45 Years
Trailer
In „45 Years“, dem neuen Film von Andrew Haigh („Weekend“, „Looking“), gerät der gemeinsame Lebensabend eines Paars in eine unvermutete Krise, die so grundsätzliche Formen annimmt, das sich 45 Jahre Ehe plötzlich wie eine Lüge anfühlen. Der überaus präzise gearbeitete Film mag seine Figuren viel zu sehr, um eine Kritik an der Institution selbst anzubringen, aber die schleichend fortschreitende existentielle Verunsicherung ist großartig inszeniert. Charlotte Rampling und Tom Courtenay erhielten auf der Berlinale die beiden Darstellerpreise.
So Happy Together
von Jan Künemund
Am Anfang, im Schwarz, das Geräusch eines Diaprojektors: Man hört, wie ein Bild auf das andere folgt, in gleichmäßiger, mechanischer Frequenz. Der Film setzt einen Rhythmus; gleich ist klar: Es gibt kein Anhalten mehr. Unerbittlich wird dieser Film uns, Bild für Bild, auf den letzten Moment der Geschichte von Kate und Geoff zuführen, auf sein eigenes letztes Bild, von dem aus alles neu zu lesen sein wird: 45 Jahre Ehe, jedes eingeübte Ritual, alle Gewissheiten, all die Lieblingssongs, das ganze Leben, alles – die Dynamik gleichmäßigen Fortschreitens, in die uns der Rhythmus dieses Films einwiegt, geht am Ende ins Nichts, war immer schon Leerlauf.
„45 Years“ von Andrew Haigh erzählt sechs Tage aus der Beziehung von Kate und Geoff, bis zur Party, die ihr 45. Ehejubiläum zum Anlass hat. Der gleichmäßige Rhythmus wird dabei auch auf der Bildebene weiter geführt: Jeder erzählte Tag beginnt mit einer Landschaftsaufnahme, Norfolk, in der Nähe der Broads, der Kanäle, die diese grau-grün-braune Landschaft durchziehen. Grau-grün-braun wiederum ist auch die Kleidung der pensionierten Lehrerin, die jeden Tag mit einem Hundespaziergang beginnt, bevor sie im Haus auf ihren ebenfalls grau-grün-braun gekleideten Ehemann trifft, um mit ihm den weiteren Tag zu planen: Ausflüge in die Stadt, Besorgungen, Reparaturen im Badezimmer, Mittag- oder Abendessen mit den gleichalten Freunden. Charlotte Rampling und Tom Courtenay, Stars des britischen Autorenkinos mit schillernden Filmografien, deuten dieses grau-grün-braune 45-jährige Ehepaar-Sein in faszinierendem Understatement an: Gesten, die passen, Gegenstände, die ohne Hinzusehen berührt werden, Blicke, die sich nur dann intensivieren, wenn einer von beiden etwas Unvorhergesehenes sagt, Dialoge, die ein eingeübtes Interesse aneinander zeigen. Weich, auf vorteilhaftem 35mm, sind die Körper in die gleichfarbigen Landschaften und Innenräume gesetzt. Gegen dieses festgestellte Bei-Sich-Sein zweier Menschen klackert aber der Diaprojektor an, setzt Bild nach Bild, verspricht eine Entwicklung. Und tatsächlich wird Kate schon am vierten von den sechs Tagen nicht mehr morgens mit dem Hund durch die grau-grün-braune Landschaft laufen, wird nicht jeder Tag wie der andere sein. Denn zwischenzeitlich wird außerhalb der Bilder etwas freigelegt, dessen Resonanz die alltäglichen Rituale in den Bildern durcheinander bringt: Die wohlkonservierte Leiche einer früheren Geliebten von Geoff wird in einem Gletscher in den französischen Alpen gefunden, für die Kate vielleicht nur ein Ersatz, eine zweite Wahl war. Und in den Bildern, in den Landschaften, in den Zimmern, in denen Geoff und Kate über ihre Ehe nachdenken, sind plötzlich Gespenster, Geheimnisse, Gerüche, es spukt, der Wind rüttelt an den Fenstern und Türen, der Hund wittert und bellt. Der Dachboden, der den Diaprojektor und die verblichenen Bilder der toten Geliebten birgt, bringt ans Licht, was bisher eingefroren war. Unaufhaltsam, Bild für Bild, entgleist diese Beziehung.
Andrew Haigh dreht nicht den ersten Spielfilm über das Zusammensein zweier Menschen. In seinem ersten, „Greek Pete“, versuchen zwei Stricher, einander Halt zu geben. Einer von ihnen glaubt an die große Liebe. Im zweiten, „Weekend“, verlieben sich zwei Männer und haben für diese Liebe nur ein Wochenende. Einer von ihnen glaubt an die große Liebe. In „45 Years“ nun verteidigt eine Frau ihre Idee der großen Liebe gegen das Gespenst eines 45-jährigen Geheimnisses, das alles infrage stellt. Und es kommt vielleicht nicht von ungefähr, dass Haigh zum ersten Mal von einer heterosexuellen Beziehung erzählt, deren Fallhöhe eine andere ist. All das, was Normalität versprach, worüber nie nachgedacht werden musste, was gesellschaftlich vorgezeichnet war, steht plötzlich auf dem Spiel: Rituale werden schal, zum gemeinsamen Lebensweg hätte es Alternativen und Abzweigungen gegeben, und selbst die heteronormativen Schnulzen der Jugend lassen sich mit ihren sprechenden Titeln plötzlich anders lesen: „Nowbody Knows“, „Young Girl“, „Tell It Like It Is“, „I Only Want To Be With You“, „Happy Together“, „Smoke Gets In Your Eyes“.
Im Schlussakkord des letzten Songs läuft der Film auf eine kleine Geste hinaus, in der alles zerbricht. Im grau-grün-braunen Ballsaal stehen Kate und Geoff plötzlich in einem isolieren blauen Strahl, gesprenkelt von Reflexen der Discokugel. Der unaufhaltsame Rhythmus des Films kommt zu einem Halt. Eine Großaufnahme von Charlotte Ramplings Gesicht, im weichen 35mm-Abbild, ohne verklärendes Licht und Make-up. Widersprüchlich, fast unlesbar legt dieses Gesicht Schichten von Emotionen frei. Der Blick einer Frau, die ins Nichts fällt. Nächstes Bild.
45 Years
von Andrew Haigh
UK 2015, 93 Minuten, FSK 0,
deutsche SF, englische OF mit deutschen UT
Piffl Medien
www.45-years.de