Tru Love

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Diven sind Mutterfiguren für queere Herzen. Meistens glänzen sie unter schwuler Regie, doch auch lesbische Erzählungen beschäftigen sich vermehrt mit ihnen. Das zeigt „Tru Love“ von Kate Johnston und Shauna MacDonald, der als Stream zum Ausleihen und Kaufen im Salzgeber Club zur Verfügung steht. Eine flamboyante tatsächliche Mutter lässt sich darin experimentierfreudig und ziemlich weit auf die beste lesbische Freundin der Tochter ein. Unsere Autorin Noemi Yoko Molitor hat den preisgekrönten kanadischen Film gesehen – und setzt ihn in Kontext zu anderen Geschichten über ungewöhnliche Mutter-Tochter-Beziehungen.

Foto: Salzgeber

Warum Mütter die besseren Lesben sind

von Noemi Yoko Molitor

Diven sind elegant, schlagfertig und von einem Sex-Appeal, vor dem man sich nur verneigen kann. Ganze Filme sind den Grandes Dames gewidmet, wie schon die Titel zeigen: „Maman und ich“ (Guillaume Gallienne, 2013), „Alles über meine Mutter“ (Pedro Almodóvar, 1999), „8 Frauen“ (François Ozon, 2002). Und auch in Serien wie „Queer as Folk“ und „The L-Word“ finden sich Mutterfiguren, die die Homosexualität ihrer Kinder nicht ablehnen, sondern übertrumpfen.

Als Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler und Hauptfigur zugleich will Gallienne in seinem autobiografischen Film „Maman und ich“ so feminin, so graziös, so brüsk sein wie sie, seine Maman, die er auch gleich selbst spielt. Sogar schwul sein würde er für sie, nur weil sie es so erwartet. Denn wäre er es, so bliebe sie die einzige Frau, die er je begehrte. Der schwule Ödipus reibt sich die Augen, denn er darf sie hier behalten: Guillaume entpuppt sich als femininer Hetero. Seine Diva-Ehrfurcht beeinträchtigt es nicht.

Im Vergleich zu Galliennes Mutter, die ihm zur alles bestimmenden Über-Mutter gereicht, könnte Michael Novotnys Fag-Hag-Mum Debbie in „Queer as Folk“ fast zu nett wirken mit ihren vielen PFLAG-Buttons. Doch sie benutzt das Wort „Butt Plug“, als wäre es so selbstverständlich wie der Kaffee, den sie in ihrem Diner nachschenkt, und lässt den jungen Justin bei sich zu Hause wohnen, als sein Vater ausflippt, weil er mit dem Schwulsein seines Sohnes nicht klar kommt. Gespielt wird sie von Sharon Gless, Ikone der Cop-Serie „Cagney & Lacey“, die in den 80ern den lesbischen Subtext schlechthin prägte, von dem Serien wie „Rizzoli & Isles“ heute noch zehren. Als Debbie gibt Gless die Mutter aller Schwulen, die Kondome zum Frühstück serviert. Sei doch einfach schwul, mein Kind, scheinen Debbie und Maman zu sagen, keine Zeit für große Scham.

Völlig schamlos widmet auch Almodóvar den Müttern seine ganze Aufmerksamkeit und filmische Liebe. „Alles über meine Mutter“ (1999) – der Titel spricht von purer Hingabe zu den Madres des Films, seien sie eine schwangere Nonne mit Aids, die mit Sexworker_innen arbeitet (Penelope Cruz als Rosa) oder eine Transfrau mit Sonnenbrille und Trenchcoat, die weder von ihrem gerade verstorbenen Sohn weiß, noch von ihrem Kind mit der Nonne (Toni Cantó als Lola). Oder natürlich Manuela (Cecilia Roth), die Lola sucht, um ihr endlich von ihrem erwachsenen Sohn zu erzählen, der auf der Jagd nach einem Autogram von Huma Rojo, die er so sehr verehrt, von einem Auto überfahren wurde.

