Ahmad Danny Ramadan: Die Wäscheleinen-Schaukel
Buch
Zwei Männer lernen sich im kriegszerrütteten Syrien kennen und verlieben sich einander. Über Beirut und Kairo können sie zusammen nach Vancouver fliehen. Ihre zurückgelassene Heimat bleibt in fantasievollen Geschichten erhalten, als einer der beiden vier Jahrzehnte später versucht, den anderen am Sterbebett am Leben zu halten. Ein Mosaik aus Eindrücken einer Kindheit in Damaskus, von heimlicher Liebe, Homophobie und Gewalterfahrungen des Krieges, aber auch von Hoffnung und gewonnener Freiheit. „Die Wäscheleinen-Schaukel“ von Ahmad Danny Ramadan, der selbst 2012 von Syrien nach Kanada geflohen ist, wurde 2019 von The Independent unter die 30 besten Debütromane gewählt. Unser Autor Michael Sollorz über eine kühne Erzählung, die die Dringlichkeit des Erinnerns demonstriert.
Die Orte der Vergangenheit
von Michael Sollorz
Weinende Frauen mit Kopftuch, frierende Kinder, die verbitterten Gesichter hilfloser Väter. Windschiefe Zelte, die im Wintermodder des Lagers versinken. Wir haben uns längst an die Bilder gewöhnt. Geflüchtete gehören zum Nachrichtenwesen wie Hunger und Krieg. Nun also Syrien, wie viele Jahre sind es inzwischen? Die wenigsten von uns verstehen diese Tragödie, den offiziellen Darlegungen ist zu misstrauen, folglich gibt es gute Gründe, auf die Literatur zurückzugreifen. Ahmad Danny Ramadan stammt aus Syrien. Was geschieht dort, fragen wir uns und suchen nach Antworten. Doch selbst der ortskundige Autor räumt ein: „Eine unendliche Geschichte. Sie geht immer weiter, wird kompliziert und verworren. Es ist keine Geschichte, die ich erzählen könnte.“ Stattdessen erzählt er davon, was Menschen zustoßen kann, sobald Gewalt ihre Welt aus den Fugen reißt. Von diesen Geschichten lebt der Roman, sie sind es, jede einzelne von ihnen, die ihn lesenswert machen.
Einen Prozess der Gewöhnung durchleben auch die Helden des Buches. „Zunächst war der Krieg nur ein Thema in den Nachrichten; er fühlte sich weit entfernt und unwirklich an, als könnte er niemals bis an unsere Haustür vordringen. Dann begannen wir ihn in den Augen der Männer und Frauen auf der Straße zu entdecken, die wie betäubt waren von dem Knallen der Schüsse und dem Krachen der Bomben in den Randgebieten von Damaskus.“ Immer wieder die alte Hauptstadt, einst Metropole an der Seidenstraße, Ort des Welthandels und der Durchmischung von Sprachen und Völkern, voller märchenhafter Winkel, Springbrunnen und Apfelblüten, dem Duft von Jasmin. Eine Schönheit, die in Gefahr ist, unwiederbringlich verloren zu gehen, und umso dringender im Erinnern bewahrt werden soll. Die beiden verliebten Protagonisten, von denen „Die Wäscheleinen-Schaukel“ handelt, frühstücken gemeinsam auf dem Balkon, „durch das Schreien und Brüllen von Armeeoffizieren und Polizisten gestört, die jemanden verfolgten, um ihn zu verhaften. Als wir das erste Mal Zeugen einer solchen Szene wurden, schlug uns das Herz bis zum Hals, und wir versteckten uns zwei Stunden lang in meinem Schlafzimmer. Nach ein paar Verhaftungen gewöhnten wir uns an das Brüllen und Wehklagen, frühstückten einfach weiter und stellten das Radio an.“
Sie versuchen, sich zu arrangieren, doch bald beginnt das Verschwinden von Freunden, wird die Angst unerträglich. Autobomben, Raketeneinschläge. „Jedes Mal, wenn du eine Explosion hörtest, begannst du zu zittern, und du hattest selbst in der relativ sicheren Innenstadt von Damaskus Angst vor Heckenschützen.“ Islamisten, sunnitische Extremisten, Terror. „Kinder sangen davon, wie sie den Alawiten die Köpfe abschneiden würden. Und einige Wochen später präsentierten dieselben Kinder die versprochenen Köpfe.“
Die blutigen Konflikte verwüsten immer neue Gebiete, und der Abschied rückt in den Blick, weg von zu Hause, womöglich endgültig, die eigene Sprache verlassen, die Landschaften, das Essen, das man liebt, Gefährten und Familie. Der Westen funkelt verheißungsvoll, selbst für viele Menschen ohne Krieg im Haus, und erst recht für Homosexuelle, solange ihr Mutterland noch im Gestern verharrt, im Milieu der Kopftücher, der Geschlechter-Trennung, religiöser Fanatiker und Warlords. Selbst im modernen Syrien wirken starre Traditionen weiter, lernen viele Mädchen ihren Bräutigam erst bei der Trauung kennen, prügeln Väter ihre schwulen Söhne halb tot.
