Teenage Kicks

Trailer • DVD / VoD

„Teenage Kicks“ erzählt von einer Jungsfreundschaft, die von gemeinsamer Flucht träumt und in Familientragödien stecken bleibt. Aber schnell entwickelt sich der Debütfilm von Craig Boreham zur aufregenden Odyssee eines erfahrungshungrigen Teenagers, der sich zwischendurch mehr erregende Räume öffnet, als er am Ende in bürgerlicher Absicht wieder schließen kann. Ein typischer Vertreter des jüngeren schwullesbischen Kinos aus Australien: deftig, offen, etwas grell und entschieden nach Intensitäten suchend. Und gesurft wird natürlich auch.

Foto: Edition Salzgeber

Learning by Doing

von Jan Künemund

“Teenage Kicks” von den Undertones (1978) war das Lieblingslied des legendären Radio-DJs John Peel. Die erste Strophenzeile, „Teenage Dreams, so hard to beat“, hat er sich auf seinen Grabstein meißeln lassen. Gegen die Erregungen, die man als Jugendliche(r) empfindet, ist vielleicht tatsächlich kein Kraut gewachsen, auch wenn die Auslöser rückblickend sich manchmal reichlich banal ausnehmen, auch im besagten Song: „Everytime she walks down the street / Another girl in the neighbourhood / Wish she was mine, she looks so good.“

Auch das Spielfilmdebüt „Teenage Kicks“ von Craig Boreham steigt mit reichlich banalen Anzeichen für jugendliche Erregung ein: zwei Freunde wichsen zu einem Lesbenporno – eine ziemlich symmetrische Anordnung –, eine selbstgebaute Bong steht parat, die Sonne scheint ins Zimmer, die Schuluniformen sind halb ausgezogen und wir sehen viel jugendliches ungekämmtes Haar, in blond (Dan) und schwarz (Mik). Kleine Asymmetrie: Dan wichst mit Blick zum Bildschirm, Mik mit Blick auf Dan. Eine bromosexuelle Idylle.

Fünf Minuten später ist der Film von seinem banalen Erregungszustand auf ein anderes Niveau gewechselt, wieder war ein erotischer Kick verantwortlich. Mik wichst schon wieder, diesmal zuhause, mit Blick auf seinen älteren, ebenfalls wichsenden Bruder, dieser stürmt aus dem Zimmer, Mik stürmt hinterher, der Bruder wird draußen von einem Auto erfasst, Mik steht fassungslos daneben. Lauter Asymmetrien und Asynchronitäten, schon in den ersten fünf Minuten angelegt, der Film hat eine Form. Mik kriegt das nicht hin mit dem Einklang, er wird vergeblich seinen Bruder ersetzen wollen, beim Vater, der Freundin, den Kumpels. Und auch aus der Bromance wird erstmal nichts, denn Dan hat bald eine Freundin. Und die Freundin, klar, will wiederum Mik, das wird zumindest angedeutet und auch einmal realisiert. Also kommt der Film auf die titelgebenden Teenage Kicks zurück und schickt seinen jugendlichen Helden auf eine Erregungsreise, in der Trauer, Wut, Geilheit, Neugier, Eifersucht und Sehnsucht ihren Treibstoff bilden.

Foto: Edition Salzgeber

Eigen ist das soziale Setting der Geschichte. Arbeiterfamilien in Sydney, die Werft liegt gleich hinter dem Friedhof, auf dem Miks Bruder bestattet wird. Dans allein erziehender Vater steht übermüdet nach der Arbeit im gut ausgefüllten Muscle-Shirt am Herd und macht den Jungs Hackfleisch mit Reis. Mik heißt eigentlich Miklós, seine Familie gehört zu den ungarischen Expats in Australien, von denen es viele gibt, vor allem seit dem gescheiterten Volksaufstand 1956. Im kleinen Shop der Familie schafft er es ebenfalls nicht, den Bruder zu ersetzen. Die Welt der Jugendlichen ist ziemlich stark von ihren Familien bestimmt, das erste Surfbrett wird zwar schon nach 30 Minuten im Film ausgepackt, aber eigentlich haben sie keinen Platz zuhause und die Freizeit kann dafür kaum entschädigen: Dan steht zwischen seinen getrennten Eltern, Mik ist das Produkt eines Seitensprungs seiner Mutter mit dem Onkel und läuft deshalb als Zeichen der Unordnung durch ihr Leben. Es läuft also auf einen Bruch hinaus, eine Befreiung, eine queere Neuordnung: abhauen, die Küste hoch, jobben, das alles gleich nach dem College und vor allem: zusammen. Wir ahnen es natürlich jetzt schon: das wird nie passieren — Dan lässt sich von einem reichen Mädchen verführen, Mik hängt in der Leerstelle seines Bruders fest.

Foto: Edition Salzgeber

Miks einsame Reise mit ihren Teenage Kicks bildet den Hauptteil des Films und ist, bei allem Körpereinsatz des Hauptdarstellers Miles Szanto, kein bisschen exploitativ. Auch wenn der Held größtenteils wie ein verschreckter Hase durch die ganzen Erregungen hoppelt, bleibt der Film an seiner Seite und lässt ihn auch nicht die Flucht ergreifen. Gewichst wird weiterhin viel (mit merkwürdigen Vorlagen: Auswanderer-Telenovela, Aerobic-Video, Klatschmagazin), aber es geht auch mit anderen zur Sachen, Männern und Frauen, eine Cam-Sex-Session ist dabei, und Drogen, auch das ein vom Bruder vorbereiteter Teenage Kick. Der Film lässt die Bilder davon ineinander fließen, ohne den sozialen Realismus aus den Augen zu verlieren. Learning by doing. Die Welt fließt dabei ein bisschen mit: Wutschreie gehen in Flugzeuglärm über, Trauerklagen in Möwenkreischen, Orgasmen in vorbeizischende Zugsignale. Miks ausbuchstabierte Kick-Odyssee führt schließlich zu einer bromantischen Neuordnung seiner Freundschaft zu Dan, aber auch zu einer neuen Familienordnung, in der er einen Platz findet.

Foto: Edition Salzgeber

Dass sich „Teenage Kicks“ am Ende für ein „Mature Adjustment“ entscheidet, ist ein unqueerer Turn in seiner erregenden Narration. Er steht für ein geschlossenes Menschenbild, in dem die jugendliche Unordnung schöner und weniger schöner Erfahrungen in eine konsistente Biografie münden, oder, wie es die Logline des Films etwas fatalistischer formuliert: „Die Narben der Jugend formen uns als Erwachsene.“ Trotz allem verwischen dabei nicht die Erinnerungen an das, was der Film in seinem Hauptteil mit seinem Helden veranstaltet: Teenage dreams, so hard to beat. Und selbst für die Geschlossenheit findet Boreham tolle Bilder, zum Beispiel den Kreis, den die Surferkumpel für Miks verstorbenen Bruder im Wasser bilden, von unten gefilmt: ein schwimmender Trauerkranz aus Neopren.




Teenage Kicks
von Craig Boreham
AUS 2016, 98 Minuten, FSK 16
englische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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