Die große Schauspielerin Marisa Paredes spielt sich quasi selbst als große Schauspielerin Huma mit roten Haaren und lesbischem Twist. Huma ist ein Bühnenstar, der eine jüngere Liebhaberin hat, der tragische Schlüssel zur Begegnung der anderen Frauen im Film. Was spielt es da für eine Rolle, ob Huma selbst ein Kind hat oder nicht? Sie ist die Diva, die schließlich den Rest der Frauen bei aller Schwere zum Lachen bringt. Einen Penis habe sie schon lange nicht mehr im Mund gehabt, sagt sie und ihre Gefährtinnen schmelzen dahin.

Foto: Salzgeber

Auch Ozon lässt die älteren Frauen in atemberaubendem Glanz und abgrundtiefer Macht erscheinen. In „8 Frauen“ (2002) schmiegt sich Catherine Deneuve als Gaby in ihren Pelz, wie sie es in so vielen ihrer Filme getan hat, doch niemand legt ihn ihr so lustvoll um wie Fanny Ardant als Pierette im roten Kleid. Ozon schmeißt den Subtext aus dem Fenster und lässt die beiden tun, auf was der lesbische Blick schon lange gewartet hatte: Nach einem Streit küssen sich die Schwägerinnen leidenschaftlich. All die vergangenen Animositäten nur ein Ersatz für ein unterdrücktes Begehren, das sich endlich entfesselt. „Mutter, was tust du da?“, entfährt es Gabys Tochter Suzou, als sie die beiden auf dem Wohnzimmerteppich entdeckt. In der Tat, was tut sie da? Das Attraktive an Ozons Antwort ist, dass Gaby als Mutter noch höher in der Riege der Diven aufsteigt, sie hat erwachsene Töchter und tut erst recht, was sie will. Sollen die kleingeistigen Blagen doch damit klar kommen.

Während bei Ozon die Mutterfigur alles andere als konservativ ist, ist sie es in Alison Bechdels autobiografischer Graphic Novel „Are You My Mother?“ (wörtlich übersetzt „Bist Du meine Mutter?“, bei Kiepenheuer & Witsch erschienen als „Wer ist hier die Mutter?“). Ganz klassisch tut sich die Mutter mit der Sexualität der Tochter schwer. Sie rät der Zeichnerin, ihre lesbischen Comics lieber nicht unter ihrem Namen zu veröffentlichen und sich damit zur Nischen-Autorin zu machen. Und nach Bechdels Theorie redet ihre Mutter so viel, damit sie kein lesbisches Wort dazwischen bekommt, vor allem nicht „Cunnilingus“.

Doch in „8 Frauen“ ist es nicht die Mutter, die aus reiner Spießigkeit oder Anpassungsdrang ihre Tochter zur Heterosexualität erziehen will. Nein, hier echauffiert sich die Tochter über die queeren Eskapaden der Maman. Eine ganz andere Erzählung als die der lesbischen Tochter mit schwierigem Verhältnis zur heteronormativen Mutter, die als Über-Ich die sexuelle Orientierung ihrer Nachkommen überwacht. Wenn es nach Ozon und Almodóvar geht, sind Mütter die besseren Lesben.

Foto: Salzgeber

Auch „The L-Word“ brachte bei all seiner soapigen Gefälligkeit eine solche lesbische Diva-Mutter hervor. Holland Taylor spielte als Peggy Peabody nicht nur den Rest des Casts an die Wand; ihr Charakter Peggy, reiche Kunstmäzenin und Mutter von Helena Peabody, die nicht mit ihrem Trust Fund umgehen kann, war auch die bei weitem attraktivste Frauenfigur der Serie. Ihre Selbstsicherheit und Ironie, die nur das Alter hervorbringen kann, lassen die Liebesdramen der anderen Frauen trivial erscheinen. In ihrer Präsenz wirkt auch Helena, die sonst so selbstsichere Reiche, hilflos und verunsichert. Damit Helena lernt, dass man Freundschaft nicht kaufen kann, streicht ihr die Mutter das Geld, steigt zu ihrer alten Liebe Marilyn ins Auto und überlässt die Tochter samt deren hysterischem Freundeskreis ihrem belanglosen Schicksal. Sie schauen ihr sprachlos hinterher, denn es gibt Peggy Peabodys unmissverständlichem Statement nichts hinzuzufügen: Mütter sind die besseren Lesben. Ihre Töchter müssen nur erst mal damit zurecht kommen.

