Saskia Vogel: Permission

Buch

Nach dem Tod ihres Vaters sucht die gescheiterte Schauspielerin Echo Trost in den Leben Fremder. Als sie der Domina Orly begegnet, ist sie sofort fasziniert, doch deren Houseboy Piggy ist zunächst nicht willens, eine andere Person teilhaben zu lassen. In ihrem Debütroman „Permission“ erzählt Saskia Vogel von Menschen, die im Reich der Erotik nach Heilung suchen und sich die Frage stellen, wie sie geliebt werden möchten. Dabei gelingt es ihr meisterhaft, heteronormative Dating-Rituale der als „pervers“ gebrandmarkten BDSM-Szene gegenüberzustellen, findet Anja Kümmel.

Einfühlsame Grausamkeit

von Anja Kümmel

Ein falscher Schritt, und alles kann vorbei sein – mit dieser ständigen Furcht wächst Echo in einer wohlhabenden Wohngegend am Rande von Los Angeles auf. Materiell fehlt es ihr an nichts, doch zwischen ihren Eltern herrscht eine emotionale Distanz, die jede echte Kommunikation unterbindet. Und auch die Landschaft ringsherum ist voller Gefahren, sei es durch Erdbeben oder Buschfeuer. Halt bieten Echo einzig die Benimm-Regeln ihrer Mutter („Keuschheit ist ein Reiz an sich. Zurückhaltung Macht.“), die sie mit subtiler Beharrlichkeit für einen heteronormativen Lebensweg zurichten.

An all dies erinnert sich die mittlerweile erwachsene Ich-Erzählerin in Saskia Vogels Debütroman „Permission“ in assoziativen Flashbacks während einer der dunkelsten Phasen ihres Lebens. Ihre schlimmsten Ängste sind wahr geworden: Bei einem Spaziergang an der Felsküste ist ihr Vater abgerutscht und ertrunken. Vermutet man zumindest; sein Körper wurde nie geborgen. All das Unausgesprochene, das Echos Kindheit prägte, wiederholt sich in diesem Verlust in zehnfacher Potenz, in einer diffusen Trauer, die zugleich so tief und so endlos ist wie das Meer. Im Grunde allerdings legt das Verschwinden ihres Vaters Echos existenzielle Haltlosigkeit lediglich offen: Der Durchbruch als Schauspielerin ist ihr nie gelungen; mit 27 gehört sie bereits zum „alten Eisen“ und verdingt sich als Aktmodell im lokalen Kunstverein. In ihrer Freizeit driftet sie von beschämenden Dates mit einem Agenten, von dem sie sich Karrierechancen erhofft, zu uninspirierten Sex-Treffen mit einem Möchtegern-Musiker, der sich am liebsten selbst reden hört. Im Hintergrund lauert die traumatische Erfahrung ihrer Jugendzeit, die ihr lesbisches Begehren im Keim erstickte: Eine Affäre mit einer Schulkameradin, die deren konservativer Vater rasch zu unterbinden wusste. Und auch von ihrer Mutter erfuhr Echo damals keine Unterstützung: Sie überging den Fehltritt ihrer Tochter und gab ihr zu verstehen, dass es besser sei, Schweigen über die Sache zu breiten.

Elliptisch, ja manchmal beinahe dissoziativ, erzählt die österreichisch-amerikanische Autorin, die 1981 in Los Angeles geboren wurde, von einer jungen Frau, die bisweilen so abgetrennt scheint von ihren Gefühlen, dass sie sich wie von außen beobachtet. Doch machen gerade diese Auslassungen die Abgründe spürbar, die zwischen den Zeilen lauern, die bodenlose Sehnsucht der fragilen Hauptfigur: „Ich wünschte mir so sehr, dass das, was ich verloren hatte, mich suchen und wiederfinden würde.“

Saskia Vogel – Foto: Mathias Bothor

Als die selbstbewusste Domina Orly und ihr „Hausbursche“ Piggy nebenan einziehen, fühlt Echo sich sofort zu Orly hingezogen. Endlich hat ihre Sehnsucht das Ziel erreicht, könnte man meinen: Schmachtende Blicke, Schwenk zum Sonnenuntergang, Abblende – so liefe es zumindest in den Hollywood-Romanzen, deren Heldin Echo nie werden durfte.

Aber ganz so einfach macht es Vogel sich (und uns) dann doch nicht. Die Beziehung zwischen Echo und Orly bahnt sich nur langsam an und wird zudem eher zurückhaltend erzählt. Wer nach der Beschreibung im Klappentext eine deftige, mit Sadomaso-Spielchen angereicherte lesbische Liebesgeschichte erwartet hat, ist vielleicht enttäuscht. Denn im Vordergrund steht nicht das Aufgehen der Erzählerin in einer romantischen Zweierbeziehung, sondern vielmehr ihre Erkundung der eigenen Lust und der eigenen Möglichkeiten, die Schritt für Schritt in dieser anfangs gewöhnungsbedürftigen, bisweilen auch holprigen Dreierkonstellation geschieht – und vor allem in ihr selbst.

