Cowboys & Angels (2003)

DVD/VoD

In seinem Erstlingswerk aus dem Jahr 2003 bedient sich David Gleeson aller Klischees über Schwule, die es in den frühen Zweitausendern so gab – und deutet sie genüsslich um. „Cowboys & Angels“ ist eine rasant-herzliche Buddy-Komödie, deren charismatische Hauptdarsteller Michael Legge und Allen Leech in jeder Sekunde entzücken! Nun gibt es „Cowboys & Angels“ in digital restaurierter Fassung als DVD und VoD. Ein optimistischer, entwaffnend charmanter Klassiker, der vor allem gute Laune verbreiten will – und „auch heute noch eine Ausnahmeerscheinung in der Welt des Films“, wie Andreas Köhnemann schreibt.

Bild: Salzgeber

The Hot, Odd Couple

von Andreas Köhnemann

Neben vielen ikonischen romantischen Leinwandpaaren, die in ihrer Darstellung lange Zeit nur strikt heteronormativ sein durften, brachte das Kino im Laufe der Jahrzehnte immer wieder sehr erfolgreiche komödiantische Buddy-Duos hervor – etwa Stan Laurel und Oliver Hardy, Bud Abbott und Lou Costello, Dean Martin und Jerry Lewis oder Jack Lemmon und Walter Matthau. Die Theaterstück-Adaption „Ein seltsames Paar“ (1968) von Gene Saks mit Lemmon und Matthau in den Hauptrollen gilt als Paradebeispiel für eine humorvolle Erzählung, in der die Beziehung zwischen zwei Männern klar im Zentrum steht.

Es geht darin um zwei betont gegensätzliche Figuren, die eher aus der Not heraus zusammenziehen – es geht nicht darum, mit- oder gegeneinander um Leben und Tod zu kämpfen oder um die Gunst einer von beiden Seiten begehrten Frau zu konkurrieren, sondern schlicht um den Versuch, den gemeinsamen Alltag zu meistern; um die Kunst, sich irgendwie mit den Macken des Gegenübers zu arrangieren und so vielleicht die Basis für eine funktionierende Freundschaft zu schaffen. Buddy-Komödien wie „Ein seltsames Paar“ erzählen von Gefühlen zwischen Männern, ohne eine schwule Love Story zu sein.

 

Der irische Drehbuchautor und Regisseur David Gleeson knüpft in seinem charmanten Langfilmdebüt „Cowboys & Angels“ aus dem Jahr 2003 an diese narrative Formel an, bewegt sich jedoch nicht länger nur noch im Hetero-Kosmos. Auch hier sind die beiden Protagonisten Shane und Vincent, einnehmend verkörpert von Michael Legge und Allen Leech, ein „seltsames Paar“. Flüchtig kennen sich die beiden aus der Schulzeit; Vincent war drei Jahrgänge über Shane. Nach vergeblicher Wohnungssuche in der Stadt Limerick gründen sie kurzerhand eine Zweier-WG – und stellen rasch fest, dass sie in ihrem Wesen doch extrem unterschiedlich sind.

Der sommersprossige Shane, der im öffentlichen Dienst bei der Behörde für Landwirtschaft arbeitet, ist schüchtern und kleidet sich unauffällig. Der Modestudent Vincent, der den zeitgemäßen Frosted-Tips-Look perfektioniert hat, vergnügt sich hingegen bei One Night Stands, hat ein gutes Gespür in allen Fashion-Angelegenheiten und einen extravaganten Inneneinrichtungsstil. „Bist du schwul?“, fragt Shane Vincent geradeheraus. „Ja, bin ich“, antwortet dieser nonchalant. „Ich bin es übrigens nicht“, wirft Shane noch in die Unterhaltung ein. Es folgt keine gay panic und auch kein tragikomisches Schmachten nach dem unerreichbaren Hetero-Mitbewohner, wie wir es etwa aus Sönke Wortmanns Comic-Verfilmung „Der bewegte Mann“ (1994) kennen. Stattdessen entwickelt sich im Anschluss an diesen knappen Wortwechsel ein ehrliches, intimes, von aufrichtiger Neugier geprägtes Gespräch über erste sexuelle Erfahrungen, während das Duo beieinandersitzt und Wein trinkt.

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Gleeson entwirft seine beiden Helden nicht als Stereotype, sondern bricht beherzt mit Klischees. Während schwule Figuren zu jener Zeit noch häufig entweder als schrille Sidekicks oder als todunglücklich gezeichnet wurden, ist Vincent ein schlagfertiger, selbstbewusster junger Mann, der seine Ziele vor Augen hat. Nach seinem Studienabschluss, bei dem er im Rahmen einer Gala seine eigene Kollektion präsentieren muss, will er in New York als Modedesigner durchstarten. Shane wiederum fühlt sich einsam. Der frühe Tod seines Vaters hat ihn dazu gezwungen, schnell einen sicheren Job zu finden, statt sich auf Selbstsuche zu begeben und seiner persönlichen Leidenschaft nachzugehen, dem künstlerischen Zeichnen. Als ein in Rente gehender  Mitarbeiter erzählt, dass er trotz permanenter Unzufriedenheit im Beruf nie den Mut gehabt habe, etwas Neues anzufangen, gerät Shane ins Grübeln.

