Johann-Günther König: Friedo Lampe. Eine Biografie

Buch

Mit seiner innovativen, magisch realistischen Erzählweise gehört Friedo Lampe (1899-1945) zu den bemerkenswertesten deutschen Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Über sein Leben als schwuler Mann während des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Dritten Reichs ist indes kaum etwas bekannt. Der Bremer Schriftsteller und Publizist Johann-Günther König, der 1985 die Friedo-Lampe-Gesellschaft mitbegründete, hat nun die erste umfassende Biografie über Lampe verfasst. Unser Autor Detlef Grumbach hat sie mit großem Interesse gelesen.

In der Schwebe

von Detlef Grumbach

Friedo Lampe wurde am 4. Dezember 1899 in Bremen geboren. Außer seiner Dissertation über den Sturm- und Drang-Dichter und Mitherausgeber des Göttinger Musenalmanachs Leopold Friedrich Günther Goeckingk im Jahr 1928 veröffentlichte er zwei schmale Romane und ein Bändchen mit Erzählungen. Lampes Debüt „Am Rande der Nacht“ (Neuausgabe 1999 mit einem Nachwort von Johannes Graf), ausgeliefert im Herbst 1933, stand bereits am 5. Januar 1934 auf der Liste verbotener Bücher – nicht aus politischen, sondern aus sittlichen Gründen: Der Kapitän, der seinen „schicken Steward“ aus reiner Lust quält, der Boxer, dem der „gottbegnadete Körper“ seines Gegners Alvaroz so „verteufelt gut“ gefällt, dass er in der Garderobe mit der Hand „zart und leicht über das drahtige Gekräusel“ auf dessen Brust streicht und mit seinen Fingern „erschauernd die rotbraune, harte Brustwarze“ berührt – solche Stellen riefen sofort die Zensur auf den Plan.

Der zweite Roman „Septembergewitter“ (Neuausgabe 2001 mit einem Nachwort von Jürgen Dierking) war auf Grund dieser Erfahrungen mit aller Vorsicht formuliert. Er sollte im Herbst 1937 erscheinen, kam aber fürs Weihnachtsgeschäft zu spät aus der Druckerei und ging sang- und klanglos unter. 1942, der Krieg war in vollem Gange und Lampe wohnte in Berlin, plante er einen Band mit Erzählungen, die schließlich 1944 bei Goverts unter dem Titel „Von Tür zu Tür“ (Neuausgabe 2002 mit einem Nachwort von Jürgen-Günther König) erscheinen sollten. Doch die gedruckten Bögen wurden bei einem Bombenangriff zerstört. „Ich habe eben immer Pech mit meinen Büchern“, schrieb der Autor an eine Freundin. Die ersten, noch nicht gebundenen Bögen des Neudrucks hielt er kurz vor Ostern 1945 in den Händen. Die Auslieferung verzögerte sich wegen des Kriegsendes bis 1946 – Lampe hat sie nicht mehr erlebt. Im November 1943 war er bereits ausgebombt worden; erst fand er Unterschlupf auf dem Anwesen des emigrierten Verlegers Ernst Rowohlt in Grünheide, später bei einer Freundin in Kleinmachnow. Am 2. April 1945 war er dort zu Fuß unterwegs, als er von zwei Soldaten der Roten Armee angehalten wurde. Eine Zeugin beobachtete einen Wortwechsel, dann führten die Rotarmisten Lampe auf einen Acker und erschossen ihn.

Lampe wurde nur 45 Jahre alt. Sein literarisches Werk hat, wie Wolfgang Koeppen bemerkte, „neben der allerbreitesten Nichtbeachtung die Bewunderung weniger“ gefunden, neben Koeppen bezogen sich auch Alfred Andersch und Hans Bender auf Lampe, Ernst Rowohlt, Eugen Claassen, Henry Goverts oder Karls-Heinz Henssel schätzten ihn über die Maßen.

75 Jahre nach seinem Tod ist nun eine knapp 400-seitige Biografie des immer noch zu wenig bekannten Autors erschienen. „War das nötig?“, könnte man angesichts des doch recht schmalen Werks fragen. Wer sich mit Lampe beschäftigt hat, weiß zudem, dass sein Nachlass bei Bombenangriffen nahezu komplett zerstört wurde und dass die Quellenlage für ein so umfangreiches Unternehmen nicht gerade üppig ist. (Eine zweibändige Ausgabe „Briefe und Zeugnisse“ ist 2018 ebenfalls im Wallstein Verlag erschienen und enthält so ziemlich alles, was von und über ihn greifbar ist. Sie enthält aber vor allem (Selbst-)Aussagen zu literarischen und beruflichen Fragen, seine Rezensionen und Beiträge zur Literatur sowie literarische Würdigungen seiner Texte – Auskunft über seine politischen Haltungen oder sein Privatleben geben sie kaum.)

