Queer Glauben

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Sie ist lesbisch, sie ist gläubig, und vielleicht bald Priesterin. Stefanie Arnold macht sich in der Schweiz mit der Weihe zur Diakonin auf den Weg in den kirchlichen Dienst. Doch passt sie als lesbische Frau, die in einer eingetragenen Partnerschaft lebt, in eine Institution, die seit Jahrhunderten von patriarchalen Strukturen bestimmt wird? Und wie kämpfen andere Menschen aus der queeren Community für ihren Platz in der Kirche? In „Queer Glauben“ fragt Regisseurin Madeleine Corbat, ob und wie Queersein und christlicher Glauben zusammenfinden können. Dabei begleitet sie nicht nur eine lesbische Priesteranwärterin, sondern auch einen transmaskulinen Theologiestudenten und andere nicht-heteronormative Menschen auf ihren individuellen Lebens- und Glaubenswegen. Barbara Schweizerhof über einen Film, in dem sich queere Liebes- und Gotterfahrungen spiegeln.

Foto: Salzgeber

Passt das zu mir?

von Barbara Schweizerhof

Sie habe im Leben zwei Coming-outs gehabt, erzählt die 45-jährige Stefanie Arnold an späterer Stelle im Film. Das erste, als sie sich als lesbisch outete, das zweite, mehr als zehn Jahre später, als sie sich gegenüber Freund:innen zu ihrem Glauben bekannte. Das zweite sei fast das schwerere gewesen! Die Schweizer Filmemacherin Madeleine Corbat geht in ihrem Dokumentarfilm „Queer Glauben“ genau diesem doch eigentlich paradoxen Gefühl nach: dass Glaube und Queerness nicht zusammenpassen, dass einerseits die queeren Communities sich fernab der traditionellen religiösen Gemeinden ansiedeln und andererseits die Gesellschaften heutzutage in der Akzeptanz oder zumindest Toleranz gegenüber queeren Menschen weiter sind als die Kirchen.

Die Widersprüchlichkeit ihrer Erfahrungen mit Kirche und Glauben lässt Corbat hauptsächlich von zwei Protagonist:innen erläutern: der erwähnten Stefanie Arnold, die römisch-katholisch aufwuchs und mit Ende 30 ein Theologiestudium begann mit dem Ziel, Vikarin zu werden. Und dem transmaskulinen Ari Lee, der unter anderem davon erzählt, wie kränkend schnell man ihn aus der eigenen mennonitischen Gemeinde warf, nachdem er sich als Transmann geoutet hatte. Wobei Kränkung vielleicht noch die untertreibende Beschreibung für eine Erfahrung ist, bei der man von einem Moment auf den anderen zur „Nichtperson“ erklärt wird. Es kommt wohl eher einem Trauma gleich.


Der Glaube ist eine zutiefst persönliche und individuelle Angelegenheit. Corbat unterstreicht das zusätzlich, wenn sie neben Stefanie und Ari noch weitere Pfarrer:innen zu Wort kommen lässt, die sich mit dem Thema Queerness und Glauben auseinandersetzen. Die Pfarrerin Priscilla, die in auf dem eigenen Youtube-Kanal „Holy Shit“ launig und modern Auskunft über Fragen aus dem LGBTQ*-Bereich erteilt, oder Frank Lorenz von der Offenen Kirche Elisabethen in Basel, der seinen Gottesdienst gezielt für Trans*, inter* und nonbinäre Menschen geöffnet hat.

Dabei ist das Stärke an Corbats Film, dass sie neben den Schilderungen von Ausgrenzungs- und Entfremdungserfahrungen dem Glauben ihrer Protagonist:innen viel Raum einräumt. Sowohl Stefanie als auch Ari empfinden ihn als essentiellen Teil ihrer Persönlichkeiten, ihres Erlebens, ihres Zugangs zur Welt. Besonders eindrücklich schildert das Stefanie, wenn sie davon erzählt, dass die Erfahrung einer großen Liebe – zu einer Frau – sie unmittelbar zu Gott hingeführt habe. Sie habe danach eben nicht mehr nicht glauben können, so identisch empfindet sie die Liebeserfahrung zur Gotteserfahrung, und es klingt absolut logisch.

