Julian Mars: Lass uns von hier verschwinden

Buch Lesereise mit Julian Mars

Erwachsensein ist auch eines dieser Dinge, die sich Felix einfacher vorgestellt hatte. Nicht, dass er sich keine Mühe geben würde, im Gegenteil: Es gibt in seinem Leben schon lange nichts mehr, das nicht das Prädikat „vernünftig“ verdient hätte. Sogar mit seinem Ex-Freund Martin trifft er sich wieder ab und zu und tut dabei tapfer so, als wäre er längst über alles hinweg. Alles furchtbar erwachsen eben, und alles furchtbar langweilig – wäre da nicht sein neuer Mitbewohner, der nicht nur Felix’ festgefahrene Routine, sondern auch seine Gefühle heftig durcheinanderbringt. Und dann ist da noch Emilie, Felix‘ beste Freundin, die mit einer einzigen Frage seine ganze Welt aus den Angeln hebt. Nach seinem viel beachteten Debütroman „Jetzt sind wir jung“ erzählt Julian Mars in seinem neuen Buch die Geschichte seines Protagonisten Felix weiter. Es geht um die großen Fragen und das kleine Glück, um falschen Hoffnungen, echte Freundschaft – und die Schwierigkeiten, endlich einen Platz im Leben zu finden. Kevin Clarke hat den neuen Roman für uns gelesen, den Julian Mars in den nächsten Tagen auch auf eine Leserreise quer durch Deutschland und in Österreich vorstellen wird.

So was Ähnliches wie erwachsen

von Kevin Clarke

Als 2015 das Romandebüt „Jetzt sind wir jung“ von Julian Mars herauskam, hat mich das Buch überrascht und sofort begeistert. Weil da jemand in der Lage war, in deutscher Sprache mit größtmöglicher Lockerheit und Witz über ein schwules Lebensgefühl im Hier und Heute zu schreiben, Sex inklusive, wie ich das zwar aus etlichen anglo-amerikanischen Büchern kannte, aber nicht von deutschen Autoren. Damals ging es um einen Jungen am Ende seiner Teenagerjahre, der sich in der Welt zwischen Eltern, Schule, Freunden, Darkrooms und erster Liebe zurechtfinden und mit der Frage arrangieren muss, was Schwulsein für ihn eigentlich bedeutet. Hauptfigur Felix war dabei ein attraktiver ‚Jedermann‘, dessen Odyssee zu sich selbst als eine Art Countdown erzählt wird.

Was tut man als Romancier nach solch einem von der Kritik hochgelobten Überraschungserfolg, wie kann es nach einem solchen Bestseller weitergehen? Julian Mars hat sich für eine naheliegende Option entschieden: Er schildert in „Lass uns von hier verschwinden“, wie es mit Felix und seinem Leben in der nächsten Phase weiterläuft. Nach dem spätpubertären Durcheinander und Wirrwarr der Gefühle des ersten Teils folgt nun die Frage: Was kommt als nächstes in der Biografie eines schwulen weißen Cis-Mannes? Was folgt aufs Coming-out und die erste Beziehungskatastrophe? Wohin geht die Reise nach dem Auszug aus dem Elternhaus?

In diesem Fall geht es darum, dass Felix sich entscheiden muss, ob er der im Geburtsregister eingetragene Vater des Kindes seiner besten Freundin Emilie sein möchte, mit Verantwortung und Sorgerecht. Er schwankt 277 Seiten lang und fragt sich, wie das praktisch gehen könnte. Und ob er das will: Verantwortung und so. Es geht also um Wahlverwandtschaften und um den Sinn des Lebens jenseits von Netflix-Gucken und der großen Leere, an der Felix leidet und die seine Schwester mit Therapiesitzungen zu heilen versucht. Wieder läuft die Geschichte als Countdown und auf den Termin beim Jugendamt hin. Mars überlegt via seine Charaktere, was es heißt „so was Ähnliches wie erwachsen“ zu sein. („Vielleicht bedeutet Erwachsensein doch genau das, was ich mir früher immer darunter vorgestellt habe. Nämlich dass der halbe Tag dafür draufgeht, unsinnige Höflichkeiten auszutauschen, nur damit sich keiner auf den Schlips getreten fühlt.“)

Julian Mars – Foto: Nora Heinisch

Mars behandelt das Problem, wie man mit Sex umgeht, nach dem man sich „schlechter fühlt als davor“, wie mit einer „handfesten Depression“, und wie mit Gefühlen für den Ex, die man nicht überwinden kann, auch nach dem Beziehungs-Aus. Es geht zudem darum, ob man als Schwuler ein „einfacher normaler Mensch“ sein kann und ob das überhaupt erstrebenswert ist? Ob man „offiziell schwul“ sein sollte und ein „kompletter Homo“ – und wo das hinführt. („Ich kenne niemanden, der so viel über Schwule nachdenkt wie Schwule.“)