Fortgehen also? Das Ringen um eine Entscheidung könnte qualvoll gewesen sein, im Buch ist davon kaum die Rede, auch die Passage selbst wird nur kurz gestreift. „Umgeben von sieben großen Koffern, die unser gesamtes Leben enthielten, saßen wir im Flughafen und warteten.“ Wir schreiben die Ära von Facebook und Skype. Die Queer-Community am Zielort hat geholfen, keine Balkan-Route musste durchlitten werden, stattdessen ein „privilegierter“ Übertritt ins gelobte Land; diesmal heißt es Kanada. Dort regnet es dann erst einmal in Strömen. Die Neuankömmlinge reden sich das Wetter schön, Vancouvers Dreckecken ebenso, „und vermieden es tunlichst, die Straße bei Rot zu überqueren, auch wenn gar keine Autos kamen.“ Erste scheue Schritte in Freiheit und Frieden, doch zum Jubel reicht ihre Puste nicht. „Die Luft, die wir atmeten, war nicht für uns bestimmt.“ Nach ein paar Monaten beginnen sie plötzlich zu streiten. Sie verstehen selbst nicht, was mit ihnen geschieht. „Nachts weckten mich Alpträume, ich fühlte mich orientierungslos und fehl am Platz.“ Der Erzähler verkriecht sich in seine Bücher und sein Schreiben, während der Geliebte die Promiskuität und die Drogen entdeckt, begehrtes Frischfleisch als exotischer Araber-Prinz. Drei getrennte Jahre müssen überstanden werden, bevor sie schließlich wieder zusammenfinden, nun unzertrennlich bis zum buchstäblichen Ende.
Die autobiografische Grundierung des Textes steht außer Frage. Auch Ahmad Danny Ramadan kam im Jahre 2012 aus Syrien nach Kanada. Berührend dankt er am Schluss seinen syrischen Freunden: „Ich stehe für immer in eurer Schuld. Ihr habt meine Ohren mit Geschichten gefüllt und mir so viele Erinnerungen aus dem echten Leben geschenkt, die ich in dieses Buch gemischt, gewoben und gepflanzt habe. Dies ist ebenso eure Geschichte wie meine.“
Und mittendrin ein kühner Sprung: „Es ist jetzt fast 40 Jahre her, dass wir Syrien 2012 verlassen haben“, heißt es. Demnach befinden wir uns ungefähr im Jahre 2050, und so ein Blick nach vorne weckt hohe Erwartung. Wohin trägt uns die Vorstellungskraft des Autors? Brennt der Nahe Osten nach wie vor? Werden die Geschicke unserer mangelhaften Spezies nunmehr von unfehlbaren Robotern gelenkt? Lernen wir alle Chinesisch? Und die schmelzenden Polkappen, wie ging es damit weiter, wer säuft als nächstes ab? Von alldem kein Wort. „Die Hunde liegen verknäult an der Tür, der Tod ruht auf dem Schuhbinde-Sofa in der Ecke, im Kamin prasselt ein Feuer.“ Ein Idyll, wir dürfen aufatmen, noch scheint die Erde bewohnbar, zumindest in nördlichen Breiten. Der Vorgriff in die Zukunft bleibt im Privaten. „Siebenunddreißig Jahre lang war ich der Schwache; ich bin derjenige, der ständig krank wird, sich ins Bett verkriecht und keine Berührungen erträgt. Und jetzt kommst du mir beim Sterben zuvor? Ich fühle mich betrogen“, klagt der Erzähler, „ich bin ein alter, mürrischer Mann, der mit einem Glas in der Hand und einer Zigarette im Mund herumläuft, während du auf dem Totenbett liegst.“
Der sterbende Freund verlangt unentwegt nach Geschichten, und der Erzähler greift weit zurück in die Vergangenheit. Dabei vermischen sich Traum und Wirklichkeit. Eine seltsame Losgelöstheit scheint die beiden Alten einzuschließen, und wo das Erinnern zu Geschichten gerinnt, führt es die Leser meistens zurück an die verlassenen Orte der Vergangenheit. Der alte Assad, Vater des heutigen Staatspräsidenten, steht irgendwann im Zimmer, um sich zu rechtfertigen, und auch der Tod höchstselbst ist bald Dauergast bei den betagten Herren. Wie das Leben der Freunde in den vierzig fiktiven Jahren verlief, bleibt dabei auf der Strecke, und gerade davon hätte ich liebend gerne mehr gelesen. Wie werdet ihr schließlich gelebt haben? Wer könnte in eure traute Zweisamkeit getreten sein? Wie erging es euch beruflich und finanziell? Derlei Aspekte beleuchtet der Autor leider kaum.
Dass Erlebtes zu Literatur wird, braucht in der Regel Zeit. Schön wäre es für ihn selbst und sein Publikum, fände Ahmad Danny Ramadan eines der größten literarischen Themen gerade in diesem schwierigen Ankommen, wie es überall auf der Welt jeden Tag versucht wird und scheitert und gelingt.
Die Wäscheleinen-Schaukel
von Ahmad Danny Ramadan
Aus dem Englischen von Heide Horn und Christa Prummer-Lehmair
Klappenbroschur, 288 Seiten, 22,00 €
Orlanda Verlag