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Die Schilderung von Arnold erfolgt als Teil ihres Gesprächs mit dem „Lesben-Segner“ Wendelin Bucheli, der 2015 vom eigenen Bischof dafür abgemahnt wurde, eben das getan zu haben: einem lesbischen Paar den Segen erteilt zu haben. Bucheli selbst berichtet, was ihn dazu motiviert hat: die beiden Frauen und ihre Liebe zuvorderst. Vor allem aber betont er das Freudige des Ereignisses selbst und wie gut es sich für alle anfühlte. Denn das sei doch die eigentliche Aufgabe der Kirche: diese Menschen anzunehmen, sie zu schützen, sich hinter sie zu stellen. Wie viel ihr das bedeutet hat, von Menschen zu erfahren, die sich solidarisieren, auch wenn sie selbst nicht betroffen sind, erzählt Stefanie dazu mit ergreifender Ehrlichkeit.

Dass es doch auch für die Kirchen ein Verlust ist, queere Menschen auszuschließen, taucht als Gedanke immer wieder auf. Seien das doch gerade diejenigen, die sich im Leben stark auf ihre innere Stimme verlassen müssten und damit empfänglich für Spiritualität seien. Liege nicht die Zukunft der Kirche darin, als Mitgestalterin für Integration zu sorgen? Die gesellschaftliche Realität mit ihrer Gleichstellung von homosexuellen Paaren bringe die Kirchen ohnehin in einen regelrechten Zugzwang: Warum keine gleichgeschlechtliche Eheschließung in der Kirche, wenn sie auf dem Standesamt möglich ist?

Foto: Salzgeber

Trotzdem hört man Stefanie Arnold etwa in Corbats Film auch immer wieder hadern mit ihrer Weg in der Kirche. Bei ihrer Segnung zur Vikarin muss sie sich zu Boden werfen und es ist ihr wichtig zu betonen, dass das keine Geste der Unterwerfung vor dem Bischof oder der Gemeinde sei, sondern allein vor Gott. Dann wieder hebt sie hervor, dass sie sich bei den Ritualen und Gesten immer wieder fragt: Passt das zu mir? Ist mir wohl dabei?

Ari, der als Make-up-Artist arbeitet, bewahrt sich ebenfalls seinen ganz eigenen Zugang zu Gott und Glauben. Unter anderem damit, dass er anderen, die hadern oder ausgegrenzt werden, aktiv Rat und Hilfe anbietet. Eine Textnachricht von ihm bringt es auf den Punkt: „Gott liebt alle Menschen ausnahmslos. Nur sein Bodenpersonal tut sich manchmal etwas schwer damit.“

Foto: Salzgeber

Auf eine Diskussion der einzelnen Glaubensrichtungen und Gemeinden und ihrer jeweiligen Einstellung zu queeren Menschen lässt sich Corbat kaum ein. Dass die „christkatholische Kirche“ in dieser Hinsicht offener ist als die römisch-katholische erschließt sich wahrscheinlich nur den sowieso schon Informierten. Kurz findet in Corbats Film die Diskussion Eingang, inwiefern die Bibel selbst als queer-feindlich ausgelegt werden könne – es sind nur wenige, kleine Stellen. Für Stefanie Arnold und andere ist dennoch wichtig, die Übersetzung der Bibel zeitgemäßer, präziser und damit „gerechter“ zu gestalten.

In seinen stärksten Momenten aber sprechen die Dinge in „Queer Glauben“ quasi für sich. Etwa bei der Aufnahme der „Europapremiere“ einer „Namensfeier“ in der Offenen Kirche Elisabethen in Basel, deren Liturgie Frank Lorenz für diejenigen geschrieben hat, die sich einen neuen Namen suchen. Wenn Pfarrer Lorenz dann zur transfemininen Rebecca den Segen spricht: „Du bist gesegnet mit deinem neuen Namen, als Kind des Regenbogens, als Priesterin, Kämpferin, Liebhaberin, du bist willkommen“, berührt dieses Pathos des Mitgenommenwerdens wohl selbst die Zuschauer:innen, die sich als abgehärtete Atheist:innen begreifen.




Queer Glauben
von Madeleine Corbat
CH 2023, 59 Minuten, FSK 0,
OF auf Schweizerdeutsch, teilw. mit deutschen UT

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