Schon zu Beginn des Films äußert Shane via Voiceover seine Befürchtung, dass das Leben an ihm vorbeilaufe und ihm etwas fehle. Er sehnt sich nach Zugehörigkeit, nach einer Gemeinschaft – und beneidet Vincent, dass er als Schwuler Teil einer Szene sei. Der Plot schlägt in der Schilderung von Shanes allmählichem Selbstverwirklichungsversuch zwei Richtungen ein. Zum einen zeigt uns Gleeson, wie der zaghafte Shane mit der Hilfe von Vincent eine äußerliche Transformation durchmacht. „Wir kreieren dich einfach neu!“, jubelt Vincent und verpasst seinem Mitbewohner ein Makeover samt Skin-Care-Tipps, einem flotten Haarschnitt und einer grundlegenden Änderung der Garderobe. Etwa so wie in RomComs wie „Pretty Woman“ (1990) oder „Eine wie keine“ (1999), in denen das Tragen schicker Kleider den Protagonistinnen plötzlich ungeahnte, märchenhafte Welten eröffnet. So wird dem „neuen“ Shane nun der Zugang zu einem angesagten Nachtclub gewährt, an dessen Tür er Tage zuvor noch schroff abgewiesen wurde.

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Zum anderen lässt sich Shane durch seinen zwielichtigen Nachbarn Keith auf gefährliche Drogengeschäfte ein, um sich mit dem illegal verdienten Geld die neue Markenkleidung leisten zukönnen – vor allem aber auch die Studiengebühren für die Kunstschule, die er fortan besuchen will, um seinem Bürojob zu entkommen. „Cowboys & Angels“ begibt sich damit auch auf Krimipfade zwischen schwarzem Humor und echter Bedrohung. Als Shane und Vincent durch diverse Verwicklungen wegen Drogenbesitzes und -konsums vorübergehend im Gefängnis landen, vergleichen sich die beiden scherzhaft mit den titelgebenden Outlaws in Ridley Scotts „Thelma & Louise“ (1991). Kurz darauf sorgt ein queerer Twist um die Identität des ermittelnden Inspektors dafür, dass die beiden Freunde straffrei davonkommen.

Die Botschaft ist klar: Allein ein optisches Glow-up erschafft noch kein neues Ich; auch führen kriminelle Wege nicht zum dauerhaften Glück. Vielmehr ist es die wachsende Freundschaft zwischen Shane und Vincent, die beide stark macht für die eigene Zukunft. „Ohne dich hätte ich das nicht geschafft“, sagt Vincent zu Shane, als dieser ihn bei den aufwendigen Vorbereitungen für die Modenschau zum Studienabschluss unterstützt. Shane wiederum stellt begeistert fest: „Du hast ein Wunder an mir vollbracht!“ Gemeint ist nicht das teure Outfit oder die stylishe Frisur, sondern das ungeahnte Selbstvertrauen, das er mit Vincents Hilfe in sich entdeckt hat.

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Auf visueller Ebene hat der Film oft etwas Rauschhaftes. Mit seinem Kameramann Volker Tittel hält Gleeson die Aufnahmen „im stählernen Blau der coolsten Clubs, dem Samtschwarz der dunkelsten Nacht und dem Scharlachrot des glühendsten Kusses“, wie er es in einem Regiestatement treffend beschreibt. An einer Stelle werden zwei Verführungsversuche in einer Parallelmontage erfasst: Gemma, die früher auch schon etwas mit Frauen hatte und offenkundig von Shane angehimmelt wird, beginnt nach einem gemeinsam verbrachten Abend damit, ihren schwulen Kumpel Vincent wild zu küssen, während sich Shanes Nachbar und Partner in Crime Keith darum bemüht, Shane näher zu kommen. Die sinnlich ausgeleuchteten Bilder und die spielerische Art und Weise, wie hier das emotionale und sexuelle Chaos voller Empathie verhandelt wird, macht „Cowboys & Angels“ zu einem hochgradig unterhaltsamen und durchweg liebenswürdigen Coming-of-Age-Abenteuer.

Das queere Kino hat seit dem Jahr 2003 erfreulicherweise noch zahlreiche Fortschritte gemacht. Es gibt wesentlich mehr Filme über nicht-heteronormatives Begehren, mehr Komplexität und Diversität in der Darstellung von Identitäten und Sexualitäten. Als Geschichte über eine Gay-Straight-Freundschaft zwischen zwei Männern im Mittelpunkt, in der die sexuelle Identität weder als Vorlage für überdrehte Gags noch als Anlass zu Tragik und einer Krise der schwulen Figur aufgrund unerwiderter Gefühle dient, ist „Cowboys & Angels“ aber sogar heute noch eine Ausnahmeerscheinung in der Welt des Films. Gleeson schafft mit zwei sehr sympathischen Helden, zwei äußerst charismatischen Schauspielern und mit reichlich Witz, Herz, Tempo und Energie eine gefühlvolle Reise, die wirklich niemanden bekümmert zurücklässt.



Cowboys & Angels
von David Gleeson
UK/IR/DE 2003, 85 Minuten, FSK 12,
deutsche SF; englische OF mit deutschen UT

Als DVD und VoD