Etwas irritierend ist in den folgenden Passagen der Perspektivwechsel hin zu Piggy, der sehr abrupt und ohne ersichtliche Motivation geschieht. Zudem erzählt Vogel nun in der dritten Person, was eine gewisse Distanz zu Piggys Gefühls- und Gedankenwelt schafft. Hier wäre ein anderer Kunstgriff vielleicht angebrachter gewesen, um dessen für die Geschichte durchaus zentrale Vorgeschichte zu erzählen. Der devote Mittfünfziger verkörpert eine Spielart des männlichen Begehrens jenseits genitaler Sexualität und patriarchaler Machtansprüche – und damit das Gegenteil der Männer, denen Echo sonst begegnet. Piggys Aufgaben sind klar definiert: Er bereitet Orly jeden Morgen den perfekten Kaffee zu und reinigt nach ihren Anweisungen ihre Toys und Utensilien. Und, wie viele Queers auch, muss er seinen Lebensstil und seine Vorlieben im Alltag geheim halten.

Ganz anders die meisten anderen männlichen Nebenfiguren in „Permission“, die offen mit ihren Eroberungen prahlen und ihre Blicke schamlos an Echos Körper heften. Wie etwa Dr. Moradi, der Vater ihrer Jugendliebe, dem sie nun, in einer demütigenden Wiederholung der damaligen Asymmetrien, im Aktmalkurs wiederbegegnet. Oder der schmierige Agent Van, der ihr beim Dinner rät: „Pass auf, was du verdrückst“, versehen mit dem Zusatz: „Du wirst auch nicht jünger“. Konsequent endet das vermeintliche Geschäftsessen mit sexuellen Avancen, die sich Echo nicht auszuschlagen traut – schließlich ist er ihr Zugang zu „wichtigen Kontakten“. Dass auch der Polizist, in dessen Wagen sich Echo rettet, nachdem sie Vans Apartment fluchtartig verlassen hat, sie herablassend behandelt und fortwährend „Schätzchen“ nennt, ist da nur eine perfide Fortführung derselben Dynamiken. So seziert „Permission“ mit scharfem analytischem Blick gerade jene subtilen Machtstrukturen, die meist ganz ohne körperliche Gewalt auskommen und die in der Me-too-Debatte häufig untergehen. Um den Grauzonen und Ambivalenzen innerhalb des komplexen Gebildes „Rape Culture“ gerecht zu werden, braucht es dann eben doch die Literatur, und nicht nur einen 280-Zeichen-Tweet.

Was diesem Roman meisterhaft gelingt, ist die organische Gegenüberstellung heteronormativer Dating-Rituale, deren implizite Gewalt Vogel bloßlegt, mit der als „pervers“ gebrandmarkten BDSM-Szene, in die Echo nach und nach eintaucht. Auch hier laufen die Begegnungen nach strikten Regeln ab, sind mitunter grausam und einengend – mit dem großen Unterschied allerdings, dass alle Teilnehmer_innen ihr explizites Einverständnis geben. Was in der „normalen“ Beziehungswelt oft unausgesprochen bleibt oder als selbstverständlich angenommen wird, geschieht zwischen Echo, Orly und Piggy in Form gleichberechtigter Aushandlungsprozesse: „Was war guter Schmerz, wie sah einfühlsame Grausamkeit aus, wie würden sie ihre Begierden unter sich, und wie mit dem Rest der Welt aushandeln?“ Und plötzlich beginnt man sich zu fragen: Sollte nicht eigentlich das, was in diesem noch immer schief angesehenen Milieu als Norm gilt („sich gegenseitig kennenlernen, Grenzen festlegen“) Bestandteil jeder gesunden Beziehung auf Augenhöhe sein?

Es gibt sie dann doch noch, die Sexszene zwischen Echo und Orly, die überdies angenehm klischeebefreit geschrieben ist. Sie mündet in einer surrealen Häutungsfantasie, bei der Echo gleichsam ihre alten Ängste abstreift. Und in der Frage: „Fühlte sich sicher zu sein so an?“ Vielleicht ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass Echo überhaupt so etwas wie „Sicherheit“ verspürt. Keine felsenfeste, unverrückbare Sicherheit wohlgemerkt, die einhergeht mit Versprechungen und Erwartungen, die wiederum einengen. Sondern vielmehr ein Urvertrauen, auf dessen Basis Echo es schaffen kann, alte Wunden und zukünftige Unsicherheiten anzunehmen und auszuhalten.




Permission
von Saskia Vogel
Gebunden ohne Schutzumschlag, 240 Seiten, 22,00 €
Secession Verlag Berlin

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