. Ich bin Rauch. Ich bin Feuer.

Adam Silvera schildert das alles sehr filmisch, mit einem Faible für Cliffhanger, und fast immer klischeefrei. Ich kann mir gut vorstellen, dass Greg Berlanti ihn auf Facebook schon mal angestupst hat. Oder wie das da sonst heißt.

Das Ende des Romans ist weder nihilistisch noch happy. Es lässt Raum und ich glaube zu wissen, dass Griffin es schaffen wird. Auch weil er wieder jemanden gefunden hat. Wen, verrate ich hier natürlich nicht. Nur so viel: Es ist eine Figur, die ich als Leser lange nicht auf dem Zettel hatte und in die ich mich mit sechzehn wohl auch verliebt hätte.

Über die Liebe sagt Griffin abschließend Folgendes:

So langsam hasse ich das Wort Liebe, weil es immer irgendwie abgedroschen klingt – aber Liebe sollte nicht nur dann bedeutsam sein, wenn sie von einer Art Sieg gekrönt wird.

Mal ehrlich, hättet ihr das nicht auch schon gerne mit sechzehn gewusst?

 




Was mir von dir bleibt

von Adam Silvera
Aus dem Amerikanischen von Christel Kröning & Hanna Christine Fliedner
Gebunden, 368 Seiten, 18 €,
Arctis

 

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