Closet Monster

Trailer • DVD

Stephen Dunns Debütfilm „Closet Monster“ ist ein klassischer Coming-of-Age-and-Out-Film: er erzählt von einem Jungen, dessen Erkenntnis, anders zu sein, dazu führt, einen eigenen Weg aus ungesunden Familienstrukturen heraus zu finden. Aber „Closet Monster“ ist auch ein ungewöhnlicher Film: ungewöhnlich drastisch, ungewöhnlich blutig, ungewöhnlich deutlich. Teenage Angst und psychosomatischer Horror werden hier ausbuchstabiert, stellen sich aber nicht als lebensgefährlich heraus. Der jugendliche Held hat nämlich eine kreative Begabung – und einen Hamster namens Buffy, der sich mit Dämonen ganz gut auskennt.

Foto: Pro-Fun

Hamsterjahre

von Jan Künemund

Eine dysfunktionale Familie, ein Vater mit traditionellen Männlichkeitsvorstellungen, eine beste Freundin, der „Neue“, der plötzlich in der Stadt und auf der Arbeit auftaucht und ein Problem für das väterliche Männer-Konzept darstellt, die Frage: „Ist er oder ist er nicht…?“, das Zusammenschmelzen der Fassade, die Entscheidung, die für sich und gegen andere getroffen werden muss, der schließlich eingeschlagene eigene Weg, mit dem offenen Horizont im Schlussbild. Soweit die Formeln des Coming-Out- und Coming-of-Age-Films, die auch in „Closet Monster“ angewendet werden. Und doch ist es diesem Debütfilm von Stephen Dunn gelungen, außerhalb der Formelfilm-Nische wahr- und ernstgenommen zu werden: Bester kanadischer Spielfilm beim wichtigen Toronto Film Festival, internationaler Kinostart, 79%-Score bei Metacritic, 86% bei Rotten Tomatoes. Der Village-Voice-Kritiker Chuck Wilson fasste diesen scheinbaren Widerspruch zusammen und hatte doch keine schlüssige Erklärung: „Es gibt immer einen neuen Coming-of-Age-Film, aber dieser hier ist wirklich großartig, glaubt uns!“

Ja, „Closet Monster“ ist ein großartiger Coming-of-Age-Film, und er ist auch ein großartiger Coming-Out-Film. Und eine Erklärung unter mehreren möglichen ist vielleicht, dass er das Genre des Jugendfilms nicht automatisch mit dem Atmosphärisch-Taktilen, Nonverbalen, Indirekten verbindet und das aus dem fehlenden Check des Jugendlichen der eigenen Gefühlswelt gegenüber entwickelt. Die Teenage Angst von Oscar, dem doch so typischen Coming-of-Ager, dem hübschen, weißen, englisch sprechenden Jungen von nebenan, hat nichts Ungefähres, sondern einen sehr konkreten Ursprung: er hat als Kind ein Hate Crime ansehen müssen und sein Vater, ohne Kenntnis der Lage, empfahl dem Sohn einen Kurzhaarschnitt, um nicht genauso zum identifizierbaren Opfer zu werden.

Die Vater-Sohn-Beziehung stiftet den visuellen Reichtums des Films. Beide haben eine Affinität zum Übernatürlichen, zu den Zwischen- und Schattenwelten, die im harschen, kühlen Neufundland wie Wärmequellen funktionieren. Der Vater versorgt den Sohn vor dem Schlafengehen mit Träumen, und, klar: es werden irgendwann Albträume daraus. Mehr und mehr verliert sich die erwachsene Realitätsinstanz ins Irreale, während Oscar irgendwann lernt, seine kindlichen Ängste in Kreativität zu übersetzen: er zeichnet seine Monster selbst und bewirbt sich für eine Film-Make-up-Ausbildung. Das gemeinsam gebaute Baumhaus wird schnell zum Fluchtort vor der häuslichen Bedrohung, das „Closet Monster“ des Titels ist der Vater selbst: Wo aus Oscar etwas bisher Zurückgedrängtes heraus will, muss letzterer in den Schrank wieder hineingedrängt werden, aus dem er immer wieder zur Unzeit in Oscars Leben springt.

Foto: Pro-Fun

Auftritt des Neuen mit dem sprechenden Namen „Wilder“: ein kiffender Arbeitskollege (Baumarkt!) mit verwegenen blonden Locken. Aliocha Schneider spielt ihn, einer dieser vielen schauspielenden Verführer-Jungs aus der Familie Schneider (Bruder Nils kennen wir in dieser Funktion aus einem Dolan-Film). „Dieser Yves Saint Laurent da“, nennt ihn interessiert Oscars Freundin Gemma, die genauso schnell wie der Vater merkt, was da an Neuem in Oscars Leben tritt. Ein Arbeitshemd zirkuliert jetzt zwischen den beiden Jungs und wird nicht mehr gewaschen. Wilder hat einen verblüffend radikalen Zugang zum Vaterthema: „Wenn du deine Eltern nicht hasst, wirst du vielleicht mal wie sie.“ Schwul ist er nicht, logisch, aber er gibt dem Schwulsein einen Körper. Einen Körper mit Fear Factor, auf den Oscar psychosomatisch reagiert und der Film mit drastischen Bildern, die auch ein bisschen komisch sind: keine vage Poesie der Blicke und Berührungen, sondern Unterleibsschmerzen, Blut und Metall. Wilder versorgt Oscar nicht mit Träumen, er küsst ihn und evoziert Monster. Und „Closet Monster“ will blutige Klarheit für seinen bewegten Helden, den der großartige Connor Jessup („American Crime“) so entschieden und bescheiden als Nicht-Opfer spielt, keine wabernde, sensitive Welt aus Schutzlosigkeit und Ambivalenz und Bewegungsunschärfe und Lichtreflexen.

Der vielleicht frechste Einfall des Films ist wunderbar plakativ: Oscar hat ein Haustier zum Freund, ein „spirit animal“. Es ist ein niedlicher Hamster, der genau in dem Moment auftaucht, als der Blick des Jungen von seinen sich trennenden Eltern weg auf etwas Haptisches, Pelziges, Tröstendes gerichtet werden will. Natürlich nennt er ihn „Buffy“. Wilders Reaktion: „Ich dachte, Hamster wären nur was für dicke Mädchen und asiatische Kinder?“ Was er eben nicht weiß bzw. hört: Dieser Hamster spricht. Ruhig, sachlich, ein bisschen versponnen, mit europäischer Akzentfärbung. Am Ende muss er natürlich genauso gehen wie der Vater und die Angst. Aber vorher sorgt er noch dafür, dass „Closet Monster“ mit einem der schönsten Schluss-Credits der jüngeren Filmgeschichte aufwarten kann: „And Isabella Rossellini as Buffy.“



Closet Monster
von Stephen Dunn 
CA 2015, 90 Minuten,
englische OF mit deutschen UT
Pro-Fun

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