Die Geschichte ist diesmal nicht ganz so stringent erzählt wie in „Jetzt sind wir jung“, aber wieder mit diesem selbstironischen sprachlichen Schliff, der „Lass uns von hier verschwinden“ zum Lesevergnügen macht. Besonders schön fand ich die Figur des wiederaufgetauchten Schulfreundes Elias, der als Hetero bei Felix zur Untermiete einzieht und bei dem sich Felix wundert, ob er ihn vielleicht mal vor Jahren im Darkroom getroffen haben könnte. Und falls ja, was das bedeutet für Elias als Hetero. Kann man ein selbstsicherer Superhetero sein und trotzdem unkompliziert Sex mit Männern haben? (Dieser Elias wäre zweifellos ein Thema für einen weiteren Julian-Mars-Roman.)

Zum Lebensgefühl eines 25-jährigen Schwulen in Berlin gibt es sicher noch viele andere Aspekte, die in diesem Roman nicht vorkommen. Man merkt Julian Mars‘ Narration an, dass der Autor die Diskussionen um Rassismus und Queerness, Ausgrenzung und Privilegien in der LGBTIQ*-Community kennt und immer wieder in Nebensätzen aufgreift, dass seine Geschichte aber nicht vertieft darauf eingehen will. Das heißt, es bleibt eine rein ‚weiße‘ Romanwelt, in der sich Leute tummeln, die wie Felix und Emilie Glück hatten und von zuhause viel Geld mitbekommen haben, um ein sorgenfreies Leben führen zu können oder zumindest einen recht einfachen Start in den Berufsalltag. Das könnte farbige Leser_innen, Trans*-Menschen und Queers abschrecken, die sich nach anderen Themen sehnen, nach anderen Lebensrealitäten. Sie werden sie in „Lass uns von hier verschwinden“ nicht finden bzw. nur am Rande.

Aber: Kein Roman kann alles abdecken, und Julian Mars hat sich fürs Weitererzählen einer Geschichte entschieden, die auf ihre Weise komplex genug ist. Sie ist auch so, dass ich mir beim Lesen mehrmals gewünscht hätte, es gäbe von „Lass uns von hier verschwinden“ einen Spielfilm. Vor allem weil im Buch die Hauptfigur Felix bei aller Introspektive kaum äußerlich beschrieben wird. (Das war in Teil 1 anders.) Durch diese fehlende Beschreibung von Äußerlichkeiten fehlt manchmal ein klares Bild im Zentrum des Romans, über das man besser verstehen würde, wieso Felix trotz der Leere in seinem Leben jemand ist, dem man als Leser folgen möchte. Und um zu verstehen, warum die vielen attraktiven Menschen im Roman (Elias inklusive) sich mit ihm einlassen, wo er doch solch ein hoffnungsloser Fall zu sein scheint. Aus „Jetzt sind wir jung“ wissen wir, dass Felix so was wie die Romanversion von Schauspielern wie Louis Hofmann oder Jonas Dassler ist: ein sexy Sympathieträger, dem man selbst dann zuschauen will, wenn sein Verhalten nervt. Um das bei Felix zu verstehen, muss man Vorwissen mitbringen. Aber das ist vielleicht der Vorteil von Fortsetzungsgeschichten, wie alle Harry-Potter-Fans wissen.

Ich hoffe jedenfalls, dass es eine weitere Fortsetzung geben wird, um zu erfahren, wie es Felix im nächsten Lebensabschnitt ergehen wird, möglicherweise als Vater eines Kindes, fernab der offiziellen Schwulenwelt, und doch nie komplett von ihr gelöst. Mit anderen Worten: es bleibt spannend.




Lass uns von hier verschwinden

von Julian Mars
Klappenbroschur, 278 Seiten, 18 €,
Albino Verlag

 

Lesereise von Julian Mars:
7.2., Berlin, Eisenherz, Motzstr. 23, Beginn: 20.30 Uhr
8.2, Köln, Buchsalon Ehrenfeld, Wahlenstr. 1, Beginn: 20.00 Uhr
12.2., Stuttgart, Erlkoenig, Nesenbachstr. 52, Beginn: 20.00 Uhr (Eintritt: 5 €)
13.2., München, Sub, Müllerstr. 14, Beginn: 19.30 Uhr
14.2., Wien: Löwenherz, Berggasse 8, Beginn: 19.30 Uhr

 

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