Um eine neurotische Mutter-Tochter-Beziehung mit Rollentausch unter lesbischen Vorzeichen geht es auch in „Tru Love“ von Kate Johnston und Shauna MacDonald aus dem Jahr 2013. Anwältin Suzanne (Christina Horne) bekommt Überraschungsbesuch von ihrer Mutter Alice (Kate Troter) und bittet ihre lesbische Freundin Tru (MacDonald), ihre Mutter zu „babysitten“.

Wie Gaby in „8 Frauen“ schreitet Alice im Pelz durch die Tür, nonchalant, wortgewandt, bemuttert werden muss sie nicht. Tru will sie haben, das merkt ihr bester Freund Gray (Alexander Chapman) sofort. Er ist der perfekte Counterpart zu Alice, mit der er sich auf Anhieb versteht, doch sein Potential als Gegen-Queen bleibt nur angedeutet. Gray ist für die beiden, doch als Suzanne von der angehenden Affäre der Mutter erfährt, wird sie zur paternalistischen Gatekeeperin, die der eigenen Mutter den Umgang mit einer Lesbe verbietet und umgekehrt. „Stay the fuck away from my mother“, beschimpft sie Tru, Alice sei verletzlich und zu alt, „um draußen zu spielen.“ Auf wen ist sie eigentlich so eifersüchtig, auf Ihre Mutter oder auf Tru?

Foto: Salzgeber

Auch Bechdel konkurriert in ihrer Graphic Novel mit der Mutter: Wer ist die bessere Autorin, die schärfere Literaturkritikerin? Suzanne und Alice verbeißen sich jedoch in einem ganz anderen Kräftemessen: Wer darf Mutter spielen, lesbisch sein und wessen Lebens- und Liebesglück hat Vorrang?

Suzanne ist die neurotische, distanzierte Tochter, bei der es einem kalt den Rücken runter läuft, wenn sie so entrüstet „Mutter“ ruft wie Suzou in „8 Frauen“. Fassungslos wandert ihr Blick nach oben in Richtung mütterliches Schlafzimmer, der Freudschen Urszene. Man wartet förmlich darauf, dass der Film die Sabotageversuche der Tochter noch auf die Spitze treibt. Stattdessen geht es hauptsächlich um Tru, eine mit lesbischem Leiden überladene Figur, die Bindungsängste hat.

Doch das heimliche Zentrum der Erzählung ist Alice, mit Leichtigkeit gespielt von Kate Troter. Sie ist über die Dramen und Bemutterungsdynamiken ihrer Tochter erhaben, und auch Tru lässt in ihrer Gegenwart das Pokerface fallen. „Gertrude und Alice!“, entfährt es Alice, „Paris!“ Der Vergleich mit den Schriftstellerinnen Gertrude Stein und Alice B. Toklas, den Ikonen des lesbischen Paris der 20er, ist etwas hochgegriffen und überlädt den Film.

Gaby und Pierette können da schon eher mithalten. Denn sie würden sich nie die Blöße geben, wie es Alice plötzlich tut, als sie glaubt, von Tru versetzt worden zu sein. Ozon und Almodóvar haben es auf den Punkt gebracht: Diven fallen nicht auseinander. Wenn, dann sie fallen sie übereinander her!




Tru Love
von Kate Johnston und Shauna MacDonald
CA 2013, 87 Minuten, FSK 0,

englische OF mit deutschen UT,
Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (deutsche SF): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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