Desert Hearts (1985)
Trailer • DVD/VoD
Reno in Nevada, 1959. Die New Yorker Literaturprofessorin Vivian kommt ins Mekka der Spieler:innen und Scheidungswilligen, um sich nach zwölf Jahren erlebnisarmer Ehe offiziell von ihrem Mann zu trennen, und checkt in der „Divorce Ranch“ ein. Dort lernt sie die sexuell umtriebige Cay kennen, die tagsüber auf der Ranch töpfert und abends im Spielcasino arbeitet. Zwischen den ungleichen Frauen entwickelt sich eine leidenschaftliche Romanze, die für beide einen Neubeginn bedeuten könnte. Donna Deitch Liebesdrama „Desert Hearts“ war 1985 für das queere Kino bahnbrechend, weil es Lesbischsein nicht als Sensation oder gar etwas Anrüchiges, sondern nahezu als Normalität darstellte. Endlich gab es da ein weibliches Liebespaar auf der Leinwand, mit dem die Zuschauer:innen richtig mitfühlen konnten! Für Arabella Wintermayr ist die Bedeutung von „Desert Hearts“ für das lesbische Kino kaum zu überschätzen.
Simply Telling the Truth
„I think I found somebody who counts. She’s an English professor, and she’s ten years older than I am. Vivian Bell. I just say her name and I want to smile.“ Als Cay Rivvers erstmals von ihren Gefühlen für eine deutlich ältere Akademikerin spricht, die sich eigentlich nur für einen Kurzaufenthalt in ihrer Heimat Reno befindet, sitzt sie mit ihrer Kollegin in der Badewanne. Dieses Bild, so ungewöhnlich es auch sein mag, wird nicht weiter eingeordnet. Die Fragen, die es über die Art der Beziehung zwischen den beiden Frauen aufwirft, nicht weiter thematisiert. In der endlosen Wüste Nevadas laufen die Dinge schlicht ein wenig anders, scheint es. Die Menschen, die hier leben, sind gelassener als ihre Mitbürger:innen im Rest des Landes. Vielleicht fehlt ihnen angesichts der glühenden Hitze aber auch einfach die Kraft dafür, alles so furchtbar eng zu sehen.
Auf jeden Fall ergibt es Sinn, dass „Desert Hearts“, der erste an ein größeres Publikum gerichtete Film, der von der Liebe zwischen zwei Frauen erzählt, ohne sie in irgendeiner Form zu sanktionieren, an diesem Ort spielt. Die 25-jährige Cay kann ihre Sexualität in einem kleinen Häuschen auf der Ranch von Frances, der Freundin ihres verstorbenen Vaters, selbst im Jahr 1959 frei ausleben. Dass sie immer wieder neue Geliebte mit nach Hause bringt, ist kein Geheimnis und wird an einer Stelle sogar mit einer Mischung aus Verwirrung und Anerkennung von einem Farmmitarbeiter kommentiert, als besagte Vivian, dann allerdings noch ohne erotische Absichten, auf ihrer Veranda steht: „How you get all that traffic with no equipment is beyond me!“, ruft er ihr, vielleicht sogar mit etwas Neid in der Stimme, zu.
Nicht nur das Laisser-faire–Prinzip und die Freiheiten, die es mit sich bringt, auch die entrückte Atmosphäre von „Desert Hearts“ hängt mit diesem Ort und dem Status der Stadt als Zwischenwelt zusammen. Sie verleiht der Geschichte einer unwahrscheinlichen Annäherung etwas Träumerisches – allerdings ohne die Geschehnisse zu weit vom Möglichen zu entfernen und den Film seiner Kraft zu berauben, die er gerade aus der wohltuenden Zuversicht schöpft, dass es Begegnungen, die ein Dasein von Grund auf verändern können, tatsächlich gibt.
Dass Cay und Vivian trotz ihrer unterschiedlichen Lebenswelten aufeinandertreffen, hat ebenfalls mit der besonderen Bedeutung von Reno zu tun, das damals noch für schnelle Scheidungen bekannt war: Vivian möchte sich auf möglichst unkomplizierte Weise von ihrem Ehemann lösen. Viele Details über das Zusammenleben und sein Scheitern gibt der Film, der seinen Fokus sehr konsequent auf die beiden Frauen im Zentrum richtet, nicht. Nur, dass es sich um eine arbeitsbezogene Partnerschaft handelte, eine Vernunftehe vermutlich, vertraut die verschwiegene, aber allein durch ihr elegantes Auftreten auffallende Vivian ihrer zur Neugier neigenden Gastgeberin an. Bei der handelt es sich, wie es der glückliche Zufall will, ausgerechnet um besagte Frances, die regelmäßig Zimmer ihrer Ranch an Scheidungswillige vermietet.