Der Rezensent antwortet dennoch klar und deutlich mit einem Ja. Das Werk Lampes verdient jeden Versuch, ihn im Bewusstsein des Literaturbetriebs zu verankern. Außerdem ist Johann-Günther König, dem Autor der Biografie, etwas (mit einigen Einschränkungen) ganz Erstaunliches gelungen: Mangels der fehlenden (Selbst-)Aussagen über seine Beziehungen, seine Homosexualität, seine Haltungen (vor allem zum Nationalsozialismus) hat König mit der Genauigkeit des Archäologen, mit feinstem Besteck und Staubpinsel, das Umfeld Friedo Lampes freigelegt, auf den Objektträger gelegt und unter dem Mikroskop einen kleinen Ausschnitt Zeitgeschichte herausgearbeitet: Seine Herkunft aus einer Bremer Kaufmannsfamilie; seine Lehrer während seiner Schulzeit und seines Philosophie-Studiums in Heidelberg, München und Freiburg; sein berufliches Umfeld als Volontär bei Schünemann in Bremen, während der Ausbildung zum Volksbibliothekar in Stettin, seiner Arbeit bei den Hamburger Öffentlichen Bücherhallen von 1932 bis 1937 und seiner darauf folgenden Lektoratstätigkeit bei Rowohlt, Henri Goverts und Karl-Heinz Henssell. „Zeitgeschichte“ bedeutet aber auch: nicht unbedingt ein privates Leben in der Farbigkeit, die man von einer Biografie eigentlich erwartet.

So arbeitet König anhand der erhaltenen Korrespondenzen zahlreiche Details über den leidenschaftlichen Literaturkenner heraus und zeigt eine Persönlichkeit, die sich in einer ganz eigenen, literarischen Sphäre bewegt hat und nicht unbedingt ein politischer Kopf war. Dennoch ist er im März 1933 in die NSDAP eingetreten, eine hier im deutschen Sprachraum wohl erstmals nachlesbare Information. In den im Wallstein-Verlag erschienenen Nachworten der Neuausgaben Lampes aus den Jahren 1999 bis 2002 findet man sie nicht, obwohl sich alle Nachwortautoren ausdrücklich auf eine bereits 1986 in der Schweiz erschienene Lampe-Biografie (Eugène Badoux: „Friedo Lampe. Une psychobiographie“) beziehen, in der dieser Umstand thematisiert wird. Hier haben, so lässt sich heute feststellen, die Autoren des Wallstein-Verlags bislang eine durchaus interessante und ihnen bekannte Information verschwiegen. Zu den Hintergründen von Lampes Schritt rettet König sich, wie auch bei anderen Themen, zu denen es keine Informationen gibt, in den Konjunktiv und in Fragezeichen. Lampe „hätte“, „könnte“ oder „dürfte“ … Tat Lampe den Schritt auf Drängen des Vaters, im Interesse von dessen Firma, von der auch Lampe finanziell profitierte, auf Druck seines nationalsozialistischen Vorgesetzten bei der Hamburger Öffentlichen Bücherhalle?

Die Antworten auf diese und andere bedeutsame Fragen in der Schwebe zu halten, die greifbaren Indizien herbeizuschaffen und in ihrer Widersprüchlichkeit stehen zu lassen, ist eine Qualität dieser Biografie. War Lampe Nationalsozialist? König zitiert neben anderen „entlastenden“ Stimmen auch den in jeder Hinsicht unverdächtigen Axel Eggebrecht, dem Lampe unter vier Augen erklärt habe, er „wehre sich auf seine Weise gegen die Barbarei, die sich als Neugeburt ausgebe.“ Zugleich erinnert Lampes Biograf an die Bücherverbrennungen – auch solcher Werke, die er verehrte –, an den Exodus von ihm geschätzter Autorinnen und Autoren – und an Lampes Schweigen zu alledem. König erinnert an die nationalsozialistische „Gleichschaltung“ und „Säuberung“ der Bibliotheksbestände und die neue, „völkische“ Einkaufspolitik, konkret und im Detail am Beispiel der Hamburger Öffentlichen Bücherhalle. Er macht deutlich, dass Friedo Lampe diesen Teil der NSDAP-Kulturpolitik umgesetzt haben muss – immerhin war er hier an führender Stelle tätig und ab 1935 für den gesamten Einkauf zuständig. Zu gleicher Zeit – so erzählt König in diesem wohl spannendsten Kapitel der Biografie – hat der NS-Volksbibliothekar mit großem Engagement um seinen eigenen, verbotenen und beschlagnahmten Roman gekämpft, der im Herbst 1933 erschienen ist. Dieser Kampf um „Am Rande der Nacht“ ist nicht nur bemerkenswert, weil der Roman literarisch herausragte und so gar nicht in das Konzept der NSDAP gepasst hat, sondern auch, weil er als das öffentliche Coming-out des Autors wahrgenommen wurde.

