Alexander Graeff: Queer

Buch

Nach „Schönheit“, „Geschlecht“ und „Lust“ widmet sich die Essay-Reihe des Verlagshaus Berlin dem Thema „Queer“ und fragt im Klappentext: „Wie können wir uns freisprechen und freidichten von einer Welt, die uns permanent in Schubladen stecken will?“ An einer Antwort versucht sich der Dichter, Schriftsteller und Philosoph Alexander Graeff. Der hat im gleichen Verlag bereits zwei Erzählbände und eine Gedichtsammlung herausgebracht und sich in den vergangenen Jahren unter anderem als Initiator der queeren Lese- und Gesprächsreihe „Schreiben gegen die Norm(en)“ und Literaturverantwortlicher der Queer Media Society profiliert. In seinem 48 Seiten straffen „Queer“-Essay lässt Graeff Poesie und Biografie, Sprache und Körper ineinanderfließen – für Tobias Schiller eine treffende und horizonterweiternde Methode, um dem gewollt uneindeutigen Thema gerecht zu werden.

Die Freiheit des Uneindeutigen

von Tobias Schiller

Mit der Edition Poeticon hat es sich das unabhängige Verlagshaus Berlin zur Aufgabe gemacht, aus Perspektive der Lyrik die wichtigsten Begriffe der Gegenwart in Essays zu fassen. Die relativ kurzen Texte zu Themen wie Scham, Lust oder Geld bringen Lyrik und Prosa zusammen und lassen sich wohl am besten als Reflexionen über Form und Inhalt beschreiben. In diesem Herbst ist mit Alexander Graeffs „Queer“ ein neuer Band erschienen, der sich einem Phänomen widmet, das notorisch schwer zu fassen ist. Denn wenn eines das Queere auszeichnet, dann wohl dessen gewollte Uneindeutigkeit, die Verweigerung, sich Normen und Normierungen zu unterwerfen. Es schließt folglich auch das Schreiben gegen die Normen ein, das im Zentrum von Graeffs Essay steht.

Anhand der eigenen Biografie zeichnet der Schriftsteller und Philosoph nach, wie sich ihm das Queere auf sprachlicher Ebene als Identität öffnete. Denn in der Sprache seiner pfälzischen Heimat fühlt er sich ebenso wenig zu Hause wie im Berliner Literaturbetrieb der Nullerjahre. Beide waren laut Graeff von einem Dualismus geprägt, der dazu diente, binäre Systeme aufrechtzuerhalten – Hetero oder Homo, Mann oder Frau. Sexualität wurde nur als entweder oder gedacht, die Vielfalt bestand allein in der Entscheidung für eine der beiden Seiten.

Alexander Graeff – Foto: Verlagshaus Berlin

Die Frage, ob er auf Männer oder Frauen stehe, diene der Kontrolle, schreibt er. Denn „diese Kontrollfragen sichern im sozialen Miteinander wiederum bestimmte Normen und Konventionen.“ Ein „Beides sein“, wie es beispielsweise die schottische Autorin Ali Smith im Titel eines queeren Romans proklamiert, dessen Protagonist:in sich den geschlechtlichen Zuschreibungen entzieht, schien in diesen Strukturen nicht möglich.

Dabei, so Graeff, bezieht sich seine sexuelle Orientierung immer auf konkrete, individuelle Körper, nicht auf Geschlecht(er) oder Sexualität(en). Mit Hilfe anderer Dichter:innen und Autor:innen wie Eileen Myles, Paul B. Preciado und Donna Haraway ergründet er die Zwischenräume fernab heteronormativer Zuschreibungen. „Wer queer sagt, muss sich erklären“, konstatiert er an zentraler Stelle. Das sei ambivalent, weil es zwar nervig sein könne, Uneindeutigkeit aber auch als Potenzial begreife. Es ist denn auch gerade das Vage und Uneindeutige, das ohne Bekenntniszwang auskommt, in dem er sich und sein Schreiben verortet. Lyrik, Sprache und Körper lassen sich demzufolge nur zusammen denken.

So ist es die Lyrik, in der der Autor seine Sprache findet. Sie eröffnet ihm die Möglichkeit des Spiels mit den Formen und Adressat:innen sowie des Vermischens mitunter widersprüchlicher biografisch geformter Sprachfragmente. Mit Hilfe der queeren Lyrik findet er schlussendlich einen Weg, dem Unbestimmten Ausdruck zu verleihen und politisches Potenzial zu entwickeln. Als Beispiel zitiert er einen Auszug aus Kevin Junks Gedicht „Männlichkeit*en“: „An Tagen wie heute schreibe ich Texte die mich hoffen lassen / hoffen auf die zärtliche Annäherung eines non-binären Sternsystems“.

Alexander Graeff gelingt es in seinem Essay, neue Perspektiven auf Queerness zu entwickeln und das Potenzial queerer Lyrik für die persönliche wie politische Selbstermächtigung darzulegen. Er zeigt seinen Leser:innen auf, warum die Lyrik sich besonders gut für queere Selbstermächtigung eignet. Indem seine Mischung aus Memoir, Essay und Erkundung sich aus den binären Zwängen elitärer Kulturinstitutionen befreit, erweitert sie auch den Blick der Lesenden auf die Möglichkeiten queerer Literatur.




Queer
von Alexander Graeff
Broschur, 48 Seiten, € 8,50
Verlagshaus Berlin

 

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