Mit Vivians Ankunft in Reno beginnt die konzentrierte Handlung von „Desert Hearts“, die auf dem beinah gleichnamigen Roman „Desert of the Heart“ basiert – und damit auf einem Buch, das bei seinem Erscheinen 1964 nicht weniger bahnbrechend war als der Film, der rund zwanzig Jahre später daraus hervorging. Jane Rule schrieb es zu einer Zeit, als homosexuelle Handlungen in Kanada, wo die Autorin offen mit ihrer Partnerin zusammenlebte, noch kriminalisiert waren und mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden konnten. Heute zählt das Werk zu den ersten lesbischen Büchern, die als ernstzunehmende Romane und nicht als lesbian pulp fiction veröffentlicht wurden.
„It was a book where you were rooting for them to be together, not waiting for one or another of them to kill themselves“, sagte Regisseurin Donna Deitch 1986 in einem Interview, das im „Monthly Film Bulletin“ erschien, über den besonderen Stellenwert, den der glückliche Ausgang der Geschichte zu seiner Zeit bedeutete. Ehe sie aus dem Material ihr Spielfilmdebüt entwickeln konnte, musste Deitch, die zuvor vor allem Dokumentarfilme gedreht hatte, allerdings einen beschwerlichen Weg zurücklegen: Sechs Jahre lang warb sie Fördermittel ein und verkaufte Anteile am Film an private Geldgeber, um ein Budget von 1,5 Millionen Dollar zusammenzubekommen und ihre eigene Vision, unabhängig von Hollywood-Studiobossen und deren restriktiven Vorstellungen, umzusetzen.
Um den Soundtrack zu finanzieren und der langsamen Annäherung zwischen Cay und Vivian inmitten des Nirgendwo ein stimmiges Western-Feeling zu verleihen, verkaufte Deitch sogar ihr eigenes Haus. Wegen dieses entschiedenen Schrittes umweht nun die bittersüße Melancholie von Patsy Clines „Leavin‘ on Your Mind“, die energiegeladene Unbeschwertheit von Buddy Hollys „Rave On!“ und die verträumte Sehnsucht von Elvis Presleys „Blue Moon“ die schwärmerischen Sequenzen von aufkeimender Begierde, vorsichtigem Herantasten und wiederholtem Zurückweichen, bis schließlich auch Vivian ihr Verlangen nicht mehr leugnen kann.
Denn während Cay schnell Interesse an Vivian zeigt, versucht die sich zunächst in ihrem Zimmer von der Ranch und ihren Bewohner:innen, die ihr als Professorin für Literatur an der angesehenen „Columbia University“ mehrheitlich wie ungebildete Rohlinge vorkommen, abzuschotten, zu lesen und zu schreiben. Auf den ersten Blick gibt es selbst zwischen den beiden Frauen mehr Trennendes als Verbindendes: Neben dem Alters- und Klassenunterschied ist auch ihre grundsätzliche Lebenseinstellung eine andere. Cay, die sorglos vor sich hinlebt, sich bei Tage dem Töpfern widmet und des Nachts in einem in die Jahre gekommenen Casino arbeitet, ist ein Freigeist. Vivian hingegen zeichnet sich durch Pflichtbewusstsein aus, braucht augenscheinlich Ordnung und Strukturen. Wo sie bisweilen kalt und abgeklärt wirkt, tritt die jüngere Cay offen und warmherzig auf.
Die markante Gegenüberstellung sehr gegensätzlicher Eigenschaften ist allerdings der einzige Aspekt, in dem „Desert Hearts“ einer Stereotypisierung nahekommt. Denn auch das ist außergewöhnlich an diesem Film, sowohl im Vergleich zu den lesbischen Liebesgeschichten die vor als auch jenen, die nach ihm kommen sollten: Anders als es ein hartnäckiges Erzählklischee des queeren Kinos verlangt, stehen dem Zusammensein der beiden Frauen keine äußeren Hindernisse im Weg. Obwohl es sich streng genommen um ein Historiendrama handelt, spielt die Kriminalisierung von Homosexualität keine Rolle. Auch gibt es keinen Ehemann/Vater/Bruder oder eine andere männliche Figur, die die Liebe verhindern möchte. Zwar wirbt einer von Cays Vorgesetzten durchaus verzweifelt um sie, während Frances deutlich ihre Missbilligung für den „Lebensstil“ ihrer Ziehtochter zum Ausdruck bringt –, doch beides bleibt letztlich ohne Relevanz.