Lampe verzichtet in dem Roman auf eine Hauptfigur und einen durchgängigen Handlungsstrang. Über 30 Figuren lässt er beinah gleichberechtigt auftreten. Wie mit der Kamera gleitet der Erzähler über das Geschehen, setzt es wie in einem Kaleidoskop zusammen und schafft eine dichte Atmosphäre. In der Totale zeigt er die geschäftige Welt um die Bremer Wallanlagen und den Hafen, geht in harten Schnitten und wechselnden Perspektiven dicht heran an seine Figuren, versetzt sich in seinem als magischen Realismus bezeichnetem Stil in deren Gedankenwelten, Sehnsüchte und Träume und legt ihre Beziehungsgeflecht offen.

Schon Freunde Lampes fanden das Manuskript zu „heikel“. Doch dieser konnte nicht anders. Die Geschichte hatte sich genau so in ihm „formiert“, beim Schreiben war er „endlich in meinem Element“, nannte das Buch seine „zarte Traumgeburt“. Es sollte bei Rowohlt erscheinen, als der Verlag schon unter Beschuss stand. 46 der von NSDAP-Mitglied Lampe als „undeutsch“ aus der Öffentlichen Bücherhalle entsorgten Titel waren bei Rowohlt erschienen. Der Autor bekam angesichts der Verhältnisse Angst um seinen Roman und ging in die Offensive. So schrieb er an seinen ehemaligen Kollegen Herrmann in Stettin, der mittlerweile für die schwarzen Listen der Volksbibliotheken zuständig war, um gut Wetter für das Buch zu machen. Er spielte seine Bedeutung herunter und betonte, dass es „ganz aus meiner eigenen Entwicklung herausgewachsen“ ist. Er räumte aber auch ein, dass es „sicherlich nicht in die neue Zeit passt“. Eine erste, hymnische Besprechung des jüdischen Literaturkritikers Kurt Pinthus machte die Sache dann nicht leichter. Johann-Günther König zitiert Lampes Briefe und die Antworten seiner „Volksgenossen“ und beschreibt eine schizophren anmutende Gemengelage, in der um Lampes Homosexualität ein Bogen gemacht wurde und Herrmann ihm sogar vorschlug, doch als nächstes „ein deftiges SA-Buch“ zu schreiben. „Am Rande der Nacht“ wurde schließlich beschlagnahmt und aussortiert, während sein Autor – er stieg auf zum stellvertretenden Leiter der Hamburger Öffentlichen Bücherhalle – in Amt und Würden blieb. Den Gedanken, den Roman zu „reinigen“, um das Verbot aufheben zu lassen, wies er zurück. Ab 1937 arbeitete er für den Rowohlt-Verlag und betreute dort unter anderem den auch politisch immer etwas heiklen Hans Fallada. Auch die Emigration Ernst Rowohlts, den Anschluss des Verlags an die DVA und schließlich sein Aus im Jahr 1943 überstand Lampe anstandslos.

Genauso wenig, wie über Lampes politische Einstellungen bekannt ist, erfahren wir über sein Leben als homosexuellen Mann. König skizziert die allgemeine Lage der Homosexuellen, beschreibt die Subkultur und Treffpunkte, die in Lampes Umfeld lagen, erzählt von der Reihe guter, enger oder sehr enger Freunde Lampes, mit denen er gemeinsame Reisen unternahm oder sogar – mit Peter Voß –zusammengewohnt hat. Mit all diesen Freunden dürfte Lampe aber nach Königs Darstellung keine sexuellen Beziehungen gehabt haben. Zu diesem Thema bleibt König sparsam mit Vermutungen und zieht vor allem Informationen hinzu, die das Thema herunterspielen. König meint, Voß und Lampe hätten wie Vater und Sohn zusammengelebt, Voß hat später immerhin geheiratet und Lampe war sein Trauzeuge. Aber allein die Tatsachen, dass zwei Männer zusammenwohnten, sogar miteinander von Hamburg nach Berlin zogen, dass Lampe den Freund, als der im Krieg verwundet wurde, im Lazarett besucht hat, laden doch zu ganz anderen Spekulationen ein. Auch, dass Schwule Väter wurden und aus Gründen der Tarnung geheiratet haben, dass sie ihr Versteckspiel auch nach 1945 aufrechterhielten und – sofern es Lampes Freunde betrifft – dessen Homosexualität verschwiegen, um nicht selbst in Verdacht zu geraten, findet in den Konjunktiven Königs keinen Platz. Das betrifft auch den verheirateten Lampe-Freund Johannes Pfeiffer, der, so König, in der Erzählung „Die Alexanderschlacht“ als Freund Sebald „figuriert“ und in den 1950er Jahren erste Versuche unternahm, Lampes Werk wieder bekannt zu machen.

