Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?

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Der ägyptische Regisseur und Autor Mohammad Shawky Hassan erzählt in seinem sinnlichen Debütfilm „Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?“ eine vielstimmige, nicht-heteronormative Variante von „Tausendundeine Nacht“ – und entwirft darin einen überzeitlichen Safe Space, in dem persönliche und kollektive Erinnerungen mit ganz gegenwärtigen Hoffnungen und Träumen zusammenklingen. Andreas Wilink reiht für sissy die vielen amourösen Referenzperlen auf, die in dem metareflexivem Liebesreigen nebeneinander glänzen.

Foto: Salzgeber

Tausendundeine Liebesnacht

von Andreas Wilink

Wellenschlag, Gesang aus rauen Kehlen, dann die weibliche Erzählstimme und ihr „Es war einmal“, während wir aus der Replik einer Männerstimme erfahren, dass es sich bei der Frau, ja, tatsächlich, um sie handelt: Schahrasad aus „Tausendundeiner Nacht“ (sie wird uns später als weiß gewandete Fee in einer Kugel begegnen). Beide Stimmen treten in Dialog: Rede und Gegenrede, Hin und Her. Wir belauschen ihr Fabulieren – und schauen ihnen zu, denn wir sind im Kino. Und zwar in  „Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?“ von Mohammad Shawky Hassan – einem Film, der sich seiner eigenen Poetik versichert und Anleihe bei der märchenhaften Erzählkunst nimmt, um sie sich anzuverwandeln. Der Titel ist die Anfangszeile von Shakespeares 8. Sonett: „Shall I compare thee to a summer’s day?“, um die einzigartige Herrlichkeit des Geliebten zu betonen.

Von einem Mann „in der Blüte seiner Jahre, stürmisch, stolz und verliebt“ spricht der Prolog. In gelber Regenjacke steht er im Grün der Bäume, das nun gar nichts von Sandwüste und Fata Morgana hat, sondern eher von deutschem Regenwald. Er teilt uns von seinem Gefühl mit für einen anderen Mann. Die Zwei sind: „Jüngling und Geliebter“. Ihre beiden Silhouetten begegnen sich vor nachtblauem Hintergrund einer Fensterwand. Draußen zucken Blitze und grollt ein Gewitter, als sie sich zu küssen beginnen und ihre Schatten ineinander fließen. Jedenfalls ist es erst der Anfang, denn es geht weiter und weiter zurück, in eine Vorgeschichte, in ein Vorleben, den Stand der Unschuld des einen Mannes, der einst seinen Vater erzürnte, weil er keine Frau wollte, aber von seiner wahren Lust und Liebe noch nichts wusste.

 

Ein transgressiver Film: Märchenstunde trifft konkrete Poesie, in der „gesaugt und gefickt“ wird, womit der Zungenschlag vom Lyrischen zum Derben wechselt. Animationsfilm trifft Realfilm, der ins Kosmische driftet, das Sternenzelt aufspannt und sich die Geschichte bunt malt: Pyramiden und das pharaonische Ägypten wachsen auf orientalischem Farbgrund; Brautkleider und -schleier werden jungen Männern angepasst, die hüftschwingend tanzen und die Nacht besingen vor den Bildnissen ihrer Urahnen vom Nil, als Tier und Mensch und Gott eins aus dem anderen hervorgingen. Mohammad Shawky Hassan bringt uns nach Kairo, auch wenn es dort nicht anders als in der Berliner Clubszene ausschaut.  Die Filmfiguren finden sich und erfinden sich und ihre Lovestory dabei, kreieren sich eine Vergangenheit, ihre eigene und ihre gemeinsame – war es beim Tanzen zum Sound einer Jazztrompete oder vielleicht doch beim Meeting der Anonymen Alkoholiker?

Die queere Schahrasad-Revuefabel bedient sich eines mythopoetischen Tonfalls und der Idee von Platons Gleichnis aus dem „Symposion“ von den zwei Hälften, die zusammengehören und einander suchen, falls die Teilung der Einheit nicht eher doch in Dritteln oder mehr Elemente vorgenommen werden sollte, wofür der Begriff „polyamor“ steht. Und sie stapelt sich eben zugleich herunter auf den gegenwärtigen Alltag mit seinen diversen Beziehungs-Diskursen.

