Slow

TrailerIm Kino

Als Tanzlehrerin Elena bei einem Kurs für gehörlose Jugendliche dem Gebärdensprachdolmetscher Dovydas begegnet, gibt es sofort eine Anziehung zwischen den beiden, eine unmittelbare Energie. Sie treffen sich wieder, verbringen Zeit miteinander, teilen erste Erinnerungen. Doch als Elena auch Dovydas’ körperliche Nähe sucht, schreckt der zurück und offenbart ihr, dass er asexuell ist. Beide sind einander so wichtig geworden, dass sie trotzdem einen Weg als Paar finden wollen – mit einer Art von Intimität, die sich für beide richtig anfühlt. Marija Kavtaradzes Liebesfilm „Slow“ ist eine bahnbrechende filmische Erkundung von Asexualität und wurde in Sundance mit dem Regiepreis ausgezeichnet. Lukas Foerster über den filmischen Tanz zweier Menschen auf der Suche nach einer gemeinsamen emotionalen und körperlichen Sprache.

Foto: Salzgeber/Andrius Aleksandravicius

In jedem Moment

von Lukas Foerster

Ich rieche total nach Schweiß, meint Elena. Dovydas beugt sich nach vorne, riecht an ihrem Oberkörper, und meint: Nein, tust Du nicht. Beide lachen verlegen. Sie haben sich eben erst kennengelernt. Auf der Arbeit. Sie ist Tänzerin und Bewegungstherapeuthin, er ein Gebärdensprachdolmetscher, der sie bei einem Projekt unterstützt. Dass Elena an Dovydas Gefallen gefunden hat, wird schnell klar; spätestens als sie ihm, ein wenig später im Film, ihre Wohnung zeigt und sich im Schlafzimmer gleich auf ihr Bett setzt, sind die Signale eindeutig. Er nimmt die implizite Einladung nicht an, lehnt sie aber auch nicht ab. Stattdessen beginnt er, neben dem Bett auf einem skateboardähnlichen Gerät zu balancieren. Und sagt schließlich, weil die Situation offensichtlich (aber warum eigentlich?) nach einer Erklärung verlangt: „Ich bin asexuell.“

In der Soziologie wird romantische Liebe bisweilen als ein Problem gesteigerter doppelter Kontingenz beschrieben. Gemeint ist damit zum einen, dass wir nicht in die Köpfe anderer Menschen hineinschauen können; und zum anderen, dass das besonders dann relevant wird, wenn wir einen anderen Menschen nicht nur nach dem Weg fragen, oder ihm eine Versicherungspolice verkaufen, sondern uns ihm:ihr intim nähern wollen. Zum Problem werden dabei nicht zuletzt die Körper. Es geht schließlich nicht nur darum, mit einem anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, ohne sicher zu wissen, ob die eigene Verliebtheit auf Gegenseitigkeit basiert; sondern auch, zum Beispiel, darum, wie nahe man wohl dem anderen, noch unbekannten Körper kommen soll und darf, um seinen Schweiß zu riechen; oder darum, was genau daraus folgen wird, wenn man sich zu diesem anderen Körper aufs Bett setzt.


Idealerweise ist das Problem freilich gleichzeitig die Lösung: Die wechselseitige Beobachtung zweier Körper verweist auf Sexualität, und im gemeinsamen Sex, beziehungsweise bereits in dessen mal langsamer, mal stürmischer Anbahnung, lernt man vielleicht sogar etwas darüber, ob man auch jenseits des Körperlichen etwas voneinander will oder auch nicht will. Was aber tun, wenn diese Möglichkeit von Anfang an ausgeschlossen ist? Das ist die Frage, mit der sich Elena und Dovydas in Marija Kavtaradzės „Slow“ konfrontiert sehen. Denn Dovydas stellt schnell klar: Ich interessiere mich zwar nicht sexuell für andere Menschen, aber das heißt nicht, dass ich keine Beziehung, keine Intimität will. Nach einigem Zögern entschließen die beiden, es miteinander zu versuchen. Mit allem, was dazu gehört. Aber was heißt das genau?

Foto: Salzgeber / Andrius Aleksandravicius

„Slow“ ist ein vorsichtiger Film, in dem Sinn, dass er nichts voraussetzt. Die Skripts, die ansonsten, vor allem im Kino, aber durchaus auch im echten Leben, Liebe und Sexualität anleiten, gelten allesamt nicht mehr. Alles, was Elena und Dovydas für einander sein können, müssen sie sich selbst erarbeiten. Der Film arbeitet mit, in seinen sanften, warmen, fast tastenden 16mm-Aufnahmen. (Die Musik, das als Nebenbemerkung, hat hingegen gelegentlich einen Schlag ins Lieblich-Sphärische, der den Körpern die manchmal eben doch notwendige Schwere zu nehmen droht.) Sinnlich und körpernah, aber nie aufdringlich sind die Bilder, betörend direkt und geradlinig ist die Erzählung. Fast durchgängig wechseln sich lange Szenen, in denen Elena and Dovydas beisammen und zumeist komplett aufeinander bezogen sind, mit kürzeren ab, die Elena alleine zeigen, bei Tanzproben oder auch bei Flirts mit anderen Männern.

Foto: Salzgeber / Andrius Aleksandravicius

Wie nicht anders zu erwarten, wird die Sache noch einmal deutlich komplizierter, sobald dritte Körper und damit die Skripte der Eifersucht ins Spiel kommen (die, auch das zeigt „Slow“, oft genug selbst dann wirksam bleiben, wenn sie – was im Film bezeichnenderweise im intoxikierten Zustand geschieht – als Skripte durchschaut werden). Im Kern jedoch bleibt „Slow“ ein Film der Zweisamkeit. In der direkten Begegnung, von Angesicht zu Angesicht und oft in Betten von schlichter Schönheit, entfaltet sich eine intime Kommunikation, in die das soziale Außen stets nur vermittelt hinein wirkt. Entscheidend ist das Wechselspiel von Beobachtungen und Selbstbildern. Worte antworten auf Berührungen und Berührungen auf Worte, wie in anderen intimen Beziehungen, nur dass es im Fall von Elena und Dovydas eine Grenze gibt, von der beide nicht – vor allem Elena nicht, aber Dovydas eben auch nicht immer exakt – sagen können, wo genau sie verläuft.

Foto: Salzgeber / Andrius Aleksandravicius

Aber, könnte man mit diesem im besten Sinne forschenden Film fragen: Weiß man das je? Begehren hat, das zeigt sich in „Slow“ nicht zuletzt in den von der großartigen Körperbeherrschung der auch sonst phänomenalen Hauptdarstellerin Greta Grinevičiūtė getragenen Tanzszenen, stets etwas Choreografisches: ein ständiges, unhintergehbar Sichaufeinandereinstellen, das selbstverständlich auch im Beischlaf nicht stillstellbar ist, das in jedem Moment, in jedem Wort, jeder Berührung, jeder Geste neu austariert werden will.




Slow
von Marija Kavtaradze
LT/ES/SE 2023, 108 Minuten, FSK 12,
litauische OF mit deutschen UT

Ab 21. März im Kino