Lampe erzählt in „Die Alexanderschlacht“ von dem Studenten Albrecht, der von seinem Erbonkel mit der Tochter von dessen Bankier verkuppelt werden soll und verzweifelt versucht, sich aus der Affäre zu ziehen. So schreibt er an seinen Freund Sebald, dass er unbedingt kommen und ihn dort loseisen müsse. Die Erzählung gipfelt in einem Traum Albrechts, in dem er Seit an Seit mit Sebald und Alexander dem Großen in die Schlacht für eine neue Welt zieht. Der Text ist voller schwuler Anspielungen, die König aber wohl gar nicht wahrnimmt. Das beginnt mit Alexander, um den sich viele schwule Mythen ranken, und sicher dürfte Friedo Lampe den Alexander-Roman Klaus Manns gekannt haben. Dann wird Albrecht vorgestellt als jemand, „der sich besser bei den alten Griechen auskennt als bei uns – steht auf du und du mit Alexander dem Großen“. Schließlich wird Albrecht in der Schlacht verwundet, „Sebald hatte seinen Kopf in seinem Schoß“ und Alexander schreitet auf ihn zu, „groß waren seine klaren, blauen Augen auf ihn gerichtet, und um seinen harten, jungen, kühnen Mund schwebte ein zartes, kleines, leises Lächeln …“. Das grenzt schon an schwulen Kitsch, zumal Rückgriffe auf die Antike eine gängige Methode schwuler Autoren in der Nazi-Zeit waren, Homoerotik gleichzeitig zu evozieren und zu kaschieren (was Christian Klein in seiner Monografie „Schreiben im Schatten. Homoerotische Literatur im Nationalsozialismus“ sehr schön herausgearbeitet hat). Wenn König recht hat und Pfeiffer hier wirklich als Sebald figuriert, ist die Erzählung eher ein Hinweis auf ein Verhältnis der beiden als ein Argument dagegen.

Johannes Pfeiffer war es dann auch, der in den 1950er Jahren den ersten Versuch unternahm, „Am Rande der Nacht“ und das Gesamtwerk Lampes einem größeren Leser*innenkreis zu erschließen. Obwohl Lampe selbst nicht einmal in der Nazi-Zeit Kompromisse gemacht hat, „reinigte“ Pfeiffer den Roman und strich die von der Nazi-Zensur beanstandeten Stellen. War das ein Freundschaftsdienst? Wollte Pfeiffer seinen Freund im Nachhinein noch schützen, so wie andere ihn vielleicht vor dem Verdacht haben schützen wollen, ein Nazi gewesen zu sein? Oder wollte er zudem verhindern, dass auch an ihm als Freund und Herausgeber etwas hängen blieb? Tragisch ist dabei, dass Pfeiffer damit die Rezeption Lampes durch eine 1986 erschienene weitere Ausgabe für knapp 50 Jahre bestimmte. Erst 1999, beim dritten Versuch, Lampes Bücher am Literaturmarkt durchzusetzen, wurde „Am Rande der Nacht“ in der Originalfassung von 1933 publiziert. Die 1999 bis 2002 erschienenen Ausgaben von Lampes Werken erlebten Nachauflagen und Taschenbuchausgaben. Die jetzt vorliegenden Biografie kann nun – mit den genannten Einschränkungen – ihren Beitrag dazu leisten, diesem großartigen Autor, der selbst über sich und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus keine Auskunft mehr geben konnte, seinen verdienten Platz in der Literaturgeschichte zu sichern.




Friedo Lampe. Eine Biografie
von Johann-Günther König
Gebunden mit Schutzumschlag, 388 Seiten, 28,00 €
Wallstein Verlag

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