Foto: Salzgeber

Es sind Fragmente einer Sprache der Liebe. Beziehungen werden erörtert, durchdekliniert, addiert, multipliziert – und lässig beim pillow talk subtrahiert. Wir erfahren, wie sich der Eine in einen attraktiven Model-Automechaniker verknallt. Aber der ist auch nur ein Kerl unter vielen. Neben ihm gibt es anfangs für das neue Paar jeweils einen anderen, den sie „daten“, und überhaupt will man testen, „ob die Chemie stimmt“. Wir beobachten und begleiten die Rituale und die Rhetorik der ersten Fragen und Antworten, der Liebesformeln, Schwarm-Schwüre und nicht nur verbalen erotischen Eskapaden und Ekstasen. Plötzlich ist ein Dritter mit einem Erdbeermund im Spiel, und sie fühlen sich voneinander und aneinander gefesselt in einer Bondage-Nummer. Frei nach Oliver Sacks: „bonding, belonging, believing“ – also Beziehungen eingehen, sich zugehörig fühlen und darauf Vertrauen setzen.

Jetzt sind die malerischen Kulissen von zuvor ausrangiert, und es sieht aus wie in einem Derek-Jarman-Film und hört sich an wie bei einer der theoretischen Interruptionen, wie sie Xavier Dolan gern mal in seine herzzerreißenden Melodramen einschneidet. Kino, das ist die Gefühls-Wahrheit 24 mal in der Sekunde.

Foto: Salzgeber

Aber auch die Reflexion geht vorüber, und wir schwimmen (sogar unter Wasser) wieder durch blumig bunte Stile. Das ist nicht naiv inszeniert, sondern ausgeklügelt raffiniert: Traditionen und triviale Pop-Genres, die ein heteronormatives Ideal entwerfen und fortpflanzen, werden unterminiert und explosiv umgedeutet – mit Sinn für die Pointe und mit Ironie, die sich über diesen Umweg sogar Pathos gestatten darf.

Die Kamera wird zum (therapeutischen) Gegenüber, vor dem die Liebesmänner Geständnisse ablegen, Grindr-Verabredungen resümieren, Gefühle gestehen. Der Zuschauer gerät schon mal durcheinander, wer nun gerade mit wem in welcher erotisch programmierten Affäre steckt, welche nackten Beine und behaarten Oberkörper zu wem gehören, wer wen umschlingt und sich mit wem verknäult, wie die Gewichte von Anmachen und Umwerben, Fordern und Nachgeben sich verteilen und die promiske Reihe sich chronologisch aufbaut.

Foto: Salzgeber

Hassan blättert in seinem tagebuchartigen Film „Musterbilder“ auf, wie Goethe es nennt. Wenn sein „West-östlicher Divan“ ein Lesebuch für Liebende ist und dabei „Wunderlichstes Buch der Bücher“, so ist Hassans prismatisch mehrfach gebrochener „Sommertag“-Filmessay ein Bilderbuch für Liebende, ob sie nun Suleika, Hatem, Hafis heißen oder – wie hier – Johannes, Richard oder Mohammad. Traumprinzen, Nachtgestalten, Tagesgesichter, Phantome. Die Maske, die jeder trägt, ist Teil des Gesichts, aber nicht das Ganze. Die  Choreografie von Anziehung, Eifersucht, Streit, Vorwurf, Abkehr, Verlassen-Werden oder Beisammen-Bleiben bekommt den Drive eines arabischen Musicals, das über Metaebenen hinweg steppt, aber auch einen Trauer-, Leidens- und Verlust-Monolog, der Didos Klage um Odysseus in nichts nachsteht, einpasst.

Dass der „Sommertag“ nur eine Stunde dauert, will man kaum glauben, so viele Arabesken enthält er, bevor das Happy End sich darstellt, bis dass der Tod die beiden, Jüngling und Geliebter, scheidet, falls nicht ein Dritter dazwischentritt und die Zweisamkeit auflöst. Schon bei Shakespeare ist auf die Liebe kein Verlass. Das 88. Sonett spricht: „Such is my love, to thee I so belong, / That for thy right, my self will bear all wrong“ – „So lieb ich dich und darf mich nicht beklagen: / was Liebe einträgt, hat sie zu ertragen“.




Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?
von Mohammad Shawky Hassan
EG/LB/DE 2022, 66 Minuten,
arabisch-englische OF mit deutschen UT
MFA+ FilmDistribution

Ab 29. September im Kino.

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