Stattdessen sind die Spannungen vor allem innerweltlicher Natur und das typische „Will they, won’t they?“ des Romantikfilms spielt ausschließlich auf der emotionalen Ebene eine Rolle. Vor allem Vivians innere Zerrissenheit hält Cay immer wieder auf Abstand, die Sorge um ihren guten Ruf in der besseren Gesellschaft New Yorks, als angesehene Wissenschaftlerin, wahrscheinlich auch um ihr sorgsam gepflegtes Selbstbild, treiben sie immer wieder ihr weg.
Umso symbolträchtiger inszeniert Deitch den ersten Kuss zwischen den Frauen, zu dem es schließlich nach einer durchfeierten Nacht kommt, als sich die beiden zusammen in Cays Cabrio in die Wüste zurückgezogen haben, um den Sonnenaufgang zu beobachten, und plötzlich strömender Regen auf sie niedergeht. Mit dieser Annäherung scheint ganz offensichtlich ein Damm gebrochen – und obwohl Vivian daraufhin von Frances der Ranch verwiesen wird, ist der Weg zu einer der ikonischsten Sexszenen des lesbischen Kinos nicht mehr weit.
Nur einen Augenblick nachdem sich Vivian in der Küche ihres neubezogenen Hotelzimmers gegenüber der nebenan zurückgelassenen Cay über Reno und seine sonderbaren Einwohner:innen echauffierte, sitzt die junge Frau mit nackter Brust vor ihr. Eine kleine Welle der Empörung weicht schnell der Begierde, Vivian legt sich zu Cay, und wird – so suggeriert es die nach einer langen sinnlichen Sequenz einsetzende Überblende – erst Tage später wieder aus dem Bett hervorkommen.
Es ist eine Inszenierung von Intimität, die gerade in ihrer humorvollen Unaufgeregtheit besticht und hervorragend mit dem harmoniert, was das Alleinstellungsmerkmal dieses queeren Meilensteins des Kinos ausmacht: „Desert Hearts“ behandelt das Lesbischsein nicht als Sensation, wie es zahlreiche Filme bis heute tun, sondern nahezu als Normalität. Ein Gespräch zwischen den beiden Frauen bringt dieses Ansinnen früh zum Ausdruck. Darin fragt Vivian, die sich zu diesem Zeitpunkt noch vor den Gefühlen, die Cay in ihr auslöst, ängstigt, ob sie es eigentlich darauf anlege, sie zu schockieren, indem sie offen von der sexuellen Befriedigung erzählt, die ihr Frauen verschaffen. Cay antwortet ruhig: „I’m simply telling the truth.“
Zu einem Film, der bei aller dramatischen Spannung im Erzählen von einer neuen, und wahrscheinlich ersten tiefen Liebe, mit einer derartigen Besonnenheit agiert, passt auch ein leichtherziges Finale, das zwar durchaus auf einer positiven Note endet, aber eben nicht in ein theatrales Happily Ever After mündet. Nachdem die Scheidung abgeschlossen ist, stehen die beiden Frauen sich noch einmal am Bahnhof gegenüber. Kurz bevor Vivians Zug losrollt, fragt sie Cay, ob sie nicht mitkommen wolle. Wohl im Wissen darum, dass Vivian ihre inneren Vorbehalte noch längst nicht überwunden hat und die Dinge in New York nicht plötzlich leichter sein werden, zögert Cay. Vivian legt nach, ob sie sie nicht noch bis zur nächsten Station begleiten wolle. „What is it you want?“, entgegnet Cay. „Another 40 minutes with you“, antwortet Vivian.
Ob es eine Zukunft für die beiden Frauen gibt, oder wie lange sie andauern wird, bleibt offen. Bekanntlich bemisst sich die Bedeutsamkeit einer Liebe aber weder an ihrer Dauer, noch am Ausmaß der Dramatik, durch die sie zustande gekommen ist. Beides unterstreicht „Desert Hearts“, mit dem Donna Deitch einen ebenso revolutionären wie zeitlosen Klassiker geschaffen hat, dessen Bedeutung für das lesbische Kino kaum zu überschätzen ist.
Desert Hearts
von Donna Deitch
US 1985, 91 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT
Als DVD und VoD